Diese Woche fand sich ein weiteres Paradebeispiel, wie die katholische Kirche beim Thema „Missbrauch“ weiter die Öffentlichkeit täuscht. Und ausgerechnet der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bischöfe, Stephan Ackermann (Trier), ist dafür verantwortlich. Den Rest des Beitrags lesen »
Bistum Trier: Merkwürdige Prioritäten bei Missbrauch
31. Januar 2012Obwohl die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz dies vorsehen, hat der Trierer Bischof Ackermann einem Priester, gegen den wegen Missbrauchs eines Messdieners ermittelt wurde, nicht den weiteren Umgang mit Minderjährigen verboten. Stattdessen wurde der Priester auch noch in einem Wohnheim für geistig und psychisch Kranke eingesetzt. Das Kirchenrecht stellt diese in Bezug auf sexuellen Missbrauch Minderjährigen gleich.
Gestern berichtete ich darüber, dass im Bistum Trier ein Priester, gegen den ein kirchliches Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs läuft, in einem Wohnstift für geistig und psychisch Kranke tätig war. Er sollte dort Messen zelebrieren und war auch an einer Adventsfeier mit Kindern beteiligt.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass dem betreffenden Priester, Michael V., lediglich das öffentliche Zelebrieren von Messen untersagt war. Eine Auflage, nicht mehr mit Kindern zu arbeiten, gab es offenbar nicht.
So schrieb der bischöfliche Generalvikar des Bistums Trier, Prälat Dr. Georg Holkenbrink, im März 2011:
Die Staatsanwaltschaft Trier (ermittelt) wegen des Verdachtes des sexuellen Missbrauchs eines minderjährigen Schutzbefohlenen während seiner Zeit als Vikar in Gerolstein. Dort soll er eine sexuelle Beziehung mit einem Messdiener gehabt haben. […]
Die vorläufige Beurlaubung bedeutet das Verbot der Ausübung seiner Aufgaben als Pfarrer dieser Pfarrei. Ferner ist ihm die öffentliche Zelebration untersagt.
Der Trierer Bischof, Stephan Ackermann, hält es offenbar für angebracht, einem Pfarrer, dem der sexuelle Missbrauch eines Messdieners vorgeworfen wird, das öffentliche Zelebrieren von Messen zu verbieten – nicht aber den Umgang mit Kindern!
Dementsprechend stellte das Bistum Trier jetzt auch lediglich fest, dass der Priester gegen das öffentliche Zelebrationsverbot verstoßen hat – mit der Beteiligung an der Adventsfeier mit Kindern scheint er hingegen nicht gegen irgendeine Auflage verstoßen zu haben.
Dabei hätte Bischof Ackermann – der auch der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bischöfe ist – gemäß den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz von 2010 durchaus ein Kontaktverbot zu Kindern und Jugendlichen verhängen können. Darin heißt es nämlich ausdrücklich:
Maßnahmen bis zur Aufklärung des Falls
31. Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht eines sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen vor, entscheidet der Diözesanbischof über das weitere Vorgehen. Soweit es die Sachlage erfordert, stellt der Diözesanbischof die beschuldigte Person vom Dienst frei und hält sie von allen Tätigkeiten fern, bei denen Minderjährige gefährdet werden könnten (vgl. Art. 19 der „Normae de gravioribus delictis“).
Die Frage ist hier lediglich, ob die Sachlage dies erforderte. Hierzu ist festzustellen: Selbst, wenn aufgrund der Entpflichtung von Michael V. als Pfarrer und dem Einsatz im Puricelli-Stift ein Kontakt zu Kindern vielleicht nicht gerade zwangläufig zu erwarten war, hätte ein Kontaktverbot zu Minderjährigen entsprechend der Leitlinien zumindest nicht geschadet. Im Gegenteil: Dieser Fall zeigt, dass ein solches Verbot immer ausgesprochen werden sollte, um später nicht feststellen zu müssen, dass es „aus Versehen“ zum (unvorhersehbaren?) Kontakt mit Kindern kam.
In vorliegenden Fall kommt aber noch folgendes hinzu: Gemäß der in der Leitlinien erwähnten „Normae de gravioribus delictis“ ist in Bezug auf sexuellen Missbrauch („Straftat gegen das sechste Gebot mit einem Minderjährigen”) dem Minderjährigen „eine Person gleichgestellt, deren Vernunftgebrauch habituell eingeschränkt ist“.
