Zollitsch: „Ermittlungen“ eingestellt

21. Juli 2010

Es ist wohl reiner Zufall, dass die einzigen guten Nachrichten für Erzbischof Robert Zollitsch diese Woche von der Staatsanwaltschaft kommen, die gegen ihn ermittelt (hat): Als Am Montag die Sendung „Report Mainz“ mit neuen Vorwürfen angekündigt war, meldete der Südkurier, die Einstellung des Verfahrens gegen Zollitsch stünde wohl diese Woche bevor. Heute berichtete die Badische Zeitung ausführlich, dass Kirchenrechtler der Darstellung, mit der sich das Bistum gegen die Strafanzeige verteidigte, widersprechen – und die Staatsanwaltschaft meldet die Einstellung des Verfahrens.

Beim Lesen der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Konstanz muss man sich allerdings fragen, ob die „Ermittlungen“ überhaupt jemals aufgenommen wurden:

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Wie Zollitsch und sein Ordinariat die Öffentlichkeit täuschen

20. Juli 2010

An dem gestrigen Beitrag von Report  MainzDie katholische Kirche und die Wahrheit“ wurde wieder sehr schön deutlich, wie das Bistum Freiburg mit ausgeklügelten Formulierungen die Öffentlichkeit täuscht.

In dem Beitrag heißt es: „Erst 1995 habe die Erzdiözese von einem Missbrauchsopfer erfahren“.

Diesen Eindruck haben Erzbischof Zollitsch und sein Ordinariat zwar erweckt – sie haben das aber nie tatsächlich so gesagt. Das Ordinariat Freiburg weiß nämlich (aus Erfahrung), dass – wenn es nur geschickt genug formuliert – es gar nicht selbst zu lügen braucht: Solange die Medien nämlich die Formulierungen des Ordinariats in dem beabsichtigten Sinn missverstehen und dann ihrerseits – unwissend – die Unwahrheit als Tatsachendarstellung verbreiten.

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Report Mainz: Neue Vertuschungsvorwürfe gegen Erzbischof Zollitsch (19.07.2010)

20. Juli 2010

Die katholische Kirche und die Wahrheit – Sendung vom Montag, 19.7.2010 | 21.45 Uhr | Das Erste

Wie angekündigt, berichtete Report Mainz gestern Abend von neuen Vorwürfen gegen Erzbischof Zollitsch, der auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ist.

Dabei zeigt der Report-Beitrag von Ulrich Neumann und Gottlob Schober, dass vieles von dem, was – nach dem ersten „Report“-Beitrag über die Missbrauchsfälle in Oberharmersbach – im März von der Diözese verkündet wurde, sich heute als falsch herausstellt:

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Ermittlungsverfahren gegen Zollitsch vor der Einstellung?

19. Juli 2010

Genau zum richtigen Zeitpunkt – kurz vor der angekündigten Sendung von Report Mainz, da wird es wohl wenig Beachtung finden – meldet der Südkurier, dass das Ermittlungsverfahren gegen Erzbischof Dr. Zollitsch voraussichtlich in dieser Woche eingestellt wird.

Update: Ausführlicherer Artikel des Südkuriers hier.

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„Lückenlose Aufklärung“: Fragen an das Ordinariat Freiburg

14. Juni 2010

Zum Auftakt der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz erklärte deren Vorsitzender, der Freiburger Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, am 22. Februar 2010:

Wo immer nämlich ein  Verdacht vorliegt, muss es eine lückenlose und absolut transparente Aufklärung geben. […] Wir deutschen Bischöfe drängen darauf, dass die früheren und teils lange zurückliegenden wie natürlich alle neueren Fälle sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen aufgeklärt werden.

Die Staatsanwaltschaft Konstanz ermittelt derzeit gegen Zollitsch. Wie berichtet, werfen die bisherigen Erklärungen des Erzbistums hierzu mehr Fragen auf als sie beantworten.

Die Erklärungen, die das Ordinariat Freiburg der Öffentlichkeit gegenüber abgegeben hat, müssen zumindest bei wohlwollender Betrachtung noch nicht als Lüge bezeichnen werden. (Wie z.B. die Formulierung, es gäbe „Hinweise“ darauf, dass der beschuldigte Pater erneut in Birnau eingesetzt war, obwohl das Ordinariat weiß, dass der Pater wieder dort eingesetzt war.)

Dem Opfer gegenüber hat das Ordinariat allerdings mehrfach Auskünfte gegeben, die tatsächlich falsch waren – und die die Recherchen des Opfers in völlig falsche Richtungen geleitet hätten:

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Ermittlungen gegen Zollitsch: Erzbistum bestreitet Vorwürfe nicht

11. Juni 2010

Wenn Sie bisher gedacht haben, das Erzbistum Freiburg hätte die Vorwürfe, wegen denen gegen Erzbischof Zollitsch ermittelt wird, entkräftet – dann hat das Bistum mit seinen Erklärungen genau das erreicht, was es offenbar damit bezweckt. In bewährter Weise wurde vom Thema abgelenkt und spitzfindig formuliert. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Vorwürfe nicht einmal dementiert wurden.

