Wenn Sie bisher gedacht haben, das Erzbistum Freiburg hätte die Vorwürfe, wegen denen gegen Erzbischof Zollitsch ermittelt wird, entkräftet – dann hat das Bistum mit seinen Erklärungen genau das erreicht, was es offenbar damit bezweckt. In bewährter Weise wurde vom Thema abgelenkt und spitzfindig formuliert. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Vorwürfe nicht einmal dementiert wurden.
Die Vorwürfe
Zunächst zu den Vorwürfen: Diese gehen dahin, dass das Erzbistum Freiburg bzw. der damalige Personalreferent Zollitsch von 1987 bis 1992 den Einsatz des bekanntermaßen pädophilen Zisterzienserpaters Gregor Müller (bürgerlich: Konrad Müller) auf dem Territorium und damit auch im Verantwortungsbereich der Erzdiözese geduldet haben. Auch wenn bisher keine konkreten Fälle nach 1987 bekannt sind, so muss doch aufgrund der kriminellen Aktivität von Pater Gregor – z.T. eingestandene Missbräuche in Birnau (Deutschland), Mehrerau (Österreich) und dem Bistum Basel (Schweiz) – sowie aus dem Umstand, dass er später bei einem erneuten Einsatz in der Schweiz Videoabende und Pizzaparties mit Kindern veranstaltet haben soll, befürchtet werden, dass ihm noch weitere Kinder oder Jugendliche zum Opfer gefallen sind. Diese Taten wären u.U. noch nicht verjährt, selbst, wenn sie während des zweiten Aufenthaltes des Paters in Birnau von 1987 bis 1992 stattgefunden haben.
Es geht daher nicht, wie zunächst fälschlich gemeldet wurde, um den Vorwurf, Zollitsch habe den Einsatz des pädokriminellen Paters „veranlasst“ – sondern nur um „Duldung“. Die Staatsanwaltschaft Konstanz hat dies mittlerweile richtiggestellt. Die Badische Zeitung schreibt dazu:
Otto Röding, Leitender Oberstaatsanwalt in Konstanz, sagte, [… der Anzeigeerstatter] gehe davon aus, dass Zollitsch damals um Vorgeschichte und Aufenthalt des beschuldigten Zisterzienserpaters wusste oder bei genügender Sorgfalt hätte wissen können. Das Freiburger Ordinariat bestritt beides am Montag erneut: Der damalige Personalreferent Zollitsch sei für die Klosterkirche und deren Personalpolitik gar nicht zuständig gewesen; von den Vorwürfen und einem Einsatz des Paters habe er nichts gewusst.
Ob die Badische Zeitung das Dementi des Erzbistums sauber wiedergegeben hat, werden wir gleich sehen:
Zuständigkeit
Zollitsch selber hat sich bisher nicht zu der Angelegenheit geäußert, abgesehen von einem kurzen Interview in der Print-Ausgabe des SPIEGELS (23/2010, S. 14), wo er lediglich die Formulierungen des Bistums wiederholt. Dazu später mehr.
