Genau zum richtigen Zeitpunkt – kurz vor der angekündigten Sendung von Report Mainz, da wird es wohl wenig Beachtung finden – meldet der Südkurier, dass das Ermittlungsverfahren gegen Erzbischof Dr. Zollitsch voraussichtlich in dieser Woche eingestellt wird.
Update: Ausführlicherer Artikel des Südkuriers hier.
Allerdings nicht, – wie man angesichts der Erklärungen, die das Bistum Freiburg vor gut 6 Wochen abgegeben hat, meinen könnte – weil Zollitsch nicht zuständig ist, sondern weil sich keine Opfer aus der Zeit von 1987-1992, als der pädokriminelle Pater im Bistum Freiburg eingesetzt war, gemeldet haben. Deshalb wurde das Verfahren gegen den Pater, Gregor Müller, eingestellt – und somit entfällt auch der Vorwurf der Beihilfe gegen Zollitsch.
Das heißt allerdings nicht, dass Müller unschuldig ist – er hat in Birnau (Deutschland), Mehrerau (Österreich) und im Bistum Basel (Schweiz) etliche Kinder missbraucht und das offenbar auch gestanden, als er diesen März von einem Opfer zum Rücktritt gezwungen wurde. Zwei Opfer haben meines Wissens schriftliche Geständnisse von ihm. Nur sind diese Taten strafrechtlich verjährt.
Nun sieht es die Staatsanwaltschaft nicht als ihre Aufgabe an, nach Opfern zu suchen, wenn diese nicht bekannt sind. Allerdings erscheint mir die Begründung in der Einstellungsverfügung (die mir vorliegt) doch etwas dünn. Darin heißt es nämlich:
Obwohl die Vorwürfe gegen den Beschuldigten und das Ermittlungsverfahren bundesweit bekannt waren und auch in der hiesigen Presse dokumentiert wurden, haben sich keine weiteren Geschädigten gemeldet.
Dabei wäre m.E. zu berücksichtigen gewesen, dass das Bistum Freiburg sofort eine Medienkampagne losgetreten hat, derzufolge Zollitsch überhaupt nicht zuständig gewesen sei – was nicht stimmt (siehe auch: US-Experte: Zollitsch hätte 2006 ermitteln müssen). Dennoch äußerte sich auch der Abt des Mutterklosters von Birnau entsprechend zur Entlastung Zollitschs, und zwei Kirchenrechtsprofessoren (beide aus der Kirchenprovinz Freiburg…), Prof. Georg Bier und Prof. Richard Puza äußerten sich ebenfalls dahingehend, dass Zollitsch nicht zuständig gewesen sei. (Prof. Bier hatte mir gegenüber später eingeräumt, dass seine Aussage „schwer zu vereinbaren“ sei mit dem Umstand, dass Erzbischof Zollitsch selbst die Zisterziensermönche aus Birnau mit der Seelsorge in seinem Bistum beauftragt hat.) Die Medien übernahmen die Darstellung des Bistums völlig ungeprüft, und das Bistum wiederum präsentierte diese Meldungen dann triumphierend auf seiner Website („Vorwurf gegen Erzbischof ist Luftnummer“).
Welches Opfer hätte da, bitteschön, an die Öffentlichkeit gehen sollen? Wo die Erfolglosigkeit des Verfahrens doch vorgezeichnet schien? Die Orte Nußdorf und Deisendorf, aus denen die Seelsorgeeinheit Birnau besteht, haben zusammen knapp 2.000 Einwohner und sind meines Wissens stark katholisch geprägt. Der ehemalige Prior des Klosters Birnau, der im Jahr 2000 wegen Unterschlagung verurteilt wurde – er war erpresst worden, weil er sich jugendliche Prostituierte ins Kloster bringen ließ – war noch bis 2006 in Birnau als Seelsorger tätig, offenbar ohne dass sein Ansehen bei den Gemeindemitgliedern gelitten hätte. Missbrauchsopfer hingegen werden in dieser kleinbürgerlich geprägten Gesellschaft und deren Familien noch immer als Außenseiter und Störenfriede empfunden und gebrandmarkt, wie mir aus erster Hand berichtet wurde.
Die Vorstellung, dass sich unter diesen Bedingungen wegen der öffentlichen Berichterstattung Opfer melden, ist einfach nicht realistisch. Auch einen öffentlichen Aufruf, wie ihn beispelsweise das Bistum Basel startete – und woraufhin sich vier mutmaßliche Opfer des Paters gemeldet haben sollen – gab es nicht.