Die Vorwürfe

Zunächst zu den Vorwürfen: Diese gehen dahin, dass das Erzbistum Freiburg bzw. der damalige Personalreferent Zollitsch von 1987 bis 1992 den Einsatz des bekanntermaßen pädophilen Zisterzienserpaters Gregor Müller (bürgerlich: Konrad Müller) auf dem Territorium und damit auch im Verantwortungsbereich der Erzdiözese geduldet haben. Auch wenn bisher keine konkreten Fälle nach 1987 bekannt sind, so muss doch aufgrund der kriminellen Aktivität von Pater Gregor  – z.T. eingestandene Missbräuche in Birnau (Deutschland), Mehrerau (Österreich) und dem Bistum Basel (Schweiz)  – sowie aus dem Umstand, dass er später bei einem erneuten Einsatz in der Schweiz Videoabende und Pizzaparties mit Kindern veranstaltet haben soll, befürchtet werden, dass ihm noch weitere Kinder oder Jugendliche zum Opfer gefallen sind. Diese Taten wären u.U. noch nicht verjährt, selbst, wenn sie während des zweiten Aufenthaltes des Paters in Birnau von 1987 bis 1992 stattgefunden haben.

Es geht daher nicht, wie zunächst fälschlich gemeldet wurde, um den Vorwurf, Zollitsch habe den Einsatz des pädokriminellen Paters „veranlasst“ – sondern nur um „Duldung“. Die Staatsanwaltschaft Konstanz hat dies mittlerweile richtiggestellt. Die Badische Zeitung schreibt dazu:

Otto Röding, Leitender Oberstaatsanwalt in Konstanz, sagte, [… der Anzeigeerstatter] gehe davon aus, dass Zollitsch damals um Vorgeschichte und Aufenthalt des beschuldigten Zisterzienserpaters wusste oder bei genügender Sorgfalt hätte wissen können. Das Freiburger Ordinariat bestritt beides am Montag erneut: Der damalige Personalreferent Zollitsch sei für die Klosterkirche und deren Personalpolitik gar nicht zuständig gewesen; von den Vorwürfen und einem Einsatz des Paters habe er nichts gewusst.

Ob die Badische Zeitung das Dementi des Erzbistums sauber wiedergegeben hat, werden wir gleich sehen:

Zuständigkeit

Zollitsch selber hat sich bisher nicht zu der Angelegenheit geäußert, abgesehen von einem kurzen Interview in der Print-Ausgabe des SPIEGELS (23/2010, S. 14), wo er lediglich die Formulierungen des Bistums wiederholt. Dazu später mehr.

Das Bistum wird nicht müde, zu betonen, „dass Zollitsch mit Personalentscheidungen und Vorgängen im Kloster Birnau sicher nichts zu tun hatte“ (Pressemitteilung der Erzdiözese Freiburg vom 07.06.2010. Anlass war die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Konstanz, dass sie die Ermittlungen gegen Zollitsch übernimmt. Dabei  hatte die Staatsanwaltschaft auch richtiggestellt, dass es nicht um „Veranlassung“, sondern um „Duldung“ der Anstellung ging.) Seit dem 02.06.2010 weist das Bistum darauf hin (Hervorhebungen von mir):

Die Zisterzienserabtei Mehrerau ist eine „Territorialabtei“, die dem zuständigen Abt untersteht. Die Wallfahrts- und Klosterkirche Birnau gehört als Priorat seit 1919 zur Abtei Mehrerau. Bei einer „Territorialabtei“ (vgl. can. 370 CIC/1983) handelt es sich um ein territorial umschriebenes Gebiet, dessen Betreuung einem Abt übertragen ist. Dieser trägt die alleinige Verantwortung – wie ein Diözesanbischof. Eine solche Gebietsabtei gehört zu keinem Bistum und ist vollständig unabhängig vom Diözesanbischof. Geleitet wird sie von einem Abt (als „eigenberechtigter Ortsordinarius“), der die entsprechenden Rechte und Pflichten in seinem Gebiet wahrnimmt. Dieser Abt trifft nach Maßgabe seiner Ordensstatuten auch die Personalentscheidungen innerhalb seines Territoriums. Er benötigt dazu weder die Genehmigung eines anderen Bischofs noch besteht irgendeine Form der Informationspflicht an andere Bischöfe.

Auch der Abt der Abtei Wettingen-Mehrerau (Österreich), zu der das Priorat Birnau (Deutschland) gehört, gab eine Stellungnahme zur Entlastung Zollitschs ab, die das Bistum auch auf seiner Website zitiert und verlinkt. Darin heißt es:

„Das Priorat Birnau gehört zur Gebietsprälatur der Zisterzienserabtei Wettingen-Mehrerau bei Bregenz. Der Abt dieses Klosters ist kirchenrechtlich für die Mitglieder der Gemeinschaft zuständig. Zudem ist die Gemeinschaft der Zisterzienser ein Orden päpstlichen Rechts und untersteht damit nicht dem jeweiligen Bischof vor Ort, sondern dem Papst in Rom.“

Was das Erzbistum Freiburg und der Abt nicht sagen, ist, dass die Zisterzienser des Priorats Birnau seit 1946 auch außerhalb ihres Abteiterritoriums seelsorgerlich tätig sind: Nämlich in den umliegenden Orten Nußdorf (hier kam es zu mindestens einem Missbrauch) und Deisendorf. Das Erzbistum erteilt dazu dem Prior von Birnau die Leitung der Seelsorgeeinheit  (früher: Pfarrkuratie) Birnau, die eben auch die genannten Orte auf dem Territorium des Erzbistums umfasst – und damit im Zuständigkeitsbereich des Bistums liegt. Die Zisterzienser schreiben selbst auf ihrer Website:

PFARREI NUßDORF UND DEISENDORF

Neben der Wallfahrt obliegt den Patres der Birnau seit 1946 auch die Seelsorge für die beiden Orte Nußdorf und Deisendorf. Die Seelsorgeinheit Birnau, errichtet zum 1. Januar 2008, wird von Pater Bruno Metzler O.Cist. als zuständigem Pfarradministrator geleitet.