Das Bistum wird nicht müde, zu betonen, „dass Zollitsch mit Personalentscheidungen und Vorgängen im Kloster Birnau sicher nichts zu tun hatte“ (Pressemitteilung der Erzdiözese Freiburg vom 07.06.2010. Anlass war die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Konstanz, dass sie die Ermittlungen gegen Zollitsch übernimmt. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft auch richtiggestellt, dass es nicht um „Veranlassung“, sondern um „Duldung“ der Anstellung ging.) Seit dem 02.06.2010 weist das Bistum darauf hin (Hervorhebungen von mir):
„Die Zisterzienserabtei Mehrerau ist eine „Territorialabtei“, die dem zuständigen Abt untersteht. Die Wallfahrts- und Klosterkirche Birnau gehört als Priorat seit 1919 zur Abtei Mehrerau. Bei einer „Territorialabtei“ (vgl. can. 370 CIC/1983) handelt es sich um ein territorial umschriebenes Gebiet, dessen Betreuung einem Abt übertragen ist. Dieser trägt die alleinige Verantwortung – wie ein Diözesanbischof. Eine solche Gebietsabtei gehört zu keinem Bistum und ist vollständig unabhängig vom Diözesanbischof. Geleitet wird sie von einem Abt (als „eigenberechtigter Ortsordinarius“), der die entsprechenden Rechte und Pflichten in seinem Gebiet wahrnimmt. Dieser Abt trifft nach Maßgabe seiner Ordensstatuten auch die Personalentscheidungen innerhalb seines Territoriums. Er benötigt dazu weder die Genehmigung eines anderen Bischofs noch besteht irgendeine Form der Informationspflicht an andere Bischöfe.“
Auch der Abt der Abtei Wettingen-Mehrerau (Österreich), zu der das Priorat Birnau (Deutschland) gehört, gab eine Stellungnahme zur Entlastung Zollitschs ab, die das Bistum auch auf seiner Website zitiert und verlinkt. Darin heißt es:
„Das Priorat Birnau gehört zur Gebietsprälatur der Zisterzienserabtei Wettingen-Mehrerau bei Bregenz. Der Abt dieses Klosters ist kirchenrechtlich für die Mitglieder der Gemeinschaft zuständig. Zudem ist die Gemeinschaft der Zisterzienser ein Orden päpstlichen Rechts und untersteht damit nicht dem jeweiligen Bischof vor Ort, sondern dem Papst in Rom.“
Was das Erzbistum Freiburg und der Abt nicht sagen, ist, dass die Zisterzienser des Priorats Birnau seit 1946 auch außerhalb ihres Abteiterritoriums seelsorgerlich tätig sind: Nämlich in den umliegenden Orten Nußdorf (hier kam es zu mindestens einem Missbrauch) und Deisendorf. Das Erzbistum erteilt dazu dem Prior von Birnau die Leitung der Seelsorgeeinheit (früher: Pfarrkuratie) Birnau, die eben auch die genannten Orte auf dem Territorium des Erzbistums umfasst – und damit im Zuständigkeitsbereich des Bistums liegt. Die Zisterzienser schreiben selbst auf ihrer Website:
PFARREI NUßDORF UND DEISENDORF
Neben der Wallfahrt obliegt den Patres der Birnau seit 1946 auch die Seelsorge für die beiden Orte Nußdorf und Deisendorf. Die Seelsorgeinheit Birnau, errichtet zum 1. Januar 2008, wird von Pater Bruno Metzler O.Cist. als zuständigem Pfarradministrator geleitet.
Dass die Beauftragung der Zisterzienser mit der Seelsorge in Nußdorf und Deisendorf durch das Erzbistum erfolgt, geht z.B. aus einem Eintrag im Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg hervor:
Der Herr Erzbischof [Dr. Robert Zollitsch] hat mit Urkunde vom 17. Dezember 2007 die Seelsorgeeinheit Birnau, bestehend aus der Pfarrei Mariä Himmelfahrt Birnau, Dekanat Linzgau, mit Erlasse des Ordinariates Wirkung vom 1. Januar 2008 errichtet und P. Bruno Metzler OCist zum Leiter dieser Seelsorgeeinheit bestellt. [Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg, 1. Februar 2008, S. 213-214. Hervorhebung von mir.]
Damit mögen Zollitsch und das Bistum für die (Personal-) Entscheidung, Pater Gregor wieder im Priorat Birnau einzusetzen, nicht verantwortlich sein – aber dessen Einsatz in Nußdorf und ggf. Deisendorf fällt dennoch in den Zuständigkeitsbereich der Erzdiözese.
