Vergelt’s Gott: Kirchlicher „Stundenlohn“ von 2.750 Euro?

16. November 2010
Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen (Alibri Verlag)

Schnell! Eine Task Force!

Die katholische Kirche macht mal wieder ihre Prioritäten deutlich: Vor zwei Wochen ist Carsten Frerks Violettbuch Kirchenfinanzen erschienen, und seitdem hat die Deutsche Bischofskonferenz nicht nur eine „Task Force“ zu dem Thema gebildet, sondern sogar schon Ergebnisse online gestellt: eine Art Kirchenfinanzierungs-FAQ. Dort finden sich Aussagen wie diese:

Wie viel Ehrenamt „hat“ die Kirche?

Das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn e.V. hat im Jahr 2000 die Entlastungen für Staat und Gesellschaft auf 11 Mrd. Euro jährlich geschätzt, die durch ehrenamtliche Tätigkeit geleistet wurden. Eine Erhebung in ca. 1.000 Gruppen der Caritas-Konferenzen Deutschland, einem von ehrenamtlicher Arbeit getragenen Fachverband der Caritas, hat für 2008 ca. 4 Mio. Arbeitsstunden ehrenamtlicher Arbeit ermittelt.

Teilt man nun die angegebenen 11 Milliarden Euro Entlastung durch ehrenamtliche Tätigkeit durch die angegebene Zahl der ehrenamtlichen Arbeitsstunden von 4 Millionen, so ergibt sich ein „Stundenlohn“ von 2.750 Euro!

Bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass im ersten Satz womöglich die Entlastung gemeint ist, die Staat und Gesellschaft insgesamt durch ehrenamtliche Tätigkeit entsteht – nicht nur durch die in kirchlichen Einrichtungen.

Umgekehrt wurde im Engagementatlas 2009 das (ehrenamtliche) bürgerliche Engagement insgesamt auf 4,6 Milliarden Stunden pro Jahr geschätzt. Die 4 Millionen Stunden, die offenbar ehrenamtlich in den Einrichtungen der Caritas geleistet werden, haben daran nur einen Anteil von unter einem Promille.


Bundesverfassungsgericht übersieht Verfassungswidrigkeit des besonderen Kirchgelds

12. November 2010

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das besondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe zurückgewiesen.

Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen seien bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach könne zwar nicht das einkommensteuerrechtlich ermittelte Einkommen des nicht einer Kirche angehörenden Ehegatten, wohl aber der Lebensführungsaufwand des kirchenangehörigen Ehegatten den Gegenstand der Besteuerung bilden (vgl. BVerfGE 19, 268 <282>). Wenn angesichts der Schwierigkeiten der Bestimmung des Lebensführungsaufwandes als Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des kirchenangehörigen Ehepartners dieser Aufwand nach dem gemeinsamen Einkommen der Ehegatten bemessen wird, sei hiergegen verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. [Pressemitteilung des BVerfG, 12.11.2010]

Da haben wohl entweder die Richter oder die Kläger geschlafen. Das beondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe ist klar verfassungswidrig, wie sich an mindestens zwei Punkten zeigen lässt:

1965 stellte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil mehrfach und eindeutig klar, dass die Kirchen nur ihre eigenen Mitglieder besteuern dürfen und dass deshalb die Kirchensteuer (dazu gehört auch das besondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe) nur an Merkmalen des Kirchenmitgliedes anknüpfen darf. Ausschlaggebend für das besondere Kirchgeld ist aber der Umstand, dass der Ehepartner des Kirchenmitglieds keiner steuererhebenden Kirche angehört. Die Kirchenmitgliedschaft des Ehepartners ist ganz eindeutig ein Kriterium, das eben nicht beim Kirchenmitglied ansetzt. Deshalb stellt das besondere Kirchgeld auch eine verfassungswidrige Besteuerung von Nichtmitgliedern dar.

