Faktencheck mit Bischof Dröge: Wer nichts weiß, muss alles glauben

Predigt „Versachlichung“: Der Berliner Landesbischof Markus Dröge. Pressefoto: Andreas Schoelzel

Wer Ahnung hat, hat mehr vom Leben. Oder anders ausgedrückt: „Wer nichts weiß, muss alles glauben“.

Schon minimale Grundkenntnisse der Physik helfen beispielsweise zuverlässig, nicht auf irgendwelche „Wunderprodukte“ hereinzufallen, deren angebliche Wirkungsweise entweder gar nicht oder jedenfalls nicht in dem behaupteten Maße funktionieren kann. Man spart sich dadurch die (unter Umständen teure) Investition in Geräte, deren versprochene Einsparungen nie realisiert werden können.

Auch Grundwissen über logisches Denken und häufige Fehlschlüsse hilft enorm, im täglichen Überangebot von Produkten und Meinungen die Spreu vom Weizen zu trennen.

Und die Kenntnis bestimmter statistischer Eckzahlen, z.B. die ungefähre Bevölkerungsgröße des eigenen Landes, trägt dazu bei, andere Zahlenangaben auf ihre Plausibilität zu prüfen.

Was den eigenen Tätigkeitsbereich angeht, sollte man natürlich erst recht informiert sein. Sonst geht es einem noch wie 1994 dem SPD-Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping, der bekanntlich im Wahlkampf „brutto“ und „netto“ verwechselte.

Dröges Behauptungen

Der evangelische Berliner Landesbischof Markus Dröge gab nun kürzlich in einem Interview folgendes zum Besten:

Wir müssen deutlicher erklären, was wir machen. Der Kulturstaatsminister hat zum Beispiel errechnet, dass in Deutschland die Kirchen in der Kulturarbeit finanziell so viel leisten wie alle Kommunen zusammen. Und es gilt die Faustregel: Wenn wir Aufgaben übernehmen, zu denen der Staat verpflichtet ist, spart die öffentliche Hand 20 Prozent.

Der Uneingeweihte mag sich nichts dabei denken, aber für Leute, die sich mit der Materie ein wenig auskennen, ist das eine Sensation! Oder aber höchst suspekt, je nachdem.

Dröge wärmt hier eine zumindest grob irreführende Behauptung wieder auf, für die er bereits früher kritisiert wurde. („Märchenstunde des Berliner Bischofs„; enthält mehrere Links zu älteren Artikeln.) Zuletzt hat Dröge diese Behauptung  m.W. im April gegenüber dem Internetportal  der EKD „evangelisch.de“ gemacht, das ausgerechnet unter der Überschrift „Bischof will sachlichere Debatte über Staat-Kirche-Verträge“ berichtete:

[Dröge] verwies auf Berechnungen des Staatsministers für Kultur, Bernd Neumann (CDU), nach dem allein das kirchliche Engagement für Kultur einem Wert von jährlich 3,5 bis 4,8 Milliarden Euro entspreche. Dies sei derselbe Wert wie alle Bundesländer oder alle Kommunen zusammen und komme der Gesellschaft zugute, betonte Dröge. Dies mache die Staatsleistungen an die Kirchen wett.

Wer nun weiß, dass die evangelische und die katholische Kirche derzeit jährlich zusammen ca. 10 Milliarden Euro an Kirchensteuer vereinnahmen, der merkt sofort, dass hier etwas nicht stimmen kann: Denn die von Dröge genannte Obergrenze von 4,8 Milliarden würde dann praktisch die Hälfte der Kirchensteuer ausmachen.

Die Hälfte der Kirchensteuer für „Kultur“?

Hinzu kommt: Das von Dröge zitierte Gutachten stammt aus dem Jahr 2005. Damals betrug das Kirchensteueraufkommen noch 7,8 Milliarden Euro, das heißt, der Studie zufolge müssten die Kirchen zwischen 45 und 62 Prozent des Kirchensteueraufkommens für kulturelle Zwecke ausgegeben haben – etwa die Hälfte!