Dass die Beauftragung der Zisterzienser mit der Seelsorge in Nußdorf und Deisendorf durch das Erzbistum erfolgt, geht z.B. aus einem Eintrag im Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg hervor:

Der Herr Erzbischof [Dr. Robert Zollitsch] hat mit Urkunde vom 17. Dezember 2007 die Seelsorgeeinheit Birnau, bestehend aus der Pfarrei Mariä Himmelfahrt Birnau, Dekanat Linzgau, mit Erlasse des Ordinariates Wirkung vom 1. Januar 2008 errichtet und P. Bruno Metzler OCist zum Leiter dieser Seelsorgeeinheit bestellt. [Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg, 1. Februar 2008, S. 213-214. Hervorhebung von mir.]

Damit mögen Zollitsch und das Bistum für die (Personal-) Entscheidung, Pater Gregor wieder im Priorat Birnau einzusetzen, nicht verantwortlich sein – aber dessen Einsatz in Nußdorf und ggf. Deisendorf fällt dennoch in den Zuständigkeitsbereich der Erzdiözese.

Bezeichnend ist in dieser Hinsicht auch Zollitschs Antwort auf die Frage des SPIEGEL-Reporters (s.o.):

SPIEGEL: Sind Sie als langjähriger Personalchef des Erzbistums Freiburg für den erneuten Einsatz des Paters auch nach dessen Missbrauchshandlung in den sechziger Jahren verantwortlich?

Zollitsch: Wo ein Zisterzienser lebt und arbeitet, entscheidet sein Abt, nicht ich. Dieser Pater wurde nicht vom Erzbistum Freiburg angestellt oder bezahlt – auch in den achtziger Jahren nicht.

Zollitsch sagt nicht, dass er nicht verantwortlich war, sondern wiederholt lediglich die Feststellungen aus den Bistumserklärungen. (Mehr zum Interview hier: Interessant ist, was Zollitsch nicht sagt, gegen Ende.)

Stellt sich die Frage, ob Zollitsch tatsächlich nichts vom Einsatz des Paters wusste. Oder hätte wissen können.

Das Erzbistum wusste, dass Pater Gregor wieder in Birnau war

Wie das Erzbistum schließlich zugab – allerdings erst, als es sich nicht mehr abstreiten ließ – war Pater Gregor von 1989 bis 1992 (dem Bistum zufolge sogar bis 1995) im Personalverzeichnis (Schematismus) der Erzdiözese aufgeführt (Beispiel aus 1992):

Als Leiter der Pfarrkuratie Birnau des Erzbistums (Dekanat Linzgau) war im Verzeichnis (wie heute auch) der Prior aufgeführt:

Die Zahl 956 in Klammern gibt die Zahl der Katholiken in der Pfarrkuratie an. Dass der Prior die Seelsorgeeinheit „leitet“ (vgl. Birnau-Website und Amtsblatt der Erzdiözese) macht deutlich, dass (auch) die übrigen Patres dort unter seiner Leitung die Seelsorge wahrnehmen. Dem Bistum war also spätestens ab 1989 bekannt, dass Pater Gregor wieder in Birnau war – und somit auch auf dem Territorium und damit im Zuständigkeitsbereich des Erzbistums zum Einsatz kommen könnte, ja würde: Die anderen beiden Mönche waren nämlich 1992 78 Jahre (Franziskus) bzw. 79 Jahre (Prior Ambrosius) alt – Pater Gregor war 51.

Wie hat das Erzbistum diesen Sachverhalt dargestellt? Am 02.06.2010 erklärte das Bistum in einer „Medien-Infomation“:

Eine weitere Anstellung beim Erzbistum Freiburg hat es nicht gegeben – wenngleich es Hinweise darauf gibt, dass der beschuldigte Pater erneut zur Klostergemeinschaft des Zisterzienserordens in Birnau gehörte. Deren Zusammensetzung wird vom Abt des Ordens eigenständig geregelt

(Bei den „Hinweisen“ auf den erneuten Aufenthalt des Paters in Birnau, von denen in der Medien-Information die Rede ist, handelt es sich um besagte Personalverzeichnisse – und die Auskunft des Melderegisters, dass Pater Gregor Müller vom 09.04.1987 bis 15.09.1992 wieder in Uhldingen-Mühlhofen gemeldet war. Beides war dem Bistum spätestens im März bekannt.)

Weiter schrieb das Bistum (Hervorhebung von mir):

Dieser Abt trifft nach Maßgabe seiner Ordensstatuten auch die Personalentscheidungen innerhalb seines Territoriums. Er benötigt dazu weder die Genehmigung eines anderen Bischofs noch besteht irgendeine Form der Informationspflicht an andere Bischöfe.