Es ist deshalb, gelinde gesagt, makaber, dass Michael V. ausgerechnet in einem Heim für geistig und psychisch Kranke eingesetzt wurde.
Bistum Hildesheim: Bischof und Missbrauchsbeauftragter sagten die Unwahrheit
15. Januar 2012
Rhetorische Frage: Kann man dies unterschreiben, ohne zu merken, dass die Ausführungen erst mit ihrer Veröffentlichung (am 17. Februar) in Kraft treten würden? - Kann man diesen Text erarbeiten, ohne dies zu wissen?
Eine Lüge ist eine Aussage, von der der Sender (Lügner) weiß oder vermutet, dass sie unwahr ist, und die mit der Absicht geäußert wird, dass der oder die Empfänger sie trotzdem glauben. oder auch “die (auch nonverbale) Kommunikation einer subjektiven Unwahrheit mit dem Ziel, im Gegenüber einen falschen Eindruck hervorzurufen oder aufrecht zu erhalten.”
Lügen dienen dazu, einen Vorteil zu erlangen, einen Fehler oder eine verbotene Handlung zu verdecken und so Kritik oder Strafe zu entgehen. Von ‚Unwahrheit’ spricht man, wenn die Aussage tatsächlich auch nicht korrekt ist, der sich Äußernde das aber nicht weiß und es nur fälschlich angenommen hat.
Quelle: Wikipedia.de
Im Zuge des Missbrauchsskandals 2010 haben anscheinend sowohl der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle als auch der Missbrauchsbeauftragte und Personaldezernent des Bistums, Heinz-Günter Bongartz (zwischenzeitlich zum Weihbischof ernannt) die Öffentlichkeit belogen – vermutlich, um ihre eigene Untätigkeit zu vertuschen.
Salzgitter: Ein Stück aus dem Lehrbuch
23. Juli 2011
Weihbischof Bongartz: "Es gab keinen Verdacht auf sexuellen Missbrauch." – Warnzeichen für die Pädophilie von Pfarrer Andreas L. aber schon.
In Salzgitter im Bistum Hildesheim kommt derzeit mal wieder ein Fall ans Licht, der das Vorgehen der katholischen Kirche beim Verdacht auf Pädophilie lehrbuchmäßig aufzeigt.
Priester, denen „offiziell“ Pädophilie bestätigt wurde, sind für die katholische Kirche teuer: Sie müssen nämlich weiter bezahlt werden, können aber nicht mehr auf normalen Pfarrstellen eingesetzt werden: (Noch dazu in Zeiten des Priestermangels.) Außerdem muss ggf. noch die Therapie bezahlt werden.
Es besteht also ein Anreiz für die kirchlichen Verantwortlichen, auffällige Priester, soweit irgend möglich, nicht als „pädophil“ einzustufen. In diesem Zusammenhang wurde in der katholischen Kirche bisher so verfahren:
Statt dem Kriterium „Pädophilie“ wird das – enger gefasste! – Kriterium des „sexuellen Missbrauchs“ angelegt. Dieser ist strafbar und macht sich an (eindeutig) sexuellen Handlungen fest. Manfred Lütz, Berater der deutschen Bischöfe in Sachen Missbrauch, hat dies ja letztes Jahr quasi in eigener Sache selbst deutlich gemacht. Folgende Beispielfälle kommen mir sofort in den Sinn:
Pater G. aus Ettal (2005)
2005 hatten sich Schüler im Internat Ettal beschwert, dass Pater G. einen von ihnen unter dem T-Shirt gestreichelt hatte – angeblich, um den weinenden Schüler zu trösten. Auf Lütz‘ Anraten hin erstellte Prof. Friedemann Pfäfflin ein Gutachten, das dem Pater – Lütz zufolge – „Heterosexualität“ bescheinigte. Lütz:
Das Gutachten war eindeutig: Es lag noch nicht einmal der Verdacht auf sexuellen Missbrauch vor, keine Pädophilie, auch sonst keine Diagnose und daher keine Notwendigkeit für eine Therapie. Pater G. habe seine Probleme mit Nähe und Distanz bereits gut reflektiert und könne in der Seelsorge, sogar langfristig in der Jugendarbeit, selbst ohne Teameinbindung eingesetzt werden.