Bezeichnend ist in dieser Hinsicht auch Zollitschs Antwort auf die Frage des SPIEGEL-Reporters (s.o.):
SPIEGEL: Sind Sie als langjähriger Personalchef des Erzbistums Freiburg für den erneuten Einsatz des Paters auch nach dessen Missbrauchshandlung in den sechziger Jahren verantwortlich?
Zollitsch: Wo ein Zisterzienser lebt und arbeitet, entscheidet sein Abt, nicht ich. Dieser Pater wurde nicht vom Erzbistum Freiburg angestellt oder bezahlt – auch in den achtziger Jahren nicht.
Zollitsch sagt nicht, dass er nicht verantwortlich war, sondern wiederholt lediglich die Feststellungen aus den Bistumserklärungen. (Mehr zum Interview hier: Interessant ist, was Zollitsch nicht sagt, gegen Ende.)
Stellt sich die Frage, ob Zollitsch tatsächlich nichts vom Einsatz des Paters wusste. Oder hätte wissen können.
Das Erzbistum wusste, dass Pater Gregor wieder in Birnau war
Wie das Erzbistum schließlich zugab – allerdings erst, als es sich nicht mehr abstreiten ließ – war Pater Gregor von 1989 bis 1992 (dem Bistum zufolge sogar bis 1995) im Personalverzeichnis (Schematismus) der Erzdiözese aufgeführt (Beispiel aus 1992):

Als Leiter der Pfarrkuratie Birnau des Erzbistums (Dekanat Linzgau) war im Verzeichnis (wie heute auch) der Prior aufgeführt:

Die Zahl 956 in Klammern gibt die Zahl der Katholiken in der Pfarrkuratie an. Dass der Prior die Seelsorgeeinheit „leitet“ (vgl. Birnau-Website und Amtsblatt der Erzdiözese) macht deutlich, dass (auch) die übrigen Patres dort unter seiner Leitung die Seelsorge wahrnehmen. Dem Bistum war also spätestens ab 1989 bekannt, dass Pater Gregor wieder in Birnau war – und somit auch auf dem Territorium und damit im Zuständigkeitsbereich des Erzbistums zum Einsatz kommen könnte, ja würde: Die anderen beiden Mönche waren nämlich 1992 78 Jahre (Franziskus) bzw. 79 Jahre (Prior Ambrosius) alt – Pater Gregor war 51.
Wie hat das Erzbistum diesen Sachverhalt dargestellt? Am 02.06.2010 erklärte das Bistum in einer „Medien-Infomation“:
Eine weitere Anstellung beim Erzbistum Freiburg hat es nicht gegeben – wenngleich es Hinweise darauf gibt, dass der beschuldigte Pater erneut zur Klostergemeinschaft des Zisterzienserordens in Birnau gehörte. Deren Zusammensetzung wird vom Abt des Ordens eigenständig geregelt
(Bei den „Hinweisen“ auf den erneuten Aufenthalt des Paters in Birnau, von denen in der Medien-Information die Rede ist, handelt es sich um besagte Personalverzeichnisse – und die Auskunft des Melderegisters, dass Pater Gregor Müller vom 09.04.1987 bis 15.09.1992 wieder in Uhldingen-Mühlhofen gemeldet war. Beides war dem Bistum spätestens im März bekannt.)
Weiter schrieb das Bistum (Hervorhebung von mir):
Dieser Abt trifft nach Maßgabe seiner Ordensstatuten auch die Personalentscheidungen innerhalb seines Territoriums. Er benötigt dazu weder die Genehmigung eines anderen Bischofs noch besteht irgendeine Form der Informationspflicht an andere Bischöfe.
Das Bistum erwähnt lediglich die Nichtexistenz einer Informationspflicht, verschweigt jedoch, dass dem Bistum der Einsatz Müllers in Birnau bekannt war. Das allein spricht Bände. Gleichzeitig erklärt das Bistum – in einer Meldung vom 07.06.2010, die immer noch die beiden obigen Stellen enthält:
[D]as Erzbistum Freiburg [wird] diese Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft Konstanz deshalb „mit allen zur Verfügung stehenden Unterlagen und Auskünften unterstützen“.
