Mobiles Einlullkommando: Die „Task Force“ und das „FAQ Kirchenfinanzierung“ der Deutschen Bischofskonferenz

23. November 2010
Unter Hinweis auf Carsten Frerks Violettbuch Kirchenfinanzen war letzte Woche bei der FAZ zu lesen, die deutschen Bischöfe hätten eine „Task Force“ eingerichtet, um an einer „Kommunikationsstrategie“ zum selbigen Thema „zu feilen“. Das Ergebnis findet sich auf der Website der deutschen Bischofskonferenz: Antworten auf „häufig gestellte Fragen“ zur Kirchenfinanzierung.

In Anbetracht der dortigen Ausführungen scheint allerdings „Mobiles Einlullkommando“ der treffendere Begriff für die bischöfliche „Task Force“ zu sein: Nicht nur in den Antworten, sondern bereits bei den Fragen legen die Autoren nämlich eine bemerkenswerte intellektuelle Mobilität an den Tag, wenn es darum geht, Kritik auszuweichen oder Zahlen zu nennen. Wie die Kollegen vom MEK bedient sich auch der apologetische Sturmtrupp aus der Kaiserstraße eines ganzen Arsenals an argumentativen Blendgranaten und rhethorischen Nebelkerzen. Der Leser wird für dumm verkauft, das ethische Niveau der bischöflichen „Task Force“ scheint auf dem einer Söldnertruppe zu liegen.

Kritik wird komplett ausgeblendet

Es fehlt nämlich nicht bloß der Hinweis auf das Violettbuch (das wäre zumindest verständlich) – es findet sich nicht die leiseste Erwähnung irgendwie gearteter Kritik am gegenwärtigen System der Kirchenfinanzierung. Sie lässt sich allenfalls erahnen anhand von Fragen wie Subventioniert der Staat die Kirche? oder Haben die Bistümer Privilegien im finanziellen Bereich?

Leser, die mit der Thematik nicht vertraut sind, würden z. B. bei der Lektüre der bischöflichen Ausführungen niemals darauf kommen,

  • dass die Angabe der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte verfassungsrechtlich äußerst problematisch ist – gelinde ausgedrückt.
  • dass unter bestimmten Umständen durchaus auch Nichtmitglieder und Ausgetretene Kirchensteuer bezahlen müssen.
  • dass den Kirchen für ihre ganz überwiegend aus öffentlichen Geldern finanzierten Einrichtungen ein eigenes Arbeitsrecht (sog. „Dritter Weg“) zugestanden wird, der z. B. keine Gewerkschaften zulässt.

Extrem einseitige, selektive Darstellung

Das völlige Ausblenden jeglicher Kritik bildet aber nur die Grundlage für das weitere Vorgehen: Nämlich eine völlig einseitige, höchst selektive Darstellung der Sachverhalte. Wer z. B. liest „Die Bistümer dürfen nur diejenigen zur Zahlung von Kirchensteuern heranziehen, die ihr angehören“, der wird kaum auf den Gedanken kommen, dass auch noch Kirchensteuer zu zahlen ist, nachdem man aus der Kirche ausgetreten ist (u. U. noch mehr als ein Jahr später), oder dass auch konfessionslose Ehepartner mit besteuert werden (beim besonderen Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe).

Ich kenne niemanden, der kritisiert, dass Kirchenmitglieder Beiträge an die Kirchen zu zahlen haben. Kritik richtet sich vielmehr dagegen, dass auch Nichtmitglieder und Ausgetretene besteuert werden. Diesen – verfassungsrechtlich äußerst problematischen – Einwänden wird das „Kirchenfinanzierungs-FAQ“ der deutschen Bischöfe in keiner Weise gerecht.

Die selektive Darstellung geht sogar so weit, dass dem Leser die verfassungsrechtlich äußerst fragwürdige Kirchensteuerpraxis als von der Verfassung gedeckt, ja geboten vorkommen muss. Zu der Frage Welche rechtliche Grundlage hat die Kirchensteuer heute?wird ausgeführt: 

 Das Recht zur Erhebung der Kirchensteuer ist in der Verfassung niedergelegt.

„Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.“ (Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137, Abs. 6 Weimarer Reichsverfassung). 

Das ist zwar nicht gelogen, aber es wird verschwiegen, dass diese Vorschrift von 1919 sich nicht auf die jetzige Praxis bezieht, bei der die Kirchensteuer durch den Arbeitgeber berechnet und abgeführt wird, sondern darauf, dass die Kirchen selbst die Kirchensteuer von ihren Mitgliedern einziehen – wie aus der Formulierung „auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten“ immer noch erkennbar ist.

Der jetzigen Praxis steht nämlich Artikel 138 – ebenfalls aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919 und Bestandteil des Grundgesetzes – entgegen, der besagt: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“ Nur die Behörden dürfen in bestimmten Fällen „nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft“ fragen. Der Zwang zur Angabe der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte stellt diese Vorschrift auf den Kopf und stellt eine gravierende Beeinträchtigung des Rechtes auf Religionsfreiheit dar.

Waren etwa denjenigen, die die Abführung der Kirchensteuer durch den Arbeitgeber eingeführt haben, die  Verfassung und die Menschenrechte gleichgültig? Man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man diese Frage mit „ja“ beantwortet – die Abführung der Kirchensteuer durch die Arbeitgeber wurde 1934 von den Nazis ermöglicht. So etwas erfährt man natürlich nicht aus Veröffentlichungen der Deutschen Bischofskonferenz, dazu muss man schon das Violettbuch studieren. 

In Anbetracht dieser schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Problematik erübrigen sich eigentlich weitere Fragen des FAQs wie Ist die Kirchensteuer gerecht?“ oder Was sind die Vorteile der Kirchensteuer?

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Kreuz in Amtsräumen

27. Februar 2010

Gestern hatte ich in einem Artikel zu Kreuzen in Gerichtssälen bereits aus Gerhard Czermaks Buch „Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht“ zitiert.

Heute habe ich ein Interview mit Dr. Czermak zu dem Thema durchgeführt und er hat mir freundlicherweise gestattet, hier den kompletten Eintrag zum „Kreuz in Amtsräumen“ zu veröffentlichen:

Kreuz in Amtsräumen

I. Grundwiderspruch. Das christliche Hauptsymbol als Ausstattungsgegenstand in staatlichen und anderen, insbesondere kommunalen, Amtsräumen der öffentlichen Hand wie Ratssälen, Gerichtssälen und Gefängnissen ist in weiten Teilen der Bundesrepublik, oft flächendeckend, verbreitet. Das kommt auch in zahllosen Zeitungs- und Fernsehberichten sowie Filmen, auch Gerichtsreportagen, zum Ausdruck, in denen das Kreuzsymbol gern auffällig oder zwangsläufig ins Bild gesetzt wird. Dieser nur selten problematisierte Tatbestand ist nicht einfach folkloristisch, sondern deswegen erstaunlich, weil er in unauflösbarem Widerspruch zur rechtlichen Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland steht. Die Bundesrepublik ist unbestritten ein Staat, der sich nicht religiös definiert, dessen Staatszweck rein weltlich ist und in dem (theoretisch) alle Bürger unabhängig von ihrer religiös-weltanschaulichen Einstellung gleiche Rechte haben. Der Staat muss insoweit neutral, d. h. unparteilich sein. Er muss zu allen derartigen Richtungen gleiche Distanz wahren bzw. sie ggf. nach gleichen Kriterien fördern. Das alles ist an sich selbstverständlich und wird nie generell bestritten. Das Neutralitätsgebot ergibt sich eindeutig aus dem gesamten Komplex der religionsrechtlichen Regelungen des GG (s. unter Neutralität) und gilt ausnahmslos in allen Bundesländern mit Vorrang gegenüber ggf. anderslautenden bzw. missverständlichen landesrechtlichen Regelungen (vgl. Art. 31 GG).