Das Bistum erwähnt lediglich die Nichtexistenz einer Informationspflicht, verschweigt jedoch, dass dem Bistum der Einsatz Müllers in Birnau bekannt war. Das allein spricht Bände. Gleichzeitig erklärt das Bistum – in einer Meldung vom 07.06.2010, die immer noch die beiden obigen Stellen enthält:

[D]as Erzbistum Freiburg [wird] diese Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft Konstanz deshalb „mit allen zur Verfügung stehenden Unterlagen und Auskünften unterstützen“.

Welche Bedeutung der Kenntnis über den zweiten Birnau-Aufenthalt beizumessen ist, hängt natürlich davon ab, ob dem Bistum, bzw. dessen Personalreferenten Zollitsch, die Vorwürfe gegen den Pater bekannt waren. Nun wird es besonders interessant:

Das Erzbistum bestreitet nicht, von der Pädophilie des Paters gewusst zu haben

Dem Einwohnermelderegister zufolge wurde Pater Gregor im August 1968 aus Birnau abgezogen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er in Birnau bzw. Nußdorf mindestens ein Kind missbraucht, weitere Opfer aus dieser Zeit haben sich kürzlich gemeldet. Er war dann wieder in Mehrerau, wurde aber noch im Dezember des selben Jahres nach Oelenberg im Elsass (Frankreich) strafversetzt, weil er erneut – also unmittelbar nach seiner Versetzung – übergriffig wurde. Die Abtei musste also von den Übergriffen wissen. 1971 wurde Pater Gregor im Bistum Basel (Schweiz) angestellt. Bei seiner Einstellung war bekannt, dass er pädophil ist. Dokumente des Bistums Basel belegen, dass seinem Einsatz nur unter Auflagen zugestimmt wurde: „ärztliche Behandlung und Begleitung durch den zuständigen Pfarrer“. Trotzdem meldeten sich jetzt auch Opfer aus dem Bistum Basel.

Man könnte jetzt spekulieren, ob das Erzbistum 1987 von der Pädophilie des Paters wusste, als er wieder nach Birnau kam und – Aussagen zufolge alleine – die Seelsorge in Nußdorf übernahm. Anstatt zu spekulieren, kann man aber auch untersuchen, was das Erzbistum dazu sagt – und was nicht:

Das Erzbistum erklärte am 02.06.2010 und erneut am 07.06.2010:

Die Vorwürfe gegen Erzbischof Dr. Robert Zollitsch treffen nicht zu, weil

1. der Erzdiözese Freiburg erst seit Ende 2006 bekannt war, dass es in den 60er Jahren zumindest einen Fall von sexuellem Missbrauch bei der Wallfahrts- und Klosterkirche Birnau gab

Aufgepasst: Das Bistum sagt nicht, dass es überhaupt keine Kenntnisse darüber gehabt hat, dass Pater Gregor pädophil ist. Es stellt lediglich fest, dass es von dem konkreten Fall in Birnau erst 2006 Kenntnis erhalten hat. Aber was ist mit anderen Fällen – oder der allgemeinen Information, dass Pater Gregor pädophil ist? Immerhin war er bei seiner vorherigen Stelle in Basel deshalb nur unter Auflagen eingestellt worden.

Damit nicht genug: Wiederum in beiden Erklärungen (vom 02. bzw. 07.06.2010) heißt es, der frühere Personalreferent Zollitsch hätte nicht „von den Vorwürfen aus den 60er Jahren“ gewusst. Aber was ist mit späteren Vorwürfen – oder der bloßen „Feststellung“, dass Pater Gregor pädophil ist?

Für den Versuch, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz von jedem Verdacht reinzuwaschen, erscheinen die Erklärungen des Bistums eigenartig eingeschränkt.

Dazu passt auch, dass das Bistum die Vorwürfe zwar als „substanzlos“ oder „jeder Grundlage entbehrend“ bezeichnet – aber nicht als „falsch“! Lediglich der konkrete Vorwurf der „Beihilfe zum sexuellen Missbrauch“ wird deutlich als unzutreffend bezeichnet. Den Verdacht der Strafvereitelung zum Beispiel, der ebenfalls im Raum steht – und in der Anzeige – lässt das Erzbistum unerwähnt.


Interessant ist, was Zollitsch nicht sagt

10. Juni 2010

Hier der Text eines Leserbriefes, den ich gerade an den SPIEGEL geschickt habe. Dort gibt es in der aktuellen Printausgabe (23/2010, S. 14) ein Interview mit Robert Zollitsch, in dem auch kurz auf den „Beihilfe-Vorwurf“ eingegangen wird. Ihr könnte Euch das Interview aber sparen, Zollitsch wiederholt diesbezüglich nur die Formulierungen, die das Erzbistum sowieso schon publiziert hatte. Hier mein Leserbrief:

Zollitsch wird verdächtigt, als Personalreferent der Erzdiözese Freiburg von 1987 bis 1992 einen als pädophil bekannten Pater in Birnau und den umliegenden Orten geduldet zu haben.

Laut Auskunft der Diözese war der Pater ab 1989 im kirchlichen Personalverzeichnis (Schematismus) in Birnau aufgeführt.