Zwar hatten die Verfassungsrichter in Ihrem Urteilsspruch 1965 angemerkt, man könne den „Lebensführungsaufwand“ des Kirchenmitglieds als Grundlage für die Besteuerung heranziehen – das Gericht kann aber nur eine Regelung im Sinn gehabt haben, bei dem dann jedes Kirchenmitglied, das keine Kirchensteuer vom eigenen Einkommen zahlt, das besondere Kirchgeld zahlen muss – und nicht bloß, wie bei der jetzigen Regelung, diejenigen Kirchenmitglieder, deren Ehepartner keiner steuererhebenden Kirche angehört. Dann müssten z.B. evangelische Frauen, die kein eigenes Einkommen haben, deren (gutverdienender) Mann aber katholisch ist, auch das besondere Kirchgeld zahlen.

Das besondere Kirchgeld wird immer dann erhoben, wenn der Ehepartner nicht Mitglied einer steuererhebenden Kirche ist. Dies würde Religionsgemeinschaften wie z.B. Freikirchen, die ihre Mitgliedsbeiträge nicht in Form von Kirchensteuern, sondern ganz normal erheben, zwingen, eine Kirchensteuer einzuführen, um ihren Mitgliedern in glaubensverschiedenen Ehen eine Doppelbelastung zu ersparen. Diese Auswirkungen auf andere – selbst, wenn dies zur Zeit nur theoretische Überlegungen sind – zeigen klar, dass mit dem besonderen Kirchgeld Nichtmitglieder besteuert werden.

Und das ist nun mal verfassungswidrig.

Nachtrag: Hier die Passage aus der Entscheidung des BVerfG von 1965 (BVerfGE 19, 268 – Kirchenlohnsteuer II, Hervorhebungen von mir):

Es könnte unbillig erscheinen, wenn ein einer steuerberechtigten Kirche angehörender Ehegatte, dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sich durch die Ehe erhöht hat, weil sein — der Kirche nicht angehörender — Ehegatte ein hohes Einkommen bezieht, mangels eigenen Einkommens im Sinne des Einkommensteuergesetzes kirchensteuerfrei bliebe. Wenn diesen Bedenken Rechnung getragen werden soll, müßten, da die Kirche nur den ihr angehörenden Ehegatten besteuern darf, Besteuerungsmerkmale gewählt werden, die in dessen Person gegeben sind. Gegenstand der Besteuerung dürfte dann nicht das Einkommen (im Sinne des Einkommensteuerrechts) des anderen Ehegatten, sondern könnte etwa der „Lebensführungsaufwand“ des kirchenangehörigen Ehegatten sein. Die Kirchensteuer müßte dann aber ihrer Höhe nach in angemessenem Verhältnis zu dem tatsächlichen Lebenszuschnitt des steuerpflichtigen Ehegatten stehen; sie dürfte nicht schematisch jeder Veränderung des Einkommens des anderen Ehegatten unbegrenzt folgen, weil jeder normale Lebensaufwand bestimmte Grenzen nicht überschreitet.

Man beachte, dass dort nichts davon steht, dass das besondere Kirchgeld nur von Kirchenmitgliedern erhoben werden soll, deren Partner keiner steuererhebenden Kirche angehören.

Ausführliche Informationen zum besonderen Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe gibt es auf Kirchgeld-Klage.info.


Erobern religiöse Menschen mit vielen Nachkommen die Welt?

25. März 2010

Hier eine hochinteressante Pressemitteilung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung:

Glaube, Macht und Kinder

Dr. Margret Karsch, 
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

25.03.2010 09:00

Erobern religiöse Menschen mit vielen Nachkommen die Welt?

Mindestens ein halbes Jahrhundert lang war die Religion in Europa auf dem Rückzug. Glaubten um das Jahr 1950 in vielen Ländern Europas noch rund 80 Prozent aller Menschen an Gott, so ging dieser Wert bis etwa 1990 überall deutlich zurück. Doch vor dem Hintergrund der niedrigen Geburtenraten in nahezu allen hoch entwickelten Industrieländern vermuten nun einige Wissenschaftler, der Anteil religiöser Menschen an der Bevölkerung nehme wieder zu. Nicht wegen einer Renaissance der Religiosität aus innerem Antrieb, sondern weil Gläubige deutlich mehr Kinder haben als Atheisten. Das Diskussionspapier „Glaube, Macht und Kinder“ des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung beleuchtet dieses Thema.