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Kreuze in Gerichtssälen: Theologen vs. Juristen

26. Februar 2010

Für die evangelische und die katholische Kirche in Rheine haben Hans Werner Schneider, Superintendent des Ev. Kirchenkreises Tecklenburg, und Dr. Ludger Kaulig, Dechant des Dekanates Rheine, eine Stellungnahme zu Kreuzen in Gerichtssälen veröffentlicht.

Darin behaupten Sie:

Das Kreuz kann dabei darauf hinweisen, dass die Würde der Person zu achten ist und Verpflichtung zur Wahrheit und Achtung der Würde der Person in der Anwendung der Gesetze auch in der Rechtsprechung zum Zuge kommt. Insofern steht das Symbol des Kreuzes nicht im Gegensatz zu den Grundprinzipien der Rechtsprechung und dem Auftrag der Gerichte im demokratischen Rechtsstaat. [Hervorhebung von mir.]

Diese Auffassung wird z.B. von dem bekannten ehem. Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde und anderen abgelehnt. Ich zitiere aus dem Standardwerk „Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht“ (Artikel „Kreuz in Amtsräumen“) von Dr. Gerhard Czermak, selbst langjähriger Verwaltungsrichter:

Der prominente Katholik und langjährige Richter des BVerfG Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das in einer 1975 veröffentlichten Abhandlung […] eindrucksvoll dargestellt: Die Rechtspflege ist eine Kernfunktion des Staats. Die Ausstattung der Gerichtssäle hat daher „die Funktion, die staatliche Rechtspflege als die unparteiische, nur Gesetz und Recht verpflichtete, von sachfremden Einflüssen und Einwirkungen unabhängige, die sie nach ihrem Amtsauftrag ist bzw. sein soll, sichtbar zu machen.“ Die Rechtsprechung als Ausdruck der unmittelbar hoheitlichen Staatstätigkeit erfordere distanzierende Neutralität, wozu das Kreuzsymbol im Widerspruch stehe. Es könne nicht den religiös-weltanschaulich neutralen Staat repräsentieren. Da davon auszugehen ist, so Böckenförde, dass die Anbringung von Kreuzen keinen Einfluss auf die Rechtsprechung hat und haben darf, ist der Sinn einer solchen Ausstattung nicht einmal für Christen einzusehen, sie sei nur „leere Form“, „Hervorbringung eines Scheins“. Der Wunsch, einen Eid vor einem Kreuz zu leisten, lässt sich auch ohne Dauerausstattung der Gerichtssäle mit diesem Symbol erfüllen. Eine derartige Ausstattung ist daher als solche „objektiv verfassungswidrig“. Diese Auffassung wird heute von zahlreichen, überwiegend christlich orientierten, Rechtsgelehrten auch offen ausgesprochen, z. T. sogar von harten Gegnern der Schulkreuz-Entscheidung (wie hier im Erg. z. B. A. Debus; M.-E. Geis, S. Huster; S. Korioth, G. Manssen, M. Morlok, S. Muckel, R. Röger, K. Schlaich, L. Renck u. a.).  [Fette Hervorhebung von mir, kursiv im Original.]

Demzufolge erklärte auch die Neue Richtervereinigung (NRV) Nordrhein-Westfalen am 18. Februar in einer Presseerklärung zum Düsseldorfer „Kruzifix-Streit“:

Die Neue Richtervereinigung (NRV) Nordrhein-Westfalen ist über den Düsseldorfer „Kruzifix-Streit“ erstaunt. Die Kritik daran, dass der Landgerichtspräsident in Düsseldorf anlässlich des Umzugs in das neue Gerichtsgebäude nicht erneut Kreuze oder Kruzifixe anbringen lässt, sei nicht nachvollziehbar.

