Zollitsch unter Zeitdruck?

Die Badische Zeitung – die sich immerhin als „Tageszeitung mit christlicher Grundhaltung“ versteht – weist auf folgende Ungereimtheit im Interview von Erzbischof Robert Zollitsch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hin:

Im Interview (Zusammenfassung hier) ging es um die Frage, weshalb das Bistum Freiburg – implizit auch Zollitsch selbst – im März zunächst nur davon gesprochen hatte, es hätte erst 1995 konkrete Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch den Priester gegeben:

FRAGE: In einer Stellungnahme vom März dieses Jahres haben Sie nicht erwähnt, dass 1992 die Aussage eines Opfers vorlag. Warum nicht?

ANTWORT: Die Stellungnahme im März mussten wir unter enormem Zeitdruck formulieren – ohne die Unterlagen und Schriftwechsel, mit denen sich die zeitlichen Abläufe genau rekonstruieren lassen. Die Vorgänge von 1992 und die von 1995, als sich der Pfarrer später das Leben nahm, hatten sich nach so vielen Jahren in meinem Gedächtnis ineinander verschoben: Denn das Gespräch mit Pfarrer B. im Jahr 1992 und das Gespräch im Jahr 1995, als er erneut zur Rede gestellt wurde, waren einander sehr ähnliche Situationen. Nach dem Studium der Dokumente und dem Gespräch mit Opfern und Angehörigen haben wir das nun richtiggestellt. Und wir haben Vorkehrungen getroffen, dass uns ein solcher Fehler in Zukunft nach Möglichkeit nicht mehr passiert.

Die Badische Zeitung merkt dazu an:

Allerdings hatte das Ordinariat damals mehrere Tage Zeit: Nachdem Hinweise eingegangen waren, hatte die BZ am Mittwoch, den 17. März, bei der Pressestelle des Bistums nachgefragt. Dort war der Fall zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt, wie Sprecher Robert Eberle unter Verweis auf Recherchen des SWR erklärte. Zur Beantwortung eines umfangreichen Fragenkatalogs blieben dem Ordinariat anschließend weitere zwei Tage . In der schriftlichen Stellungnahme vom 19. März war schließlich von fehlenden Unterlagen keine Rede. Erst vergangene Woche erklärte Eberle der BZ auf Nachfrage, die Erkenntnisse über die Opferaussage von 1992 stammten aus Oberharmersbach. Sie seien „offensichtlich im Ordinariat nicht mehr archiviert worden“.

Zusätzlich möchte ich folgendes anmerken:

Es spricht nicht für das Ordinariat Freiburg, dass es über den Zeitraum von mehreren Tagen offenbar angeblich keine einzige Unterlage zu dem Fall beibringen konnte, aus der die tatsächliche Abfolge der Geschehnisse erkennbar gewesen wäre, sondern sich in dieser Hinsicht einzig auf die Erinnerung des damals verantwortlichen Personalreferenten und heutigen Erzbischofs Robert Zollitsch verlassen musste. Auch erinnerte sich offenbar überhaupt niemand anders an den Fall, oder alle erinnerten sich falsch…

Im März hatten außerdem sowohl Zollitsch als auch Generalvikar Keck noch das Schweigen der Opfer dafür verantwortlich gemacht, dass die Staatsanwaltschaft nicht vor 1995 informiert wurde – heute sagt Zollitsch: „Wir wollten den [suizidgefährdeten] Pfarrer nicht in den Tod treiben.“ Im März hatte Zollitsch diese Begründung offenbar vergessen und dachte, wegen des Schweigens der Opfer habe man bis 1995 gar nichts von den konkreten Taten des Pfarrers gewusst. Bis es ihm jetzt wieder einfiel, als offenbar Journalisten in dieser Richtung nachforschten…

Und wenn das Ordinariat Freiburg damals bei mehreren Tagen Vorbereitungszeit noch derart falsche (aber Zollitsch entlastende) Erklärungen abgab – wieso sollte man dann den jüngsten Reaktionen des Bistums Glauben schenken, die bereits wenige Stunden nach der gestrigen Meldung des SWR online waren – zumal Erzbischof Zollitsch offenbar derzeit im Ausland weilt, was die Kommunikation sicher nicht erleichtert.  

Obwohl die Badische Zeitung bereits vier Tage, bevor das FAS-Interview mit Zollitsch veröffentlicht wurde, berichtete, dass das Ordinariat Freiburg bereits 1992 ein Geständnis des Täters vorliegen hatte, erwähnt Zollitsch dieses Geständnis im Interview mit keinem Wort – obwohl die Fragen dies durchaus nahegelegt hätten:

FRAGE: Herr Erzbischof, 1968 bis 1991 wirkte in Oberharmersbach der Pfarrer Franz B. Er hat während dieser Zeit zahlreiche Kinder missbraucht. Wann haben Sie davon erfahren?

ANTWORT: [Zollitsch sagt, 1992 habe die Mutter von zwei betroffenen Söhnen einen „erschütternden“ Brief geschrieben. Einer der Söhne habe detailliert geschildert, wie der Täter ihn missbraucht hat.]

FRAGE: Was haben Sie zu diesem Zeitpunkt gewusst?

[Zollitsch geht in seiner Antwort nur auf die vagen Gerüchte von 1991 ein.]

[…]

FRAGE: Was ist geschehen, als Sie 1992 den Bericht des Opfers erhalten hatten?

ANTWORT: Wir haben Pfarrer B. unverzüglich mit dieser Schilderung konfrontiert. Er hat sie nicht abgestritten, aber auch kein Geständnis abgelegt. [… Hervorhebung von mir.]

Und man darf wohl auch vermuten, dass die Richtigstellung zwar nach „dem Studium der Dokumente und dem Gespräch mit Opfern und Angehörigen“ erfolgte (siehe Zollitschs Formulierung ganz oben) – aber nicht deswegen, wie es Zollitschs Formulierung nahelegt. Ich vermute vielmehr, dass das Ordinariat von dem Pfarer unter Druck gesetzt wurde, der heute Abend wohl bei Report Mainz auftreten wird – oder dass man in Freiburg wusste, dass der SWR darüber berichten würde:

Ein heute noch aktiver Pfarrer der Erzdiözese hatte den damaligen Personalreferenten Robert Zollitsch persönlich über den Fall seines Neffen informiert. Der war Ministrant in Oberharmersbach und wurde von Pfarrer Franz B. missbraucht. Die sexuellen Übergriffe  hatte er auf vier Seiten detailliert protokolliert. Daraufhin kam es zum persönlichen Gespräch zwischen Zollitsch, dem Opfer und dem Onkel des Opfers, dem noch aktiven Pfarrer.

Das dürfte vermutlich auch die detaillierte Schilderung eines der Opfer sein, die Zollitsch in seinem Interview erwähnte. Abgesehen davon ist es natürlich absolut glaubwürdig, dass Zollitsch diesen unwesentlichen Aspekt – ein Pfarrer der Diözese informiert ihn persönlich über den Fall seines Neffen, der die Übergriffe auf vier Seiten schildert – mit der Strafanzeige einer Opfer-Hilfsorganisation vier Jahre später in einen Topf wirft.

Heute Abend erfahren wir mehr: Report Mainz, Montag, 19.07.2010, 21:45 Uhr im ERSTEN

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