Nun kann ich ja, wie schon gesagt, nachvollziehen, dass die Staatsanwaltschaft es nicht als ihre Aufgabe ansieht, nach Opfern zu suchen, wenn diese sich nicht selber melden. Aber wenn der Hauptverdächtige, Pater Gregor Müller, untertaucht? Und der Adressat der Strafanzeige, Erzbischof Zollitsch, die Öffentlichkeit über die Zuständigkeit zu täuschen versucht? (Es ist ja nicht so, dass die Staatsanwaltschaft nicht von mir das Gutachten des US-Kirchenrechtlers Thomas P. Doyle erhalten hätte, das dieser freundlicherweise umgehend erstellt hat.) Wenn der Beschuldigte offenbar in seinen vorherigen Einsatzorten Birnau (erster Einsatz), Mehrerau und Baden (Schweiz) etliche Kinder missbraucht hat – einige Fälle erwiesenermaßen?
Da hätte man doch wohl zumindest mal den damals zuständigen Abt Kassian Lauteter zu den Umständen von Pater Gregors Versetzung 1992 befragen können. Oder versuchen, den Pater selbst zu vernehmen. Oder die damaligen Mitglieder des Pfarrgemeinderates und Ministranten. Ob das geschehen ist, ist dem Einstellungsbescheid nicht zu entnehmen, aber diese Fragen wird sich die Staatsanwaltschaft stellen lassen müssen.
Wie auch immer: Das Missbrauchsopfer hat mit seiner Strafanzeige erreicht, dass Zollitsch, sein Ordinariat und der jetzige Abt von Wettingen-Mehrerau (dem Mutterkloster von Birnau) ihr wahres Gesicht gezeigt haben: Sie scheuen sich nicht, die Öffentlichkeit zu täuschen. Die Taten des Paters mögen verjährt sein, neue Opfer (noch) nicht gefunden und eine Mitwisserschaft des damaligen Personalreferenten Zollitsch nicht nachweisbar.
Aber die wochenlangen Täuschungsmanöver (erst heute erhielt ich wieder eine E-Mail des Krisenkommunikationsberaters der Abtei, in der er sich mit einer fadenscheinigen Argumentation davor drückt, die Zuständigkeit klarzustellen) mögen zwar nicht strafrechtlich relevant sein – kirchenrechtlich und vor allem moralisch werden die Verantwortlichen hoffentlich noch zur Rechenschaft gezogen. Und wie lange wird sich Erzbischof Zollitsch als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz halten können, nachdem immer deutlicher wird, dass er täuscht, verschweigt, und immer nur das zugibt, was ohnehin an die Öffentlichkeit gelangt?
Woody – der mit dem „Gottlos-glücklich-Button“ und Kommentator aus dem Atheist Media Blog – hat gewettet, dass Zollitsch in vier Wochen nicht mehr im Amt ist.
Ich habe mich gewundert, dass er jemanden gefunden hat, der dagegen wettet.
Hallo Skydaddy,
diese Meldung kam nochmals von suedkurier.de, sonst war an anderer Stelle nichts davon zu lesen. Ich finde es merkwürdig, dass hier zweimal von einem Käseblättchen Entscheidungen der Staatsanwaltsschaft vorweg genommen werden. Entweder verfügt man dort über tolle Quellen, oder diese Information wird gezielt gestreut, um von den aktuellen Berichten (Monitor Mainz) abzulenken.
Der Gedanke war mir auch gekommen. Es mag aber auch sein, dass der Journalist gelegentlich bei der Staatsanwaltschaft anruft, fragt, wie es mit den Ermittlungen aussieht, und dann so oder so eine Meldung daras macht. Und das Verfahren gegen den Pater wurde kürzlich eingestellt, das könnte die Meldung „ausgelöst“ haben. Man müsste halt sehen, wie der Südkurier ansonsten berichtet. Er hat auch schon Artikel „aus Opofersicht“ gehabt.
[…] Als Am Montag die Sendung „Report Mainz“ mit neuen Vorwürfen angekündigt war, meldete der Südkurier, die Einstellung des Verfahrens gegen Zollitsch stünde wohl diese Woche bevor. Heute berichtete […]