Die NRV weist auf die eindeutige Rechtslage hin. Das Grundgesetz verpflichte den Staat zur Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen und gegenüber einem Nicht-Bekenntnis. Durch die Anbringung religiöser Symbole in staatlichen Einrichtungen stelle der Staat seine Bereitschaft zur Einhaltung dieser Neutralität in Frage. Das Bundesverfassungsgericht habe dies in seinem Urteil vom 16. Mai 1995 (1 BvR 1087/91, „Kruzifix-Urteil“ zur Anbringung religiöser Symbole in staatlichen Schulen), seinem Beschluss vom 24. September 2003 (zu einer Kopftuch tragenden Lehramtsbewerberin) und bereits lange zuvor, mit Beschluss vom 17. Juli 1973, 1 BvR 308/69, festgestellt, wonach die Ausstattung eines Gerichtssaals mit einem Kreuz das Grundrecht eines Prozessbeteiligten aus Art. 4 Abs. 1 GG (in Gestalt der negativen Religionsfreiheit) verletzen könne. Schauplatz des letztgenannten Falls sei damals das Verwaltungsgericht Düsseldorf gewesen. In Vollzug der Verfassungsgerichtsentscheidung seien damals, vor nunmehr fast 37 Jahren, in der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit – soweit vorhanden – sämtliche Kreuze und Kruzifixe entfernt worden.

Schon von daher sei es unerklärlich, dass die rechtlich gebotene Entscheidung des Gerichtspräsidenten heute überhaupt Aufsehen erregen könne. Genauso unerklärlich sei unter Anlegung rechtsstaatlicher Grundsätze die Verlautbarung des nordrhein-westfälischen Justizministeriums, das Vorhandensein von Kreuzen in Gerichtssälen beruhe auf einer „überlieferten Übung“. [Hervorhebungen von mir.]


Christliche Arroganz

4. Dezember 2009

Die Präses der EKD-Synode, Grünen-Politikerin und Vize-Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt, hat den Sonntag als „ein Geschenk der Christen an die Gesellschaft“ bezeichnet, und der Sprecher der Unions-Innenminister, Volker Bouffier (evangelisch), hat Muslime zur Zurückhaltung beim Bau von von Moscheen aufgefordert. Dominante Bauwerke in könnten Ängste vor einer Islamisierung schüren. Die Muslime sollten darauf achten, die deutsche Bevölkerung nicht zu überfordern.

Was für eine Arroganz!

Erstens, Frau Göring-Eckardt, wird die Annahme von Geschenken üblicherweise nicht per Gerichtsentscheid durchgesetzt.

Zweitens: Wenn schon, dann ist der Sonntag ein Geschenk der Juden, von denen stammt schließlich die Idee, am siebenten Tage keine Arbeit zu tun (2. Mose 20,10). Das wäre mal eine Gelegenheit gewesen, die judäo-christliche Tradition zu beschwören, auf die wird doch sonst so gerne verwiesen. Selbst das Bundesverfassungsgericht zitiert in seinem Urteil, dass der „Rhythmus von Arbeit und Ruhe“ ein „zentraler Rhythmus der christlich-jüdischen Kultur“ sei (Randnummer 143). Und nichts zu danken, Frau Göring-Eckardt, für die Geschenke der Aufklärung – wie Freiheit, Emanzipation, Demokratie. Keine Ursache!

Drittens, Herr Bouffier, haben die beiden christlichen Großkirchen selbst niemals Zurückhaltung an den Tag gelegt – ganz im Gegenteil! Sie fordern regelmäßig nicht nur das, was ihnen tatsächlich oder vermeintlich zusteht, sondern dreist noch darüber hinaus – und leider wird ihnen das von christlichen Politikern, Herr Bouffier, meistens auch noch gewährt.

Kleines Beispiel gefällig? Im Grundgesetz heißt es, die Staatsleistungen an die Kirchen sollen abgelöst werden. In Landesverfassungen steht dann aber oft drin, dass die Staatsleistungen beibehalten werden. In den Staat-Kirche-Verträgen wird dann festgelegt, dass die Leistungen mit der Zeit ansteigen, und dass diese Regelungen nur in gegenseitigem Einvernehmen geändert werden können.

Anderes Beispiel: Im Grundgesetz heißt es, soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge beim Militär besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen. Im Militärseelsorgevertrag wurde dann festgelegt, dass der Staat u.a. pro 1.500 Soldaten der jeweiligen Konfession – natürlich nur evangelische oder katholische – einen Militärgeistlichen (plus Pfarrhelfer) aus allgemeinen Steuergeldern bezahlt. Und das, obwohl die Soldaten Kirchensteuer zahlen wie andere Kirchenmitglieder auch. Das geht über die im Grundgesetz vorgesehene „Zulassung“ weit hinaus. Damit aber noch nicht genug: Gegenwärtig gibt es etwa doppelt so viele Militärgeistliche, wie im Vertrag vorgesehen – etwa einen pro 750 Soldaten der jeweiligen Konfession.