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Das Internet: Sterbehilfe für Religionen

13. März 2010

Der großartige Thunderf00t hat ein neues Video, in dem er die These aufstellt, dass das Internet der Verbreitung und Aufrechterhaltung von Religion entgegenwirkt. Der Grund ist, dass Religion davon lebt, nicht kritisch hinterfragt zu werden (während demgegenüber Wissenschaft gerade davon lebt, dass Ideen kritisch durchleuchtet werden) – und das Internet macht es schwer, die Leute von der Kritik fernzuhalten.

Was nach einer Woche voller kirchlicher Heuchelei zumindest das Wochenende gerettet hat war die Erkenntnis, dass Thunderf00ts YouTube-Kanal viermal soviele Abonnenten hat wie der Vatikan:

Also, hier Thunderf00ts Video:

Killt das Handy die Kirche?

Dazu passt noch ein Artikel, den ich gestern gelesen habe: Killt das Handy die Kirche? Warum Gemeinden so schwer wachsen. Darin geht es darum, dass kirchliche Gemeinden ihre soziale Vernetzungsfunktion verlieren, da diese Funktion heute von Handy, Facebook usw. übernommen wird.

Schönes Wochenende!


Christliche Witzfiguren

15. Februar 2010

Die Kirche von England hat eine Erklärung verabschiedet, in der behauptet (nicht belegt!) wird, dass der Glaube an Gott – gemeint ist offensichtlich der „anglikanische“ Gott – und die Naturwissenschaften miteinander kompatibel seien. Die Erklärung richtet sich gegen atheistische Wissenschaftler wie Richard Dawkins, die – das wirft ihnen die Kirche vor – den Glauben als „plumpe Karikatur“ darstellen, der „blind und irrational sei“.

Der Vorwurf, Dawkins würde gegen „Strohmänner“ argumentieren – also Vorstellungen oder Argumente, die Christen heute gar nicht (mehr) so vertreten würden, scheint mir in der Tat einer der häufigsten Vorwürfe gegen Dawkins zu sein.

Aber wenn Dawkins tatsächlich nur gegen „Windmühlen“ ankämpft: Wie kommt es dann, dass – jedenfalls soweit ich das beurteilen kann – seine Gegner ihm immer gerade mit den Argumenten zu kommen scheinen, die er in seinem Buch „Der Gotteswahn“ bereits widerlegt hat? (Hier reicht es sogar aus zu sagen: besprochen hat.) Siehe z.B. Robert Spaemann und Manfred Lütz, bei denen ich schon vor einiger Zeit darauf hinwies, dass ihre exakte Argumentation in „Der Gotteswahn“ bereits behandelt wurde.

Wenn Dawkins‘ Darstellung des christlichen Standpunkts eine „plumpe Karikatur“ sein soll, sich seine Gegner aber gerade der von Dawkins besprochenen Argumente bedienen – dann muss es sich bei Dawkins‘ Kritikern offenbar um Witzfiguren handeln.

Ach so: Und da religiöser Glaube per Definition irrational ist – ansonsten würde man ihn nämlich nicht als Glaube bezeichnen (bei der Evolutions- oder Relativitätstheorie hingegen spricht man nicht von „Glauben“, bzw. tun das nur christliche Apologeten) – und sich die Church of England demgegenüber offensichtlich blind stellt, beweist sie mit ihrer Aktion nur, was sie bestreiten will.

Hinweis: Die Church of England hat hier und hier Hintergrundinformationen zu der Erklärung. Mir kam’s vor wie Geschwafel, aber wer will, kann sich’s ja durchlesen (auf Englisch).


Wissenschaft und Religion

4. Januar 2010

Eine offenbar viel zu wenig bekannte  Quelle für interessante (englischsprachige) Videos von Vorträgen und Diskussionen ist FORA.tv. Ich habe die Podcasts abonniert, und es sind immer wieder interessante Beiträge aus Bereichen dabei, von denen ich sonst nicht viel mitbekomme.