Lütz zitiert Prof. Pfäfflin mit den Worten:
„Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs war damals von keiner Seite erhoben worden. Auch bei der Begutachtung durch mich fanden sich diesbezüglich keine Anhaltspunkte. Das in Ihrem Fax von gestern geschilderte Vorgehen halte ich, um Ihre Frage zu beantworten, für angemessen und in Übereinstimmung mit den Vorschlägen in meinem Gutachten.“
Diesen Januar wurde gegen Pater G. Anklage erhoben:
Die Vorwürfe gegen Pater G. sind inzwischen so verdichtet, dass die Münchner Justiz Anklage gegen den Mönch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern erhob. Wie es heißt, habe er unter anderem einen 13 Jahren alten Schüler in Ettal gestreichelt.
Zu derartigen Vorwürfen hatte Lütz letztes Jahr geschrieben:
[Es] ist neuerdings von zwei Schülern behauptet worden, zwei andere Schüler seien von Pater G. unter der Unterhose an den Genitalien berührt worden. Da der Ermittler zugleich mitteilte, dass Pater G. ausweislich des Gutachtens heterosexuell sei, erscheint allein deshalb die Beschuldigung nicht wahrscheinlich. [Hervorhebung von mir.]
Pfarrer Georg K. aus Willingen bzw. Lobberich (~2004)
Über Pfarrer Georg K. wurde berichtet:
In seinen Gemeinden am Niederrhein war K. diverse Male aufgefallen, weil er allein mit Minderjährigen auf Reisen ging, minderjährige Ministranten in seine private Sauna und zu Festen ins Pfarrhaus geladen oder zum gemeinsamen Duschen aufgefordert hatte. 2004 wäre es beinahe zum öffentlichen Eklat gekommen, als K. sein jugendliches Patenkind während einer Feier derart intensiv gestreichelt hatte, dass einige Teilnehmer der Feier sich über den Pfarrer beschwerten.
Der Pfarrgemeinderat von K.s damaliger Pfarre will sich daran erinnern, die Bistumszentrale in Aachen über die Besuche der Ministranten in der Pfarrhaussauna informiert zu haben. Josef Heinrichs jedoch, Sprecher des Bistums, erklärte am Freitag auf Anfrage dieser Zeitung, in Bezug auf Pfarrer K. habe man lediglich einen anonymen Hinweis erhalten, und zwar 2003. «Aber anonymen Hinweisen kann man nicht nachgehen», erklärte Heinrichs. [Hervorhebungen von mir.]
Georg K. wird mittlerweile in Südafrika wegen Kindesmissbrauch der Prozess gemacht – 2007 hatte er dort die deutsche Gemeinde in Johannesburg übernommen. Auch die Krefelder Staatsanwaltschaft hat kürzlich einen internationalen Haftbefehl gegen K. erwirkt. Sie wirft ihm sexuellen Missbrauch in 37 Fällen vor.
Interessant wäre in diesem Fall, zu erfahren, ob Prof. Norbert Leygraf – der jetzt auch die von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebene Untersuchung „Sexuelle Übergriffe durch Geistliche in der katholischen Kirche Deutschlands – Analyse psychiatrisch-psychologischer Gutachten“ leitet, Georg K. begutachtet hat. Jedenfalls erwähnte Prof. Leygraf letztes Jahr auf einer Pressekonferenz, dass er einen Geistlichen begutachtet hat, bei dem Saunabesuche mit Jugendlichen Misstrauen erregt hatten – und in diesem Fall offenbar keine strafrechtliche Relevanz festgestellt hat. Prof. Leygraf begutachtet seit 2003 auffällig gewordene Priester für die katholische Kirche, und die Pfarrei von Georg K. ist keine Autostunde von Leygrafs Institut entfernt.
Pfarrer Andreas L. aus Salzgitter-Lebenstedt (2006)
Andreas L. hatte zweimal mit einem Jungen zusammen in einem Bett übernachtet. Nachdem sich die Eltern beschwert hatten, verboten seine Vorgesetzten ihm den Kontakt mit dem Jungen. Auch nachdem L. kürzlich gegen das Kontaktverbot verstoßen hatte, sah man beim Bistum Hildesheim offenbar keinen Grund, L. nicht mit einer Jugendgruppe nach Taizé (Frankreich) fahren zu lassen. Weihbischof Bongartz wies in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hin, dass es keine Beschuldigung sexuellen Missbrauchs gegeben habe:
„Zunächst ist es so, dass wir in den vergangenen Jahren im Kontext dieses Vorgangs mit sexuellem Missbrauch in keiner Weise zunächst erst mal konfrontiert worden sind. Die Frage, ob es sich hier um sexuellen Missbrauch handeln könnte, haben wir im Jahre 2010 noch einmal auch mit der Staatsanwaltschaft abgeklärt, und dort ist uns nochmal auch eindeutig und unmissverständlich versichert worden, dass nach den jetzigen Angaben, die wir damals machen konnten, und den Tatsachen, die uns da bekannt waren, es keinen Grund für einen Anfangsverdacht gibt.