Herr Bouffier, die christlichen Großkirchen überfordern die Bevölkerung – sprich: den Steuerzahler – seit Jahrzehnten!

Aber was rede ich von solchen weitgehend unbekannten Dingen – wir brauchen uns ja bloß an die „Pro Reli“-Kampagne dieses Jahr zu erinnern. Weitgehend staatlich bezahlter Religionsunterricht war den Kirchen natürlich nicht gut genug, nein, der Besuch des Religionsunterrichtes sollte darüber hinaus auch noch „zeitneutral“ vom Besuch des Ethikunterrichtes entbinden.

Nein, Herr Bouffier – von Angehörigen der christlichen Großkirchen brauchen sich die Muslime in Deutschland fürwahr keine Zurückhaltung nahelegen zu lassen. Da sollten Sie lieber selbst mit gutem Beispiel vorangehen! Und solange noch Judensäue an etlichen deutschen Kirchen sind, erzählen Sie bitte nichts von Ängsten, die durch Moscheen geschürt werden.


Wieso darf über Minarettbau überhaupt abgestimmt werden?

29. November 2009

Die Schweizer haben heute bei einer Volksabstimmung offenbar mehrheitlich für folgende Ergänzung der Verfassung gestimmt: „Der Bau von Minaretten ist verboten“.

Ich hatte mich immer schon gefragt, wieso darüber überhaupt abgestimmt werden darf. Religionsfreiheit ist, wie andere Menschenrechte auch, immer erst einmal Minderheitenschutz. Demokratie bedeutet nicht, dass die Mehrheit alles vorschreiben kann. Ebensowenig wie sich die Kruzifix-Befürworter auf eine vermeintliche oder tatsächliche Mehrheit berufen können, sollte der Bau von Moscheen durch Mehrheitsentscheid verboten werden können.

Bei der Süddeutschen fand ich jetzt die Antwort: Die Minarett-Gegner argumentieren offenbar, dass Minarette nicht für die Religionsausübung notwendig und daher nicht durch das Recht auf Religionsfreiheit geschützt seien.

Viel Spaß, liebe Eidgenossen, wenn diese Auffassung vor Gericht verhandelt wird.


Warum ist Schächten in Deutschland erlaubt?

26. November 2009

Anlässlich des morgigen islamischen Opferfestes hier die Antwort:

Unter Schächten wird üblicherweise das Ausblutenlassen eines Tieres ohne Betäubung verstanden. (Allerdings hat die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion DITIB dazu aufgerufen, Tiere beim Schächten nicht zu quälen und eine vorherige Betäubung ausdrücklich für zulässig erklärt.) Demgegenüber verbietet das Tierschutzgesetz seit 1986 in § 4 das Schlachten ohne Betäubung:

(1) Ein warmblütiges Tier darf nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzugs betäubt worden ist.

Allerdings sieht das Gesetz Ausnahmen aus religiösen Gründen vor:

(2) Abweichend von Absatz 1 bedarf es keiner Betäubung, wenn

1. …,

2. die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuß von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen oder

3. dies als Ausnahme durch Rechtsverordnung nach § 4 b Nr. 3 bestimmt ist.

Diese Ausnahmen betreffen nicht nur islamische, sondern auch jüdische Schächtungen. Wikipedia zufolge sind die Ausnahmegenehmigungen lage Zeit Juden meist genehmigt worden, Muslimen jedoch meist nicht. So musste sich schließlich 2001/2002 das Bundesverfassungsgericht mit der Frage befassen.