Dies deutet darauf hin, dass bei der Ermittlung dieser Beträge entweder eine extrem „großzügige“ Definition von Kultur zugrunde gelegt wurde, oder dass hier Gelder mit eingerechnet wurden, die die Kirchen zwar ausgeben, die aber gar nicht von der Kirche selbst stammen, sondern z.B. von der öffentlichen Hand, die die Kulturarbeit der Kirchen fördert. Oder beides.

Zumindest letzteres ist tatsächlich der Fall. In dem Gutachten heißt es nämlich:

Die Kirchen setzen vermutlich etwa 20% ihrer Kirchensteuern und Vermögenserlöse für ihre kulturellen Aktivitäten ein. (S. ii)

Die Kirchen finanzieren nur ein Drittel des angegebenen Betrages

Bei 7,8 Milliarden Kirchensteuer in 2005 würde also die „finanzielle Leistung“ der Kirchen lediglich 1,6 Milliarden ausmachen – etwa ein Drittel des in der Studie angegebenen „wahrscheinlichen Werts“ von 4,396 Mrd. Euro. (Man beachte, wie die Autoren des Gutachtens hier trotz der enormen Unsicherheit von 30% drei Nachkommastellen angeben, eine Unart, die sich in dem Gutachten auch andernorts findet und auf eine geringe Professionalität hinweist.)

Die im obigen Zitat erwähnten Vermögenserlöse dürften übrigens keinen großen Effekt haben, da diese Einkunftsart in der EKD-Statistik unter „ferner liefen“ mit etlichen anderen Einnahmearten (z.B. Elternbeiträge in Kindereinrichtungen) zusammengefasst wird, die zusammen 20% der Einnahmen ausmachen.

Die Kirchen selbst finanzieren also keineswegs soviel „wie alle Bundesländer oder alle Kommunen zusammen“, sondern offenbar lediglich ein Drittel dessen. Und dann müsste man noch mal schauen, ob hier bei der öffentlichen Hand die gleiche Definition von „Kultur“ zugrunde gelegt wurde wie bei der Ermittlung der kirchlichen Zahlen. Und ob die 2,8 Milliarden, die in dem obigen Vergleich quasi fälschlich den Kirchen zugerechnet werden, nicht in Wirklichkeit noch zusätzlich den Kommunen oder Ländern zugerechnet werden müssen.

Ich hatte im April bereits in einem Kommentar bei evangelisch.de auf die offensichtliche Unplausibilität von Dröges Zahlen hingewiesen. (Leider hat mein Kommentar aber die kürzliche Umstellung der Website bei evangelisch.de nicht überlebt.) Carsten Frerk hatte wiederholt auf die schweren Mängel dieser Gefälligkeitsstudie hingewiesen. (Z.B. „Lügen haben lange Wirkung“ mit Verweisen auf ältere Artikel.)

Dass Dröge jetzt einen Monat später im Interview wieder mit der gleichen Argumentation daher kommt, aber dieses Mal die Zahlen weglässt, die sofort zeigen, dass seine Behauptung Unsinn ist, mag Zufall sein. Es könnte aber auch darauf hindeuten, dass es Dröge gar nicht auf eine redliche Argumentation ankommt. So oder so erscheint es besonders dreist, dass er  im selben Atemzug im April eine „Versachlichung“ anmahnte und jetzt behauptete, dass die Kritiker wenig Ahnung von unserem bewährten Religionsrecht haben. Das macht mir Sorgen.“

Dröges „Faustregel“

Aber bei seinem jüngsten Interview hatte Dröge ja noch eine weitere Behauptung parat:

Und es gilt die Faustregel: Wenn wir Aufgaben übernehmen, zu denen der Staat verpflichtet ist, spart die öffentliche Hand 20 Prozent.