Es fällt auf, dass Zollitsch das Interview nicht nutzt, um klarzustellen, dass er persönlich nichts von den Vorwürfen gegen den Pater gewusst hat. Stattdessen weist er darauf hin, „das Erzbistum“ habe erst 2006 „von einem [bestimmten] Fall“ erfahren. Das Bistum Basel wusste aber bereits 1971 von mehreren Missbräuchen durch den Pater. Wusste das Erzbistum Freiburg, wusste Personalreferent Zollitsch auch von den anderen Fällen nichts? Dazu schweigt sich der Erzbischof aus.

Erzbischof Zollitsch hat dem Zisterzienserorden im Dezember 2007 erneut die Verantwortung für die Seelsorge in Birnau und Umgebung übertragen (Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg). Genau ein Jahr, nachdem sich das Opfer beim Bistum gemeldet hatte. Zu diesem Zeitpunkt hätte Zollitsch wissen können, dass der zuständige Abt seiner Zusage gegenüber dem Bistum, „die erforderlichen Schritte einzuleiten“ und „sofort auch das Bistum Chur [zu] verständigen“ (Bistum Freiburg) nicht nachgekommen ist.

Spätestens diesen März (2010), als das Bistum von der Untätigkeit und damit Unzuverlässigkeit der Abtei Kenntnis erhielt, hätte Erzbischof Zollitsch den Zisterziensern die Seelsorge in seinem Erzbistum wieder entziehen müssen – zumindest bis zur restlosen Klärung des Falles.

Hier zunächst der Auszug aus dem Amtsblatt (Hervorhebung von mir):

Der Herr Erzbischof [Dr. Robert Zollitsch] hat mit Urkunde vom 17. Dezember 2007 die Seelsorgeeinheit Birnau, bestehend aus der Pfarrei Mariä Himmelfahrt Birnau, Dekanat Linzgau, mit Erlasse des Ordinariates Wirkung vom 1. Januar 2008 errichtet und P. Bruno Metzler OCist zum Leiter dieser Seelsorgeeinheit bestellt. [Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg, 1. Februar 2008, S. 213-214]

„Leiter“ ist wohl so zu deuten, dass es noch „zu leitende“ Patres gibt, die die Seelsorge durchführen. Wer das damals war, sehen wir gleich.

Die Beauftragung der Zisterzienser mit der Seelsorge in den umliegenden Orten Nußdorf und Deisendorf wird bereits seit 1946 praktiziert. So schreiben die Zisterzienser selbst auf ihrer Website:

Neben der Wallfahrt obliegt den Patres der Birnau seit 1946 auch die Seelsorge für die beiden Orte Nußdorf und Deisendorf. Die Seelsorgeinheit Birnau, errichtet zum 1. Januar 2008, wird von Pater Bruno Metzler O.Cist. als zuständigem Pfarradministrator geleitet.

Der Personalschematismus der Erzdiözese Freiburg von 1992 liegt mir auszugsweise vor (Dank an meinen Informanten). Zuständig für die Pfarrkuratie Birnau (im Dekanat Linzgau der Erzdiözese Freiburg) war (wie auch heute) der Prior der Zisterzienser in Birnau, die angegebene Telefonnummer ist die des Priorats:

In Birnau waren damals (1992) nur drei Patres aufgeführt. Die anderen beiden (Ambrosius und Franziskus) waren schon fast 80 Jahre alt, Pater Gregor war damals 52. Nußdorfern zufolge soll er sich als Einziger um Nußdorf (Erzbistum Freiburg) gekümmert haben.

Bezeichnend ist aber auch Zollitschs Nicht-Antwort auf eine andere SPIEGEL-Frage:

SPIEGEL: Hätte der Fall durch bessere Kommunikation zwischen Orden und Erzbistum vermieden werden können?

Zollitsch: Das Erzbistum Freiburg hat Ende 2006 erstmals von einem Fall sexuellen Missbrauchs bei der Wallfahrtskirche Birnau erfahren. Wir haben dann – mit Blick in die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz von 2002 – unverzüglich den für Birnau verantwortlichen Abt der Zisterzienser informiert.

In Bezug auf die Frage wäre relevant gewesen, dass das Bistum Basel von den Vorwürfen wusste, Freiburg aber (angeblich) nicht. Es wäre auch relevant gewesen, dass die Abtei nach 2006 drei Jahre lang untätig war und Zollitschs Bistum auch nicht nachgefragt hat, ob der Abt seine Zusagen eingehalten hat. Das zeigt im Übrigen, wie unzureichend die Leitlinien sind.

Stattdessen hat Zollitsch die Zisterzienser, wie gesagt, Ende 2007 trotz Untätigkeit erneut mit der Seelsorge in Birnau und Umgebung beauftragt.

UPDATE: Auf die Frage nach der Kommunikation antwortet Zollitsch:

Das Erzbistum Freiburg hat Ende 2006 erstmals von einem Fall sexuellen Missbrauchs bei der Wallfahrtskirche Birnau erfahren.

Darin liegt ja gerade das Kommunikationsproblem! Der Abt von Mehrerau muss von den Taten des Paters gewusst haben, weil Pater Gregor Ende 1968 strafversetzt wurde. (Kassian Lauterer war von 1968 bis 2009 Abt in Mehrerau.) Sicher stand auch das Bistum Basel 1971 mit ihm deswegen in Kontakt, dort waren die Vorwürfe ja ebenfalls bekannt. Die Abtei hätte die Erzdiözese Freiburg darüber informieren können und müssen, dass Pater Gregor ab 1987 wieder auf dem Gebiet des Bistums tätig sein würde. (Damals gab es natürlich die Leitlinien noch nicht, aber der Umstand, dass Pater Gregor 1968 strafversetzt wurde und 1971 in Basel nur unter Auflagen eingesetzt wurde zeigt, dass man sich auch damals schon der Brisanz des Themas bewusst war – 16 Jahre, bevor Pater Gregor wieder in Birnau eingesetzt wurde.)