Welche Bedeutung der Kenntnis über den zweiten Birnau-Aufenthalt beizumessen ist, hängt natürlich davon ab, ob dem Bistum, bzw. dessen Personalreferenten Zollitsch, die Vorwürfe gegen den Pater bekannt waren. Nun wird es besonders interessant:
Das Erzbistum bestreitet nicht, von der Pädophilie des Paters gewusst zu haben
Dem Einwohnermelderegister zufolge wurde Pater Gregor im August 1968 aus Birnau abgezogen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er in Birnau bzw. Nußdorf mindestens ein Kind missbraucht, weitere Opfer aus dieser Zeit haben sich kürzlich gemeldet. Er war dann wieder in Mehrerau, wurde aber noch im Dezember des selben Jahres nach Oelenberg im Elsass (Frankreich) strafversetzt, weil er erneut – also unmittelbar nach seiner Versetzung – übergriffig wurde. Die Abtei musste also von den Übergriffen wissen. 1971 wurde Pater Gregor im Bistum Basel (Schweiz) angestellt. Bei seiner Einstellung war bekannt, dass er pädophil ist. Dokumente des Bistums Basel belegen, dass seinem Einsatz nur unter Auflagen zugestimmt wurde: „ärztliche Behandlung und Begleitung durch den zuständigen Pfarrer“. Trotzdem meldeten sich jetzt auch Opfer aus dem Bistum Basel.
Man könnte jetzt spekulieren, ob das Erzbistum 1987 von der Pädophilie des Paters wusste, als er wieder nach Birnau kam und – Aussagen zufolge alleine – die Seelsorge in Nußdorf übernahm. Anstatt zu spekulieren, kann man aber auch untersuchen, was das Erzbistum dazu sagt – und was nicht:
Das Erzbistum erklärte am 02.06.2010 und erneut am 07.06.2010:
Die Vorwürfe gegen Erzbischof Dr. Robert Zollitsch treffen nicht zu, weil
1. der Erzdiözese Freiburg erst seit Ende 2006 bekannt war, dass es in den 60er Jahren zumindest einen Fall von sexuellem Missbrauch bei der Wallfahrts- und Klosterkirche Birnau gab
Aufgepasst: Das Bistum sagt nicht, dass es überhaupt keine Kenntnisse darüber gehabt hat, dass Pater Gregor pädophil ist. Es stellt lediglich fest, dass es von dem konkreten Fall in Birnau erst 2006 Kenntnis erhalten hat. Aber was ist mit anderen Fällen – oder der allgemeinen Information, dass Pater Gregor pädophil ist? Immerhin war er bei seiner vorherigen Stelle in Basel deshalb nur unter Auflagen eingestellt worden.
Damit nicht genug: Wiederum in beiden Erklärungen (vom 02. bzw. 07.06.2010) heißt es, der frühere Personalreferent Zollitsch hätte nicht „von den Vorwürfen aus den 60er Jahren“ gewusst. Aber was ist mit späteren Vorwürfen – oder der bloßen „Feststellung“, dass Pater Gregor pädophil ist?
Für den Versuch, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz von jedem Verdacht reinzuwaschen, erscheinen die Erklärungen des Bistums eigenartig eingeschränkt.
Dazu passt auch, dass das Bistum die Vorwürfe zwar als „substanzlos“ oder „jeder Grundlage entbehrend“ bezeichnet – aber nicht als „falsch“! Lediglich der konkrete Vorwurf der „Beihilfe zum sexuellen Missbrauch“ wird deutlich als unzutreffend bezeichnet. Den Verdacht der Strafvereitelung zum Beispiel, der ebenfalls im Raum steht – und in der Anzeige – lässt das Erzbistum unerwähnt.
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