Auch hier fragt man sich, wie das gehen soll: Die Einrichtungen, wo die Kirchen den größten Eigenanteil aufbringen, sind die Kindertagesstätten. (In anderen öffentlichen Bereichen wie z.B. Krankenhäusern ist der Eigenanteil der Kirchen Null, weil diese komplett öffentlich oder anderweitig finanziert werden.)

Selbst bei den Kindertagesstätten beträgt der kirchliche Anteil – und damit die „Ersparnis“ für die öffentliche Hand – im Schnitt aber nur 12 Prozent. (Dieser Anteil ist z.B. in NRW sogar gesetzlich geregelt.)

Wenn aber die Ersparnis des Staates durch den Eigenanteil der Kirchen schon im günstigsten Fall (nämlich bei den Kindergärten) nur 12 Prozent beträgt (und demzufolge in allen anderen Bereichen weniger oder Null), kann jedenfalls nicht „die Faustregel“ gelten, dass die öffentliche Hand durch die Übertragung von staatlichen Aufgaben an die Kirche 20 Prozent spare.

Wie kommt Dröge zu seiner „Faustregel“?

Ich kenne genau eine Quelle, die Bischof Dröges Behauptung zumindest ansatzweise rechtfertigen würde. Dabei handelt es sich um einen Artikel des Finanzleiters im Kirchenamt der EKD, Oberkirchenrat Thomas Begrich – bei „evangelisch.de“.

Unter der Überschrift „Wieviel zahlt der Staat den Kirchen wirklich?“ nahm Begrich 2010 Stellung zu Carsten Frerks „Violettbuch Kirchenfinanzen“. Begrich kam zu dem Fazit: „Carsten Frerk ist kundig und hat viel recherchiert. Es geht aber nicht wirklich um Zahlen in seinem Buch, eher um deren Deutung.“ und zitiert zum Schluss Goethe: „Man merkt die Absicht und man ist verstimmt.“

In Begrichs Artikel heißt es (nach wie vor):

Für kirchliche Kindergärten errechnet Frerk einen Beitrag von 3,8 Milliarden Euro an Staatsgeldern. Die evangelische Kirche geht für ihren Bereich übrigens nur von einem knappen Drittel aus, aber wichtiger ist das Prinzip: Die Kirchen erhalten diese Mittel doch nicht, weil sie Kirchen sind, sondern weil sie für die Gesellschaft eine Dienstleistung erbringen, zu der sie obendrein von ihren eigenen Mitteln noch knapp 20 Prozent beisteuern. [Hervorhebung von mir.]

Möglicherweise hat Bischof Dröge bei seiner “Faustregel” übersehen”, dass hier nur von Kindergärten die Rede ist.

Nur: Begrichs Behauptung ist schlichtweg falsch. Ich habe Begrich letztes Jahr darauf hingewiesen, dass er mir selbst einmal mitgeteilt hat, der durchschnittliche „Kirchenanteil“ an den evangelischen Kindergärten betrage 12%. (Hinweis: Und davon sind nur 11% aus Kirchensteuermitteln, der Rest sind Spenden u.ä. Diese Zahlen stammen aber nicht von Begrich persönlich.) Daraufhin teilte er mir mit:

Sehr geehrter Herr Krause, danke für den Hinweis. Die richtige Bezeichnung dieses Satzteiles muß lauten: je nach Bundesland noch knapp 20%, durchschnittlich 12%.

Dank an Oberkirchenrat Begrich für diese ehrliche Antwort!

(Es ist allerdings nicht so, dass die falsche Angabe auf „evangelisch.de“ mittlerweile geändert worden wäre.)

Damit lässt sich sagen, dass selbst für Kindergärten lediglich die „Faustregel“ gelten kann, dass die öffentliche Hand durch die Kirchen 12 Prozent spart – und nicht 20, wie Dröge (auch gleich noch für alle Bereiche) behauptet.