Aber auf diese Problematik konnte Zollitsch nicht eingehen, weil das Erzbistum – und auch die Abtei Mehrerau unter ihrem neuen Abt – ja offensichtlich gerade verhindern wollen, dass bekannt wird, dass Pater Gregor auf dem Territorium und im Verantwortungsbereich des Erzbistums Freiburg eingesetzt wurde.


Zollitsch: Aufklärer oder Vertuscher?

8. Juni 2010

Eine erweiterte Fassung dieses Artikels mit neuen Informationen gibt es jetzt beim hpd: Zollitsch beauftragte Mönche – trotz Untätigkeit.

In diesem Artikel zeige ich, dass die Zisterzienser in Birnau Seelsorgeaufgaben für das Erzbistum Freiburg wahrnehmen. Damit kann sich das Erzbistum nicht auf fehlende Zuständigkeit der Diözese oder mangelnde Informationspflicht des Ordens berufen. Nachdem das Bistum im März erfahren hat, dass der Orden im Fall des pädosexuellen Zisterzienserpaters Gregor M. seit 2006 untätig geblieben war, hätte Zollitsch dem Orden die Seelsorge in seinem Bistum sofort entziehen müssen.

Hinweis: Zum Lesen des kompletten Artikels bitte hier oder unten auf „Den Rest des Beitrags lesen »“ klicken – Zollitschs „Sündenregister“ ist so lang, dass ich hier nur den Anfang darstellen kann.

Die Staatsanwaltschaft Konstanz hat sich entschieden, die Ermittlungen gegen Erzbischof Dr. Robert Zollitsch aus Freiburg, gleichzeitig Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, zu übernehmen. Zugleich hat sie klargestellt, dass es nicht darum geht, dass Zollitsch 1987 die Anstellung des bekannt pädokriminellen Zisterzienserpaters Gregor M.„veranlasst“ habe, wie zunächst in den Medien berichtet wurde.

Vielmehr gehe der Anzeigeerstatter „davon aus, dass Zollitsch damals um Vorgeschichte und Aufenthalt des beschuldigten Zisterzienserpaters wusste oder bei genügender Sorgfalt hätte wissen können.“ (Badische Zeitung, 07.06.2010) Im Bistum Basel, in dem der Pater ebenfalls eingesetzt war, war jedenfalls bereits 1971 dokumentiert, dass er in Deutschland und Österreich sexuell übergriffig geworden war. Außerdem wurde Pater Gregor im Jahr seines Weggangs aus Birnau strafversetzt (1968) – und davon soll das Erzbistum Freiburg, für das die Zisterzienser dessen Pfarreien Nußdorf und Deisendorf betreuen (s.u.), nichts gewusst haben?

Das hätten gewissenhaft arbeitende Journalisten übrigens auch auf der Website des Anzeigeerstatters bzw. Opfers erfahren können.

Bistum verschweigt Beauftragung der Zisterzienser mit der Seelsorge im Bistum

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Kirchensprech: Praxisbeispiele zum Thema „Missbrauch“

1. Mai 2010

Als Ergänzung zum gestrigen Beitrag über „Kirchensprech“ hier noch zwei weitere Beispiele:

„Bei erhärtetem Verdacht“

Laut tagesschau.de sagte der  Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bischöfe, Bischof Ackermann, in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ vom 11.03.2010, die Kirche habe immer so agiert, dass Täter „bei erhärtetem Verdacht“ auf Kindesmissbrauch „zur Selbstanzeige angehalten“ worden seien. Zudem seien die Staatsanwaltschaften informiert worden. (Vgl. auch Bischof Ackermann ab 42:45 in der Sendung.)

Bei genauem Hinsehen lässt Ackermanns Formulierung „das haben wir aber auch praktiziert, dass die Staatsanwaltschaften informiert werden“ offen, in welchen Fällen tatsächlich eine Meldung an die Staatsanwaltschaft stattgefunden hat. Entgegen dem Wortlaut bei tagesschau.de hat Ackermann auch nicht gesagt, die Kirche habe „immer“ so gehandelt, sondern nur, das sei „praktiziert“ worden. Fragt sich bloß, wie oft. Wenn tagesschau.de meldet, die Kirche habe Ackermann zufolge „immer“ so agiert, dann ist das ein schöner Beleg dafür, wie Kirchensprech die gewünschte Wirkung erzielt: Aus der vagen Formulierung, das sei „praktiziert“ worden, wurde in der Berichterstattung ein „immer“.

Für den unbefangenen Zuschauer war Bischof Ackermanns Äußerung nicht anders zu verstehen, als hätten die Verantwortlichen „bei erhärtetem Verdacht“ regelmäßig die Staatsanwaltschaft informiert.  