Es mutet zunächst erschreckend an, dass bei einem so wichtigen Thema wie dem Tierschutz Ausnahmen für Religionsgemeinschaften gemacht werden. Der Grundgedanke des Tierschutzgesetzes müsste ja eigentlich für jeden nachvollziehbar sein (§1 Satz 2):

Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

Man muss wohl kein hartgesottener Atheist sein, um religiöse Vorschriften nicht als „vernünftigen Grund“ anzusehen. Auch, wenn die Religionsfreiheit einen hohen Stellenwert einnimmt, haben doch deren Angehörige sich trotzdem innerhalb der für alle geltenden Gesetze zu bewegen, und das Tierschutzgesetz kann nicht als willkürlich oder ungerechtfertigte Drangsalierung von Muslimen oder Juden bezeichnet werden – selbst, wenn es keine Ausnahmen gäbe.

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Du weißt, du bist auf der Seite der Guten, wenn deine Gegner keine besseren Argumente haben also solche:

24. November 2009

Man sollte meinen, dass es Argumente gibt, die so dumm sind, dass man gar nicht auf sie einzugehen braucht, weil sie sich quasi von selbst entkräften. Mittlerweile bin ich mir dessen nicht mehr so sicher.

Wenn selbst der „Doyen der österreichischen Völkerrechtslehre“, der emeritierte Wiener Völkerrechtsprofessor Karl Zemanek das Kruzifix-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als „Blödsinn“ und „dumme Entscheidung“ bezeichnet:

Die Vorstellung, man kann Religionsfreiheit auch verstehen als Abwesenheit von Religion, halte ich für absurd. Sie können ja nicht die Kirchen und Moscheen niederbrennen. Man könnte ja sagen, eine Moschee widerspricht meiner Religionsfreiheit, weil sie ein religiöses Symbol ist. Entschuldigen Sie, das ist ein Blödsinn. Auch Richter in ihrer kollektiven Weisheit sagen manchmal einen Blödsinn. Der Unterschied ist nur, dass man ihn etwas sanfter kritisieren muss. Ich halte es sachlich für eine falsche und rechtspolitisch für eine dumme Entscheidung. Sonst kommt der nächste und sagt, ich verlange, dass man von den Kirchtürmen die Kreuze herunternimmt. Wo hört das auf? Man kann alles zu Tode reiten.

Natürlich hat niemand gefordert, Kirchen oder Moscheen niederzubrennen. Das, was Zemanek als „Blödsinn“ bezeichnet ist ein „Strohmann“, den er selbst aufbaut. Zemanek muss wissen, dass es in dem Urteil nicht um den Schutz vor religiösen Symbolen als solchen geht, sondern darum, dass der Staat diese Symbole aufhängt. Damit verstößt er gegen seine weltanschauliche Neutralität.

Außerdem muss Zemanek wissen, dass Menschenrechte immer erst einmal Minderheitenrechte sind. Viele Leute scheinen zu glauben, die freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung fuße im wesentlichen auf der Demokratie – das ist aber nur die halbe Wahrheit: Gerade weil die Mehrheit in einer „reinen“ Demokratie Minderheiten ohne weiteres drangsalieren könnte, ist der Minderheitenschutz, der in den Grundrechten zum Ausdruck kommt, ebenso wichtig wie die Demokratie. Wenn Kreuze in Schulen abgehängt werden, schreibt damit  niemand der Mehrheit etwas vor (das wäre z.B. der Fall, wenn ein Recht auf das Aufhängen bestimmter Symbole anerkannt würde), sondern es wird im Gegenteil verhindert, dass die Mehrheit allen anderen etwas vorschreibt bzw. „vorsetzt“, wozu sie kein Recht hat.

Eine wesentlich bessere Darstellung der rechtlichen Situation findet sich in einem Kommentar von Georg Hoffmann-Ostenhof, in dem dieser endlich auch einmal auf das immer wieder unkritisch verbreitete, aber völlig unsinnige Argument eingeht, die Schulkreuze in Österreich hätten Verfassungsrang:

Jetzt wird auch eingewandt: Dieses habe für Österreich keine Relevanz, weil die Schulkreuzfrage im Konkordat geregelt sei. In Klassen mit mehr als fünfzig Prozent christlichen Schülern muss ein Kruzifix hängen. Und der Vertrag mit dem Vatikan stehe in Verfassungsrang. Dem muss aber einfach entgegnet werden: Wenn das Konkordat die Menschenrechte verletzt, dann muss eben das Konkordat aufgekündigt werden. [Hervorhebung von mir.]