(Anmerkung: Und selbst diese „Entlastung“ des Staates durch etwaige kirchliche Anteile an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben wird durch die steuerliche Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer mehr als zunichte gemacht. Insgesamt betrachtet, spart der Staat durch die Kirchen gar nichts, im Gegenteil. Und man kann sich nicht einfach nur diejenigen Aspekte herausgreifen, wo der Staat – für sich gesehen – von den Kirchen zu profitieren scheint, wenn an anderer Stelle die Belastung des Staates durch die Kirchen ein Mehrfaches beträgt. Vgl. „Kirchenaustritte entlasten die Allgemeinheit„.)

Armutszeugnis für kirchliche Quellen

Man muss wohl feststellen, dass „evangelisch.de“ nicht die beste Quelle darstellt, wenn man sich „sachlich“ über Kirchenfinanzen informieren möchte.

Was bedauerlich ist, weil man eigentlich annehmen sollte, dass Zahlen direkt vom Bischof und vom Finanzleiter der EKD „wasserdicht“ sein sollten.

Vielmehr scheint sich hier das Problem abzuzeichnen, dass Kirchenvertreter wie Dröge die eigene kirchliche Propaganda tatsächlich glauben und noch weiter aufblasen.

Was unverzeihlich ist. Denn Dröge hätte beide seiner Behauptungen – den absurd hohen „Kulturbeitrag“ der Kirchen und seine unsinnige „Faustregel“ – selbst sofort als haltlos erkennen können, wenn er eine kurze Plausibilitätsprüfung angestellt hätte.

Andererseits: Wenn Markus Dröge Wert auf Plausibilität legen würde, wäre er wohl nicht gerade Berufschrist geworden.

Ich habe übrigens Bischof Dröge am vergangenen Freitag auf diese Unstimmigkeiten hingewiesen und gestern noch einmal nachgehakt. Sollte ich eine Reaktion erhalten, werden ich seine Antwort natürlich hier posten.

5 Responses to Faktencheck mit Bischof Dröge: Wer nichts weiß, muss alles glauben

  1. Wolfgang sagt:

    Es heißt ja auch immer wieder „glauben“ und nicht Denken.
    Man glaubt ja, das man in den Himmel kommt, aber man denkt nicht daran…..

  2. Hurli sagt:

    Wie Begrich schon angemerkt hat: Die Fakten sind das eine, ihre Bewertung das andere. Und hier ist schon deutlich Deine Tendenz zu spüren, solange die Zahlen zu drehen bis rauskommt: Die Kirche ist ein geldgeiler Verein.
    Das Gutachten zeigt klar auf, dass die Kirchen für Kultur *im Wert* von mehreren Milliarden sorgen. Dies vor allem in der Breitenkultur, also unter maßgeblicher Beteiligung von Freiwilligen. Und hier finde ich dann diese Kritik nicht nur unsachlich, sondern schon ärgerlich. Welches sind denn in der Peripherie die kulturellen Einrichtungen? Natürlich kannst Du schön fordern, dass in der Landeshauptstadt ein neues Orchester aufgemacht wird, das nützt den Leuten im Dorf überhaupt nichts. Dort trifft sich der Kirchenchor, aber weil’s in der Kirche ist, ist es Deiner Meinung ja irgendwie schlecht.

    Irgendwie auch nicht so ganz verstanden habe ich den Einwand gegen den Wert des kirchlichen Beitrags zur Kultur in Deutschland: Zwischen 3,8 und 4,8 Milliarden Euro und damit gleichbedeutend mit den diesbezüglichen Ausgaben von Bund und Ländern. Das eine kirchliches Baudenkmal die gleiche Unterstützung bekommt wie ein anderes Baudenkmal stört Dich? Das ein Kirchenchor die gleichen Möglichkeiten auf staatliche Unterstützung hat wie ein anderer Chor findest du doof? Esgeht hier doch nicht darum, dass alles von vorne bis hinten ohne eine staatliche Förderung abgeht, sondern dass dieser Beitrag sich wertmäßig auf einem Niveau mit den Kommunen bewegt.