Es fällt allerdings schwer, das zu glauben. Denn man darf wohl davon ausgehen, dass die Verantwortlichen gemäß den bischöflichen Leitlinien von 2002 vorgehen, und die sehen bei erhärtetem Verdacht eben keine Meldung an die Staatsanwaltschaft vor, sondern eine kircheninterne „Voruntersuchung“:

III. KIRCHLICHE VORUNTERSUCHUNG

5. Bei Erhärtung des Verdachts wird eine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet.

Erhärtet sich der Verdacht, wird eine kirchenrechtliche Voruntersuchung gemäß c. 1717 CIC eingeleitet. Diese wird von einer geeigneten Person, die der Bischof bestimmt, durchgeführt. Je nach Sachlage wird entschieden, ob der Verdächtigte für die Dauer der Voruntersuchung von seinem Dienst freigestellt werden und sich von seinem Dienstort entfernt halten muss.

Zur kirchlichen Voruntersuchung sollen Fachleute aus den im I, 1. genannten Stab hinzugezogen und je nach den Bedingungen des Einzelfalls beteiligt werden.

C. 1717 CIC (Katholisches Kirchenrecht, s.o.) besagt, dass „vorsichtig Erkundigungen“ einzuziehen sind, wobei dem vorgebeugt werden muss, „dass nicht aufgrund dieser Voruntersuchung jemandes guter Ruf in Gefahr gerät.“ Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass unter diesen Umständen verdächtigen Geistlichen regelmäßig ohne Beweis zur Selbstanzeige geraten worden sein soll, – und erst recht, dass die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt regelmäßig auch ohne Selbstanzeige informiert worden wäre.

Bestätigt die kircheninterne Voruntersuchung den Verdacht, so sehen die bischöflichen Leitlinien übrigens immer noch keine Meldung an die Staatsanwaltschaft vor, sondern es wird der Heilige Stuhl informiert, der dann die eigentliche Untersuchung durchführt:

6. Bestätigt die Voruntersuchung den Verdacht sexuellen Missbrauchs, wird der Apostolische Stuhl befasst.

Gemäß dem Motuproprio über den Schutz der Heiligkeit der Sakramente (Sacramentorum sanctitatis tutela) vom 30.4.2001 wird der Diözesanbischof nach Abschluss der Voruntersuchung diesen Fall dem Apostolischen Stuhl zuleiten.

Wie gestern bereits ausgeführt, sehen die bischöflichen Leitlinien lediglich vor, dass einem erwiesenen Täter zur Selbstanzeige geraten wird. Dies verträgt sich nicht mit einer frühzeitigen Meldung an die Staatsanwaltschaft, weil sich die Selbstanzeige dann ja erübrigen würde.

Bischof Ackermanns obige Behauptung, die den Eindruck erwecken muss (und sicher auch soll), die Kirche würde „bei erhärtetem Verdacht“ regelmäßig die Staatsanwaltschaft informieren, ist also schwer nachvollziehbar.

Es kommt aber noch ein weiterer Punkt hinzu: Würden die Verantwortlichen tatsächlich beizeiten die Strafverfolgungsbehörden informieren, dann würden die deutschen Bischöfe gewiss nicht müde, mit eindeutigen Worten darauf hinzuweisen, – anstatt ständig Formulierungen zu verwenden, die lediglich diesen Eindruck erwecken. (Vgl. auch die gestern behandelte Aussage, „Die Kirche […] fordert Geistliche zu einer Selbstanzeige auf, wenn Anhaltspunkte für eine Tat vorliegen, und informiert von sich aus die Strafverfolgungsbehörden.“)

 „Besondere Bedeutung“

Die Frage, weshalb die Bischöfe nicht eindeutig erklären, dass die Strafverfolgungsbehörden frühzeitig informiert werden, stellt sich auch bei der folgenden Formulierung aus der Erklärung der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz:

„Besondere Bedeutung hat für uns auch die frühzeitige Einschaltung der Staatsanwaltschaften. Wir unterstützen die Behörden aktiv bei ihrer Arbeit.”

Jeder unbefangene Leser wird dies so verstehen, dass die Kirche die Behörden dadurch unterstützt, dass die kirchlichen Verantwortlichen die Staatsanwaltschaften frühzeitig einschalten. Tatsächlich ist davon aber nicht die Rede – sondern lediglich davon, dass die frühzeitige Einschaltung der Staatsanwaltschaften eine „besondere Bedeutung“ habe: eine Selbstverständlichkeit. – Nur: Wer die Staatsanwaltschaft frühzeitig einschalten soll, das wird nicht gesagt. Offenbar schätzen die Bischöfe die Bedeutung nicht so hoch ein, dass sie sich klar und eindeutig zu einer frühzeitigen Einschaltung der Staatsanwaltschaften durch die Kirche bekennen würden. (Zum kirchlichen Verständnis von „Unterstützung der Behörden“ siehe meinen gestrigen Artikel.)