Ich schließe mit einem weiteren Zitat aus Hoffmann-Ostenhofs Kommentar:

Wenn man sieht, mit welchen unwahren, unsinnigen und die Intelligenz beleidigenden Argumenten das Schulkreuz verteidigt wird – flächendeckend von Vatikan und Berlusconi bis zu Strache, von den italienischen Linken bis zu Kardinal Christoph Schönborn und Erwin Pröll – und wie die Verteidiger damit immer wieder durchkommen, dann freilich wird einem ein wenig mulmig.


Verwirrung um „Gebetsraum-Urteil“

21. November 2009

In der Öffentlichkeit scheint eine beträchtliche Verwirrung um das sog. „Gebetsraum-Urteil“ des Berliner Verwaltungsgerichts zu herrschen. Deshalb hier einige Klarstellungen und Anmerkungen:

  1. Der Begriff „Gebetsraum-Urteil“ ist völlig irreführend
  2. Das Urteil ist „wasserdicht“ und alle Einwände der Schulverwaltung sind bereits berücksichtigt
  3. Beispiele für irreführende Berichterstattung
  4. Die Klage des Schülers kann nicht als mangelnde Integrationsbereitschaft diffamiert werden

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„Zuerst Katholik und danach Staatsbürger“

16. November 2009

Ich hatte ja neulich schon angemerkt, dass Bischof Mixa als Militärbischof untragbar ist, spätestens seitdem er zum Ignorieren des jüngsten Kruzifix-Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgerufen hat.

Mixas engster Berater Dirk-Hermann-Voss hat dazu jetzt noch mal nachgelegt: Auf die Frage, ob es problematisch sei, dazu aufzurufen, eine Gerichtsentscheidung zu ignorieren, sagte er laut der Rheinischen Post: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Ein katholischer Christ könne eine derartige Fehlentscheidung nicht hinnehmen. Hier gelte: „Zuerst Katholik und danach Staatsbürger.“

Wer die Devise ausgibt „Zuerst Katholik und danach Staatsbürger“ darf nicht mit der berufsethischen Ausbildung von Soldaten betraut werden.

Dank an Atheist Media Blog für den Hinweis.


Erzbistum Washington wünscht Ausnahmeerlaubnis für “Diskriminierung aus tiefstem Herzen”

13. November 2009

Radio Vatikan meldet: „USA: Obdachlose oder Homoehe“. Die Nachricht: „Das Erzbistum Washington hat angedroht, sein Obdachlosenprogramm einzustellen.“ (Dies sind die Worte von Radio Vatikan.)

Hintergrund: Ein geplantes Gesetz zur Gleichstellung und Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare. Zwar soll es Ausnahmen geben, die verhindern, dass Kirchen gegen ihren Willen gleichgeschlechtliche Trauungen vornehmen oder Räumlichkeiten dafür zur Verfügung stellen müssen. Aber arbeitsrechtlich müssten sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in einer gleichgeschlechtlichen Ehe leben, die gleichen Leistungen zukommen lassen wie „hetero“ Eheleuten auch. Auch dürften kirchliche Einrichtungen bei der Adoptionsvermittlung gleichgeschlechtliche Paare nicht diskriminieren. Tun sie es doch, dürfte die Stadt nicht mehr mit ihnen  zusammenarbeiten und könnte ihnen die Zulassung für bestimmte Tätigkeiten (z.B. Adoptionsvermittlung und soziale Dienste) verweigern.

Die Erzdiözese wünscht sich offenbar Ausnahmeregelungen für „ernsthafte“ oder „tief verwurzelte“ kommende religiöse Auffassungen.

Man fragt sich: Vor welcher Diskriminierung soll ein Gesetz denn schützen, wenn nicht vor solcher, die ernst gemeint und tief verwurzelt ist?

Mehr dazu hier und hier (auf Englisch).


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