    Was die Unterstützung freier Träger der Wohlfahrtspflege anbetrifft finde ich die Kritik auch etwas rätselhaft: Festzuhalten bleibt, dass der Staat substantiell spart, wenn sich freie Träger in diesem Bereich engagieren. Vielen Kommunen wünschen sich, dass dieser Anteil 20% beträgt und tun ihr Möglichstes den tatsächlichen Betrag dem anzunähern. Findest Du es eigentlich generell doof, dass es freie Träger gibt wie etwa Volkssolidarität, Arbeiterwohlfahrt, DRK usw. Oder stört es nur wenn Kirche und Diakonie dies machen?

    Der Zusammenhang zur Absetzbarkeit der Kirchensteuer, wie jeder anderen Spende für einen gemeinnützigen Zweck; erschließt sich mir auch nicht. Der Staat verzichtet auf die Erhebung der Einkommensteuer für den Teil des Einkommens des Bürgers, der gemeinnützigen Aufgaben dient. Davon hat der Verein unmittelbar keinen Euro mehr, wenn der Bürger auf den gespendeten Betrag keine Steuern zahlt.

    Es ist schon verblüffend, wie suspekt hier bürgerschaftliches Engagement behandelt wird. Stattdessen solle doch lieber der Staat seine Staatskultur pflegen und alles andere soll bitteschön nicht zählen. Das gabs in der DDR. Ich will dir nicht unterstellen, diese Verhältnisse zu befürworten. Aber mit Deiner Kirchenkritik fällst Du, denke ich, genau auf dieser Seite vom Pferd.

    • Skydaddy sagt:

      Vielen Dank für Deinen ausführlichen und sachlichen Kommentar. Ich weiß das zu schätzen. Im Prinzip jedenfalls.

      Du scheinst hier allerdings Dinge aus meinem Beitrag herauszulesen, die ich gar nicht geschrieben habe. Ich weiß bspw. nicht, was die ganzen Ausführungen über die Breitenwirkung mit meinem Artikel zu tun haben sollen.

      Dröge stellt im Interview zwei unhaltbare Tatsachenbehauptungen auf:

      1.) Die Kirchen „leisten“ kulturell so viel wie alle Kommunen zusammen.

      2.) Als Faustregel gelte, wo die Kirchen tätig werden, spare der Staat 20%.

      2.) Ist völliger Bullshit, wie oben ausgeführt. Der Eigenanteil der Kirchen an Caritas und Diakonie, also in etwa die öffentlichen Aufgaben, beträgt 1,8%. Bzw. betrug 1,8% im Jahr 2002 — zwischenzeitlich haben die Kirchen ihren Anteil bei den Kindergärten, die etwa ein Drittel des kompletten Eigenanteils ausmachen, ja noch einmal reduziert. Folglich ergäbe sich für Dröges Faustregel lediglich ein kümmerlicher Wert von 1,8%. Und nicht 20%.

      Es ist nicht meine Schuld, dass Dröge so abwegige Zahlen bringt.

      Ich kritisiere oben ja auch nicht, dass die Kirchensteuer steuerlich absetzbar ist, sondern mache lediglich darauf aufmerksam, dass man eben insgesamt schauen muss: Was kosten die Kirchen den Staat und wo entlasten sie ihn. Noch einmal: Man kann sich nicht nur gerade die Aspekte rauspicken, die einem in den Kram passen. Es ist doch Dröge, der sich die Zahlen hier zurechtphantasiert, nicht ich.