Gestern sah ich eine interessante Diskussion mit Daniel Dennett, der mich immer wieder beeindruckt. Highlight für mich: Gegen Ende (ca. 1:12:30) sagt Dennett, im Hinblick auf die „Militanz“ der „vier apokalyptischen Reiter“ (Sam Harris, Christopher Hitchens, Richard Dawkins und er selbst):  „Es gibt einfach keine höfliche Möglichkeit zu sagen: Entschuldigen sie, haben sie schon einmal in Erwägung gezogen, dass sie ihr Leben mit einer Wahnvorstellung vergeudet haben?“

Dennett befasst sich ja mit der Erforschung von Religion aus evolutionärer Sicht. Zu diesem Thema verwies sein Kollege zur Rechten, David Sloan Wilson, folgende Website: Evolutionary Religious Studies. Der Herr links im Bild ist der katholische Theologe John F. Haught.

verquer hat auf seinem Blog gestern übrigens auch auf eine höchst interessante Quelle aufmerksam gemacht: TED. Da gibt es sogar deutsche (bzw. deutsch untertitelte) Beiträge.


Weltparlament der Trittbrettfahrer

9. Dezember 2009

Während seit Montag die UN-Klimakonferenz zum 15. Mal zusammenkommt, trifft sich gleichzeitig noch bis heute in Australien unter dem Motto  „Einen himmelweiten Unterschied machen: einander zuhören, die Erde heilen“ das sog. „Parlament der Weltreligionen„. Die haben sich 1893 zum ersten Mal getroffen, dann hundert Jahre nicht mehr, um dann zum hundertjährigen Jubiläum 1993 einen Minimalkonsens der Religionen bezüglich Werten, Maßstäben und Verfahrensweisen zu formulieren. Ich nehme an, für eine Anerkennung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) hat’s nicht gereicht.

Prominentester Gast dieses Jahr ist seine Heiligkeit, Dr. h.c. Dalai Lama: 

Bei dem Treffen setzte sich der Dalai Lama für einen gemeinsamen Kampf gegen die Umweltzerstörung ein. […]

Der Dalai Lama wies darauf hin, dass der weltweite Klimawandel in Tibet am deutlichsten zu spüren sei – die Temperaturen steigen auf dem tibetischen Hochplateau mit doppelter Geschwindigkeit. Dort entspringen die vier größten Wasseradern Asiens. Damit ist der Erhalt des tibetischen Ökosystems für den gesamten Kontinent von größter Bedeutung.

Darauf hat die Welt gewartet: Die Wissenschaftler sind sich seit Jahren im Grundsatz über den Klimawandel einig. Seit 15 Jahren finden Klimagipfel statt. Vor einigen Jahren gab es ein populäres Video – „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore – das mittlerweise auch schon wieder so alt ist, dass ich es schon als Zeitschriftenbeilage gesehen habe. Und jetzt springen auch noch die Weltreligionen auf den Zug auf?

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Kleiner Tipp für’s Zusammenleben

8. Dezember 2009

In Melbourne, Australien, tagt noch bis morgen das sog. „Parlament der Weltreligionen“. Eines der Themen ist, wie Christen und Muslime zusammen leben können.

Es ist ja immer schön, wenn man miteinander spricht, anstatt sich die Köppe einzuschlagen, aber hier mal ein kleiner Tipp für’s Zusammenleben von mir:

Leute hört auf, euch selbst und eure Nachbarn als Erstes als Angehörige einer Religion zu betrachten. Wir sind alle Menschen, ok? Lasst die Andern doch ihre komischen Sitten und Gebräuche!

Ich wettere hier im Blog zwar gegen Kirche und Religion, im täglichen Leben ist es mir allerdings weitgehend egal, welche Religion meine Familienmitglieder, meine Nachbarn, Kollegen, Kunden, der Busfahrer oder die Verkäuferin haben. Warum sollte mich deren Religion überhaupt interessieren? Bei Politikern ist es etwas anderes, aber selbst da geht es nicht um die Religion an sich, sondern um die Wahrung der staatlichen Neutralität, und da neigen Religiöse erfahrungsgemäß zur Privilegierung bestimmter Religionsgesellschaften.

Umgekehrt – glaubt es mir oder nicht – dränge ich meine weltanschauliche Perspektive nie jemandem auf. Ich weiß, dass manche Menschen sich bereits vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn man sich als Atheist „outet“. Das wäre zwar immer noch deren Problem, aber weshalb sollte ich das überhaupt ohne Anlass zur Sprache bringen?

Viel Spaß noch beim Palavern!


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