[…] In all diesen Kontexten ist dann allerdings, und das muss ich nochmal ausdrücklich betonen, nie von irgendwelchen sexuellen Übergriffen die Rede gewesen. […]
Es ist so, dass in diesem Fall des mutmaßlichen Opfers es bislang auch seitens der Familie immer auch uns gegenüber geheißen hat, von sexuellem Missbrauch redet man nicht.“
Weihbischof Heinz-Günter Bongartz im NDR, 19.07.2011
„Aber es hat auch bis vor drei Wochen auch in diesem Gespräch mit eben halt dem Pfarrer hier vor Ort keine Gründe gegeben für uns, sexuellen Missbrauch zu phantasieren und ihm vorzuwerfen. […] Um sicher zu sein, ist das was hier eben halt vorliegt, so zu beurteilen, dass es nicht unter sexuellem Missbrauch eben halt auch firmieren kann. Das ist uns von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt worden, dass das was dort an Vorkommnissen gewesen ist, was ich so in meiner Funktion als Priester nicht billigen würde, aber nicht ausreicht, um einen Verdacht sexuellen Missbrauchs aufzustellen.“
Weihbischof Heinz-Günter Bongartz im NDR, 19.07.2011
Es ist natürlich das gute Recht von Weihbischof Bongartz, darauf hinzuweisen, dass dem Pfarrer bisher (Bongartz zufolge) kein strafbares Verhalten vorgeworfen wurde. Das Problem des „sexuellen“ Kriteriums, dass in den oben genannten Fällen angelegt wurde, ist vielmehr, dass Pädophile sich gar nicht „sexuell“ betätigen müssen, um sich zu befriedigen:
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht bei der Pädophilie die primäre sexuelle Ausrichtung auf Kinder. Diese ist nicht zwingend koital ausgeprägt; Pädophile können bereits durch Situationen erregt und befriedigt werden, in denen kein Körperkontakt zu einem Kind besteht. Bei Situationen mit Körperkontakt kann bereits das Berühren des Kindes allein als erregend empfunden werden, ohne dass diese Berührungen im Genitalbereich stattfinden müssen. Der Wunsch nach dem Vollzug des Koitus mit dem Kind scheint bei Pädophilen seltener anzutreffen zu sein.[27]
Neben dem sexuellen Interesse ist bei Pädophilen ein Bedürfnis nach emotionaler Nähe zu Kindern festzustellen. Viele Pädophile verlieben sich in Kinder und wünschen sich echte wechselseitige Liebesbeziehungen zu Kindern.[30][31] […] Überproportional viele Pädophile arbeiten in entsprechenden Berufen, z. B. als Erzieher oder in der Jugendbetreuung, um Umgang mit Kindern zu haben. [Wikipedia, Hervorhebung von mir.]
Es ist daher völlig verfehlt, wenn die katholische Kirche als Kriterium für ihre Personalentscheidungen die Strafbarkeit heranzieht statt der Hinweise auf Pädophilie.
Im Mai wurde in den USA die von der dortigen Bischofskonferenz beauftragte Studie „The Causes and Context of Sexual Abuse of Minors by Catholic Priests in the United States, 1950-2010“ veröffentlicht. Darin heißt es:
It was common for abusive priests to create opportunities to be alone with minors, for example, during retreats. These men often integrated themselves into the families of the victims. [Executive Summary, S. 5]
Auf Deutsch: “Für Priester, die Minderjährige missbraucht haben, war es gängige Praxis, Gelegenheiten zu schaffen, um mit Minderjährigen allein zu sein – beispielsweise auf ‚Einkehrtagen‘. Diese Männer integrierten sich oft in die Familien der Opfer.“ Auch später in der Studie werden soziale Kontakte zu den Familien der Opfer als Merkmal straffälliger Priester erwähnt (S. 54). Auf S. 74 heißt es:
Einige Priester entwickelten Beziehungen mit bestimmten Familien in der Gemeinde und entwickelten eine persönliche Verbundenheit mit diesen Familien (z.B. verreisten sie mit ihnen, kamen dort zum Essen, übernachteten dort).