      Was nun 1.) angeht, den „Kulturbeitrag“: Wenn die Zahlen aus der Gefälligkeitsstudie stimmen, könnte man formulieren, dass die Kirchen im Kulturbereich ein Volumen von rd. 4,4 Milliarden Euro „bewegen“. Oder „ausgeben“. Aber eben nicht „aufbringen“ oder „leisten“, denn aus der Kirchensteuer stammt ja wohl nur ein Drittel dieses Betrages (1,6 Mrd.), der Rest kommt offenbar von der öffentlichen Hand. Dagegen sage ich doch gar nichts (gegen die öffentliche Förderung von Kultur, die irgendwie mit den Kirchen zusammenhängt). Ich weise nur darauf hin: Wenn eben zwei Drittel (davon muss man ja offenbar ausgehen) dieses Betrags vom Staat stammen, dann ist es doch völlig unsachgemäß, diesen Betrag den Ausgaben der öffentlichen Hand gegenüber zu stellen. Sondern man müsste die 2,8 Milliarden vom Kirchenvolumen abziehen und der öffentlichen Hand zuschlagen, die das Geld ja letztlich aufbringt. Wenn man das tut und die 2,8 Milliarden zu gleichen Teilen den Ländern und den Kommunen zuschlägt, kommt heraus, dass die Kirchen weniger als ein Drittel des Betrages finanzieren, den die Kommunen bzw. die Länder aufbringen.

      Ob dieser Betrag – 1,6 Milliarden aus der Kirchensteuer (wenn die Gefälligkeitsstudie stimmt) – nun gut oder schlecht ist, steht hier nicht zur Debatte. Er ist jedenfalls weit von dem Eindruck entfernt, den Dröge im Interview vermittelt.

      Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung. Aber nicht auf seine eigenen Fakten. Bischof Dröge stellt Tatsachenbehauptungen auf, die absurd sind. Und ich weise darauf hin.

      Dröge hat übrigens auf meine mittlerweile vier Mails nicht reagiert. Ich gehe davon aus, dass er selber nicht wusste, was er da für einen Blödsinn erzählt hat. Oberkirchenrat Begrich hat den Fehler in seinem Artikel wenigstens zugegeben. Das stünde Dröge als Bischof auch gut zu Gesicht.

  3. Hurli sagt:

    Sorry, aber jetzt bin ich doch etwas baff über diese Hybris gegenüber Dröge und den Erstellern der Studie. Die wird bei Dir gleich mal zur „Gefälligkeitsstudie“. Aber bitte, jeder sucht sich sein Diskursniveau.

    Was den Wert kirchlicher Kultur in Deutschland angeht, äußerst du nur irgendwelche Vermutungen. Warum dann auf einmal Dröge falsch liegen soll, kann ich nicht erkennen. Auf den Seiten 225 und 226 des Gutachtens findest du die entsprechenden Zahlen. Für die EKD-Seite sind 1,7 Milliarden Euro festzuhalten, wovon 1,2 Milliarden von der Kirche kommen (wohl 20 % der Kirchensteuereinnahmen?) und 350 Mio von Dritten (ergo teilweise dem Staat). Das sind nun deutlich andere Zahlen, als die von dir in den Ring geworfenen Prozentzahlen in Bezug auf Diakonie und Caritas. Warum hier auf einmal Krankenhausleistungen mit Kulturausgaben in einen Topf geworfen werden, ist nicht nachvollziehbar. Aber vielleicht musste auch nur irgendeine passende (weil niedrige) Prozentzahl her. Wofür Dröge sich hier entschuldigen sollte, kann ich nicht erkennen.

    Auch dein Gegenrechnen der Abzugsfähigkeit erscheint mir etwas forsch: Zunächst mal nicht „der Staat“ finanziert dies, sondern die Bürger. Und warum ein Konzert von einem kirchlichen Veranstalter weniger Anspruch auf allgemeine Kulturförderung haben soll, als ein Konzert von einem staatlichen Kulturträger bleibt dein Geheimnis. Auch das die Kirchensteuer den Staat etwas kostet ist nach meinem buchhalterischen Verständnis eine gewagte These: Nehmen wir an ich zahle aus meinem Einkommen 100 Euro Kirchensteuer und für diesen Teil meines Einkommens vorläufig 30 Euro Einkommensteuer. Beim Jahresausgleich bekommen ich dann die vorausgezahlten 30 Euro Einkommensteuer zurück. Wieviel Kirchensteuer habe ich denn jetzt bezahlt? Richtig, weiterhin 100 Euro, die dreißig Euro zusätzlich von der Kirchensteuer abzuziehen oder zu behaupten, der Staat würde durch die Nichterhebung Geld „verlieren“ ist doch ein kleiner Taschenspielertrick.