Fazit

Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass der Eindruck, den die bischöflichen Erklärungen vermitteln sollen – nämlich, dass die Kirche tatsächlich frühzeitig und von sich aus die Staatsanwaltschaft informiert, sobald sich ein Verdacht erhärtet – dass dieser Eindruck der Realität entspricht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich die Verantwortlichen in der Kirche nach den Leitlinien von 2002 richten, und diese sehen bei erhärtetem Verdacht eine kircheninterne Untersuchung vor (s.o.). Nicht nur das: Eine frühzeitige Meldung in nicht erwiesenen Fällen würde dem ganzen Prozedere der Leitlinien, das auf eine Selbstanzeige bei (kirchenintern) erwiesener Tat abzielt, völlig zuwider laufen. Außerdem fällt auf, dass die deutschen Bischöfe sich nie klar zu einer Meldung bei erhärtetem Verdacht bekennen, sondern stets Formulierungen wählen, die zwar den gewünschten Eindruck erwecken, letztlich aber vage sind. Würde die Kirche tatsächlich – abweichend von den Leitlinien – eine Meldung an die Staatsanwaltschaft schon bei erhärtetem Verdacht praktizieren, so würden die deutschen Bischöfe dies mit Sicherheit auch entsprechend eindeutig kommunizieren.

Wie glaubhaft ist die Kirche?

Wer Vorwürfen ausgesetzt ist, flüchtet sich oft in verbale Spitzfindigkeiten: Bischof Mixa ist der Auffassung, Ohrfeigen fielen nicht unter „körperliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in irgendeiner Form“ (BILD). Manfred Lütz, der die deutschen Bischöfe beim Thema Missbrauch berät, vertrat neulich die Auffassung, der Fall von Pater G. im Kloster Ettal hätte nicht an den Missbrauchsbeauftragten des Bistums gemeldet werden müssen, da es sich bei den Vorwürfen nicht um „sexuellen Missbrauch“, sondern lediglich um „Grenzüberschreitungen“ gehandelt habe (ich berichtete). Dem SPIEGEL zufolge erklärte Bischof Müller aus Regensburg 2008 im Bayerischen Rundfunk,  die Justizbehörden hätten sein Bistum vor Ablauf der Bewährungsfrist vor dem pädophilen Geistlichen Peter K. warnen müssen, und ließ dabei unerwähnt, dass sein Bistum den einschlägig vorbestraften K. entgegen der Bewährungsauflagen bereits vor Ablauf dieser Frist wieder mit Kindern arbeiten ließ.

Angesichts dieser Beispiele erscheint etwas Skepsis gegenüber den Äußerungen der deutschen Bischöfe zu ihren Leitlinien durchaus angebracht. Und wer genau hinschaut, kann in der Tat den Eindruck gewinnen, dass die deutschen Bischöfe die Öffentlichkeit für dumm verkaufen wollen.

Sie tun dies in der größten Krise der Katholischen Kirche seit dem Zweiten Weltkrieg, die eine Glaubwürdigkeitskrise ist.

Ob sie damit Erfolg haben, bleibt abzuwarten.


„Aufklärung“ und „Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden“: Kirchensprech verstehen

30. April 2010

Beim Thema „sexueller Missbrauch“ werden Kirchenvertreter nicht müde zu beteuern, dass es ihnen um „Aufklärung“ und „Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden“ ginge. Bei genauerem Hinsehen kommen derartige Beteuerungen allerdings einem beherzten „Weiter so!“ gleich.

Seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle im Berliner Canisius-Kolleg Ende Januar werden die deutschen Bischöfe nicht müde zu beteuern, dass sie um „Aufklärung“ bemüht sind und „mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten“ wollen, und zwar „vorbehaltlos“. Einige Beispiele (Hervorhebungen von mir):

„Beide Seiten waren sich darin einig, dass es das vorrangige Ziel der katholischen Kirche und der staatlichen Stellen ist, in enger Kooperation miteinander und mit den Betroffenen alles zu tun, um eine umfassende Aufklärung der vergangenen Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch in den kirchlichen Einrichtungen entschlossen voranzutreiben. [… Die Opfer] haben ein Recht auf eine ehrliche Aufklärung.“ (Deutsche Bischofskonferenz, 15.04.2010)

„Die Kirche unterstützt die staatlichen Strafverfolgungsbehörden bei der Verfolgung sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Geistliche vorbehaltlos.“ (Deutsche Bischofskonferenz, 09.03.2010)

Der Eichstätter Bischof, Gregor Hanke, plädierte für eine „Aufklärung ohne wenn und aber“. (Erzbistum München, 06.03.2010)

„Wir wollen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zur Aufklärung beitragen“. (Sonderbeauftragter Bischof Ackermann, Bistum Trier, 26.02.2010)

Das erweckt beim unbefangenen Leser den Eindruck, die Bischöfe hätten den Ernst der Lage erkannt und würden jetzt entsprechend ernsthaft an einer Verbesserung der innerkirchlichen Vorschriften, insbesondere der Leitlinien zum Vorgehen bei Missbrauchsfällen arbeiten.

Kirchensprech hat Tradition

Tatsächlich dürfte allerdings nichts anderes gemeint sein als „Weitermachen wie bisher“. Wie kann das sein? Nun, die Katholische Kirche gebraucht gut klingende Wörter gerne in einem speziellen Sinn: So spricht man in der Katholischen Kirche z.B. gerne von „Wahrheit“, wenn die katholische Lehre gemeint ist. Die Behauptung „Außerhalb der Wahrheit oder gegen sie gibt es keine Freiheit“ (vgl. Enzyklika „Veritatis splendor“ von Papst Johannes Paul II., Ziffer 96) klingt halt für die meisten Menschen akzeptabler als „Außerhalb der katholischen Kirche oder gegen sie gibt es keine Freiheit.“ Oder auch folgende Aussage:

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