Dieses Wissen und dem Umstand vor Augen, dass das Bistum Hildesheim bereits vor einigen Jahren einen „Beraterstab“ zum sexuellen Missbrauch bildete (dessen Mitglied Weihbischof Bongartz ist), erscheinen die folgenden Ausführungen reichlich naiv, die Bongartz noch vor ein paar Tagen machte:
„Also, diese Hinweise, die dort auch noch mal 2010 an die Staatsanwaltschaft gegeben worden sind, haben sich auf ein freundschaftliches Verhältnis des Pfarrers zu dieser Familie bezogen, das vor 2006 lag. Im Jahre 2006, als es in dieser Familie den Wunsch gab, doch ein distanzierteres Verhältnis zu dem Pfarrer einzunehmen, hat es von unserer Seite aus eine Ansage gegeben an den Pfarrer, dieses Verhältnis nicht mehr weiterhin zu leben. Das ist dann auch erfolgt, und wir haben dem Pfarrer klare Auflagen gemacht, an die er sich auch gehalten hat – bis vor drei Wochen, wo er nochmal versucht hat, mit dem Jungen Kontakt aufzunehmen und wir ihn erneut darauf hingewiesen haben, dass er das zu unterlassen habe.“ [Hervorhebung von mir.]
Weihbischof Heinz-Günter Bongartz im NDR, 19.07.2011
Mit anderen Worten: Pfarrer Andreas L. hat
- ein „freundschaftliches Verhältnis“ zu der Familie des Jungen unterhalten
- regelmäßig Jugendreisen geleitet
- zweimal mit dem Jungen in einem Bett geschlafen
- Das Bistum sah sich genötigt, ein Kontaktverbot auszusprechen.
- Gegen dieses Kontaktverbot hat Pfarrer L. verstoßen.
Trotz dieser deutlichen Warnzeichen weist Bongartz immer nur darauf hin, dass er nichts von „sexuellen“ Übergriffen gewusst habe – und ignoriert das Thema „Pädophilie“ völlig.
Das Problem hierbei ist, dass offenbar der gefährliche Umkehrschluss gezogen wird: Wenn der Beschuldigte nicht straffällig geworden ist (also kein sexueller Übergriff), dann sei er auch ungefährlich. Oder wie anders ist es zu erklären, dass Pater G. bescheinigt wurde, er könne „langfristig in der Jugendarbeit, selbst ohne Teameinbindung eingesetzt werden“ (s.o.)? Dass Georg K. trotz Ministranten in seiner Privatsauna und aufsehenerregenden Streichelns weiter mit Kindern eingesetzt wurde? Dass Prof. Leygraf „Misstrauen erregende Saunabesuche mit Minderjährigen“ offenbar als Beispiel für einen unbegründeten Verdacht brachte? Dass Andreas L. trotz mehrfachen Schlafens im Bett eines Jungen und Verstoß gegen das Kontaktverbot weiter mit Jugendlichen verreisen durfte? Alles übrigens Fälle nach der Verabschiedung der bischöflichen Leitlinien zum sexuellen Missbrauch 2002, der Salzgitter-Fall sogar nach Verabschiedung der überarbeiteten Leitlinien 2010.
Im aktuellen Fall von Andreas L. sagte dazu der Sprecher des Bistums Hildesheim, Dr. Michael Lukas:
So wirkt es zumindest unglücklich, dass der Pfarrer weiter mit Jugendlichen verreisen durfte. „Was hätten wir tun sollen?“, fragt Lukas, „auf welcher Faktenbasis hätten wir ihm das verbieten sollen?“ [SPIEGEL ONLINE]
Das klang freilich letztes Jahr noch ganz anders, als Prof. Leygraf und Dr. Lütz auf einer Pressekonferenz bei der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe den anwesenden Journalisten erklärten, die Leitlinien müssten „offenbar funktionieren“ (Leygraf). Und weiter:
„Der Umgang der Kirche mit diesen Fällen ist doch sehr sorgfältig und fast schon etwas übervorsichtig“, sagt Leygraf.