    Bleibt also nicht viel übrig von deinen Vorwürfen.

    Als allerletzten Aspekt will ich noch auf die Versammlung ehrenamtlichen Engagements hinweisen, der bei den ganzen Finanzberechnungen etwas kurz kam. Nicht betragsmäßig erfasst ist die Breitenwirkung. In kirchlichen Chören singen bald 1 Mio Menschen und dies ehrenamtlich. Sowohl als kulturellen Beitrag durch Auftritte als auch durch die individuelle Fortbildung wird doch hier eine bedeutende kulturelle Arbeit institutionalisiert, ohne dass sich dies in den Ausgaben niederschlägt. Der Wert für die Kultur ist damit aufgrund des hohen ehrenamtlichen Engagements noch viel höher als die Ausgaben.

  4. Skydaddy sagt:

    Hallo Hurli,
    vielen Dank für Deinen Kommentar. So etwas in der Art hätte ich auch als Antwort von Bischof Dröge erwartet, der hat sich aber trotz vier Mails nicht gemeldet.

    Bei meinem Beitrag handelt es sich um eine Plausibilitätsprüfung und nicht um eine weitere „Kulturstudie“. Es geht nicht darum, zu zeigen, wie viel die Kirchen tatsächlich für Kultur ausgeben, sondern darum, zu zeigen, dass Dröges Behauptung unhaltbar ist.

    Die Zahlen aus dem Gutachten, die Du erwähnst, stammen nur von der evangelischen Kirche. Dröge bezieht sich aber auf den gesamten Beitrag von evangelischer und katholischer Kirche. Da erscheint es doch nicht verkehrt, den Kirchensteuer-Anteil aus dem Gutachten (20%) vom Gesamt-Kirchensteuer-Aufkommen zu nehmen, um den aus Kirchenmitteln finanzierten Kulturbeitrag beider Kirchen abzuschätzen.

    Selbst, wenn wir den im Gutachten genannten Eigenbetrag von 1,28 Milliarden für die evangelische Kirche nehmen und verdoppeln (um die „Netto-Leistung“ der ev. und kath. Kirche abzuschätzen), kommen wir nur auf 2,6 Milliarden Euro – und nicht auf den „wahrscheinlichen Wert“ des Gutachtens von 4,4 Milliarden. Dementsprechend finanzieren die Kirchen eben auch bei weitem nicht so viel wie die Länder oder die Kommunen.

    Und damit ist Dröges Behauptung (bzw. die Aussage des Kulturgutachtens), die Kirchen würden in der Kulturarbeit so viel „leisten“ wie alle Kommunen zusammen, schlichtweg unhaltbar. Und wenn das so offensichtlich ist (der „wahrscheinliche Wert“ des Gutachtens macht etwa die Hälfte des Kirchensteueraufkommens aus), dann sollte Dröge dies eben nicht mehr behaupten. Und wenn das so offensichtlich ist, dann kann er sich auch nicht auf das Gefälligkeitsgutachten berufen. (Der Begriff stammt übrigens nicht von mir, sondern von Carsten Frerk, der das auch gut begründet.)

    Ich werfe auch nicht „auf einmal Krankenhausleistungen mit Kulturausgaben in einen Topf”, wie Du mir vorwirfst. Vielmehr beziehe ich mich bei den Krankenhäusern auf Dröges zweite Behauptung, derzufolge die öffentliche Hand 20 Prozent sparen soll, wo die Kirche öffentliche Aufgaben übernimmt.

    So sehr ich Deine argumentative Kritik schätze, Du verfehlst das Thema: Dröges Zahlen sind nicht haltbar, egal, ob die Kirchen nun 1,6 oder 2,6 Milliarden “Kulturbeitrag” leisten. Und seine 20%-Faustregel erst recht nicht. Da wird auch nichts unzulässig vermischt, es geht um zwei separate Behauptungen, die Dröge in dem Interview gemacht hat.

    Zur Kirchensteuer: Der Effekt, dass man (z.B. auch bei Spenden) durch die steuerliche Absetzbarkeit netto (also effektiv) weniger zahlt als beim Empfänger ankommt, ist allgemein bekannt. Das ist ja auch gerade der SINN der steuerlichen Absetzbarkeit. Nur: Wo kommt denn der Differenzbetrag letztendlich her, der bei der Kirche ankommt, den aber das Kirchenmitglied letztlich gar nicht zahlt? Deshalb handelt es sich um eine Subvention, und deshalb ist die dadurch verursachte Steuerminderung auch im Subventionsbericht der Bundesregierung ausgewiesen.

    In Deinem Beispiel zeigt sich das auch daran, dass der Kirchensteuerzahler gegenüber einem Nicht-Kirchenmitglied effektiv lediglich 70 Euro mehr zahlt, bei der Kirche aber 100 Euro ankommen. Das heißt, 30 Euro werden aus allgemeinen Steuermitteln zugeschossen.

    Den „Taschenspielertrick“ wendest Du selbst an, indem Du auf die Bruttokirchensteuer verweist anstatt auf die Nettobelastung des Kirchensteuerzahlers.

    Noch einmal: Es ist allgemein bekannt, dass durch die steuerliche Absetzbarkeit der „Spender“ (bei Spenden) effektiv weniger zahlt als beim Empfänger ankommt. Das ist auch so gewollt, die Differenz finanziert effektiv der Staat, deshalb ist es eine Subvention. Das ist nicht meine persönliche Meinung, sondern Fakt. Wenn Du nun so tust, als würde die Kirchensteuer trotzdem komplett von den Kirchenmitgliedern aufgebracht, dann musst Du Dir „Taschenspielertricks“ vorhalten lassen.

    Du missverstehst auch meine Argumentation: Ich kritisiere nicht, dass die Kirchensteuer abzugsfähig ist, sondern ich weise darauf hin, dass, solange sie abzugsfähig ist, dem Staat dadurch Kosten in Milliardenhöhe entstehen, die bei der Erörterung, ob die Kirchen den Staat entlasten, nicht außen vor gelassen werden können. Ich habe das in einem ähnlichen Artikel für den hpd versucht, noch deutlicher zu machen.

    Zum Ehrenamt: Ich habe mal versucht, dessen finanziellen Wert abzuschätzen, letztlich aber ohne Ergebnis, weil es einfach zu viele Unbekannte gibt: Wie viele Freiwillige engagieren sich in den Kirchen? (Und würden dies ohne Kirchen nicht tun?) Mit wie viel Zeitansatz? Und was ist dieses Engagement in Euro pro Stunde wert?

    Ohne das Ehrenamt auf die finanzielle Perspektive verkürzen zu wollen: Wenn man die Behauptung aufstellt, dass der Staat durch das ehrenamtliche Engagement der Kirchenmitglieder in einer Weise entlastet wird, die die Zahlungen und Subventionen des Staates an die Kirchen rechtfertigt, dann muss man diese finanzielle Abschätzung irgendwie aufstellen.

    Und in Anbetracht der Milliarden, die der Staat an die Kirchen zahlt, müsste jemand, der behauptet, dies sei durch das ehrenamtliche Engagement der Kirchenmitglieder gerechtfertigt, zumindest mal eine „Hausnummer“ nennen, also die Größenordnung, um die der Staat hier entlastet werden soll, und diese begründen.

    Es scheint mir aber auch unerheblich zu sein: Ehrenamtliches Engagement gibt es in vielen gesellschaftlichen Bereichen, ohne dass damit in der Weise versucht wird, Ansprüche an den Staat zu rechtfertigen, wie es bei den Kirchen der Fall ist.

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