Und Dr. Lütz erklärte:
Wenn ein Gutachter zum Ergebnis komme, dass von einem Geistlichen keine Gefahr ausgehe, sei der Bischof damit noch nicht aus der Verantwortung entlassen, betont Lütz. „Der Bischof muss strenger sein als das Gutachten.“ Aber er sagt auch: „Das kommt nicht selten vor.“ [Hervorhebung von mir.]
Also: Als letztes Jahr der Kirche vorgeworfen wurde, sie täte nicht genug, um Missbräuche zu verhindern oder aufzuklären, da hieß es, der Umgang der Kirche mit diesen Fällen sei „doch sehr sorgfältig und geradezu übervorsichtig“, und der Bischof müsse „strenger sein als das Gutachten“ – auch, wenn letzteres die Ungefährlichkeit eines Geistlichen bescheinige. Doch dieses Jahr – nach der Verschärfung der bischöflichen Leitlinien – als mal wieder ein mehrfacher Missbrauchsfall ans Licht kommt, da kriegt man gesagt: „Was hätten wir tun sollen?“ und „Auf welcher Faktenbasis hätten wir ihm das verbieten sollen?“ – Seitdem ist eine Woche vergangen, ohne dass die deutschen Bischöfe dem Hildesheimer Bistumssprecher widersprochen hätten.
Die Bischöfe gefährden mit diesem systematischen Wegschauen nicht nur die ihnen anvertrauten Kinder – sie verletzen m.E. auch die Fürsorgepflicht gegenüber den Priestern. Wenn pädophile Priester wissen, dass sie praktisch gefahrlos
- Kinder unter der Kleidung streicheln,
- mit Messdienern in die Pfarrhaussauna gehen und
- mit Kindern im selben Bett schlafen können,
dann ist das so, als würde man einen Alkoholiker als Barkeeper anstellen und ihm sagen, er solle beim Trinken „seine Grenzen kennen“.
SPIEGEL: Missbrauchsfall im Zuständigkeitsbereich von Erzbischof Zollitsch wirft Fragen auf
1. August 2010Dem SPIEGEL (31/2010, S. 37-38) ist aufgefallen, dass der Missbrauchsfall in Birnau im Erzbistum Freiburg Fragen aufwirft, nämlich u.a. diese: „Hat Erzbischof Zollitsch alles für die Aufklärung getan?“ – Skydaddy hat die Antwort auf diese Frage.
Missbrauch: Berichterstattung 2002
22. Juni 2010Gestern hatte ich empfohlen, sich mal die Medienberichterstattung zu den kirchlichen Missbrauchsskandalen von 2002 anzusehen, um diesen Sommer, wenn die deutschen Bischöfe ihre überarbeitete Fassung der „Leitlinien“ vorstellen, die kirchlichen Erklärungen hierzu beser einschätzen zu können.
Diese Berichte zu finden ist allerdings nicht ganz einfach, daher hier ein paar Hinweise (alle Hervorhebungen in den Texten von mir):
Leitlinien: Schwächen und Kirchensprech
21. Juni 2010Anlässlich der gegenwärtigen Beratungen der Deutschen Bischofskonferenz und womöglich der Präsentation der überarbeiteten Leitlinien möchte ich auf ein Paar Blog-Artikel von mir hinweisen, in denen ich Schwächen der bisherigen Leitlinien und Wissenswertes zum „Kirchensprech“ aufzeige:
- Bischofskonferenz: Gesichtswahrung geht vor Opferschutz
- Leitlinien: Warnzeichen ernst nehmen!
- Leitlinien: Pervertierung der Opferbelange
- „Aufklärung“ und „Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden“: Kirchensprech verstehen
- Kirchensprech: Praxisbeispiele zum Thema „Missbrauch“
- Missbrauchsopfer: „Die tun nichts, die wollen nur reden“
Außerdem sei noch einmal auf den ausführlichen und fachkundigen Artikel von Peter Jamin in der Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft der Polizei hingewiesen: Die Leid-Linien der katholischen Kirche (Pressemitteilung der GDP hier).
Um die Erklärungen der Deutschen Bischofskonferenz bei der Vorstellung der überarbeiteten Leitlinien angemessen würdigen zu können, empfiehlt sich übrigens, mal die Nachrichten von September 2002 zu recherchieren, als die Bischöfe die Leitlinien vorgestellt haben. Z.B. schrieb der SPIEGEL darüber:
Regensburg – Gerade war die Debatte um den sexuellen Missbrauch durch Priester über die katholische Kirche hinweggefegt, da gaben sich Deutschlands Bischöfe zerknirscht und reumütig. Fortan gelte „die Fürsorge der Kirche zuerst dem Opfer“ schrieben sie in Leitlinien zum Umgang mit der Sünde. Den Betroffenen werde „menschliche, therapeutische und pastorale Hilfe“ angeboten. Den Opfern solle bei der „Überwindung von Irritationen, Sprachlosigkeit und Trauer“ von „kompetenten Ombudsmännern“ (Kardinal Karl Lehmann) geholfen werden.
Für die überarbeiteten Leitlinien ist bereits angekündigt: Die Opfer sollen mehr im Focus stehen…
Appell an Bischofskonferenz: Zuhören ist gut – Handeln ist notwendig
21. Juni 2010Heute und morgen (Mo+Di) tagt der ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz im Wäruburger Kloster Himmelspforten und berät dabei auch über die Überarbeitung der Leitlinien zum sexuellen Missbrauch. Aus diesem Anlass hier eine Pressemitteilung der KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ und der Hinweis auf einen sehr lesenswerten Artikel aus der Südwestpresse: Schweigen in allen Sprachen: Opfer sexueller Gewalt in der Kirche stoßen oft noch immer auf eine Mauer von Unverständnis.
Zollitsch und die Leitlinien
18. Juni 2010Der Umstand, dass für Ordensmitglieder der jeweilige Abt zuständig ist, entband die Erzdiözese Freiburg und Erzbischof Zollitsch im Fall des pädokriminellen Zisterzienserpaters Gregor Müller nicht von ihrer Verantwortung gemäß den „Leitlinien“ der Deutschen Bischofskonferenz, den 2006 gemeldeten Fall zu prüfen und dem Opfer Hilfen anzubieten, sowie den jetzigen Dienstgeber und die Öffentlichkeit zu informieren. Davon ist so gut wie nichts geschehen.
Zollitsch: Aufklärer oder Vertuscher?
8. Juni 2010Eine erweiterte Fassung dieses Artikels mit neuen Informationen gibt es jetzt beim hpd: Zollitsch beauftragte Mönche – trotz Untätigkeit.
In diesem Artikel zeige ich, dass die Zisterzienser in Birnau Seelsorgeaufgaben für das Erzbistum Freiburg wahrnehmen. Damit kann sich das Erzbistum nicht auf fehlende Zuständigkeit der Diözese oder mangelnde Informationspflicht des Ordens berufen. Nachdem das Bistum im März erfahren hat, dass der Orden im Fall des pädosexuellen Zisterzienserpaters Gregor M. seit 2006 untätig geblieben war, hätte Zollitsch dem Orden die Seelsorge in seinem Bistum sofort entziehen müssen.
Hinweis: Zum Lesen des kompletten Artikels bitte hier oder unten auf „Den Rest des Beitrags lesen »“ klicken – Zollitschs „Sündenregister“ ist so lang, dass ich hier nur den Anfang darstellen kann.
Die Staatsanwaltschaft Konstanz hat sich entschieden, die Ermittlungen gegen Erzbischof Dr. Robert Zollitsch aus Freiburg, gleichzeitig Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, zu übernehmen. Zugleich hat sie klargestellt, dass es nicht darum geht, dass Zollitsch 1987 die Anstellung des bekannt pädokriminellen Zisterzienserpaters Gregor M.„veranlasst“ habe, wie zunächst in den Medien berichtet wurde.
Vielmehr gehe der Anzeigeerstatter „davon aus, dass Zollitsch damals um Vorgeschichte und Aufenthalt des beschuldigten Zisterzienserpaters wusste oder bei genügender Sorgfalt hätte wissen können.“ (Badische Zeitung, 07.06.2010) Im Bistum Basel, in dem der Pater ebenfalls eingesetzt war, war jedenfalls bereits 1971 dokumentiert, dass er in Deutschland und Österreich sexuell übergriffig geworden war. Außerdem wurde Pater Gregor im Jahr seines Weggangs aus Birnau strafversetzt (1968) – und davon soll das Erzbistum Freiburg, für das die Zisterzienser dessen Pfarreien Nußdorf und Deisendorf betreuen (s.u.), nichts gewusst haben?
Das hätten gewissenhaft arbeitende Journalisten übrigens auch auf der Website des Anzeigeerstatters bzw. Opfers erfahren können.