Vor zwei Tagen wies der Humanistische Pressedienst darauf hin, dass in Berlin evangelische Schüler pauschal einen zusätzlichen Tag Unterrichtsbefreiung für den Buß- und Bettag erhalten haben. Andreas Müller kommentierte.
Hintergrund: Schülern, die an religiösen Feierlichkeiten teilnehmen möchten (bzw. sollen, solange die Eltern darüber befinden), ist hierfür schulfrei zu gewähren. Für bestimmte Religionen bzw. Konfessionen sind dazu bereits Pauschalregelungen getroffen: Schülerinnen und Schüler, die der betreffenden Religion angehören, haben an den festgelegten Tagen grundsätzlich frei. In Berlin waren das bis vor kurzem:
- Evangelen: 1 Tag (Reformationstag)
- Katholen: 3 Tage (Fest der Erscheinung des Herrn, Fronleichnam, Allerheiligen)
- Juden: 11 Tage (Neujahr, Versöhnungstag, Laubhüttenfest, Schlussfest, Passahfest, Wochenfest, jeweils bis zu 4 Tage)
- Muslime: 2 Tage (Ramadanfest, Opferfest)
Auf Betreiben der Evangelischen Kirche erhalten die evangelischen Schülerinnen und Schüler seit diesem Jahr zusätzlich auch am Buß- und Bettag schulfrei.
An dieser Regelung gibt es meines Erachtens wenig auszusetzen. Natürlich wurmt es mich aus meiner persönlichen Sicht, dass hier offenbar Einbildung Vorfahrt hat vor Bildung. Aber die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, und die Schulpflicht bzw. das Recht auf Bildung wird zunächst einmal nicht ernsthaft beeinträchtigt, wenn Schüler 2 oder drei Tage nicht am Unterricht teilnehmen. Wie das in der Praxis gehandhabt werden soll, wenn z.B. die Hälfte der Schüler einer Klasse zum Buß- und Bettag dem Unterricht fernbleibt, sei hier mal dahingestellt.
Es fällt auf, dass für die Kinder jüdischer Eltern deutlich mehr schulfreie Tage vorgesehen sind (11) als für die anderen Religionen. Das liegt aber daran, dass an den übrigen wesentlichen christlichen Feiertagen sowieso schulfrei ist. In Berlin sind nämlich 6 christliche Feiertage gesetzliche Feiertage: Karfreitag, Ostermontag, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, 1. und 2. Weihnachtstag. In anderen Bundesländern kommen z.T. noch weitere gesetzliche christliche Feiertage hinzu, z.B. in Bayern: Heilige Drei Könige, Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen. Von den Oster- Pfingst- und Weihnachtsferien will ich hier gar nicht reden. De facto gibt es also etwa gleichviele schulfreie christliche Tage wie jüdische, und ironischerweise rührt der Umstand, dass Kinder jüdischer Eltern 11 Tage öfter frei haben, gerade aus der Bevorzugung der christlichen Feiertage (die nämlich für alle frei sind).
Aus meiner Sicht ist eine andere Regelung viel ärgerlicher, weil sie eine ungerechtfertigte Privilegierung der Religion darstellt, und zwar die Schulbefreiung für religiöse „Rüstzeiten“. So heißt es z.B. in einem Erlass des Hessischen Kultusministeriums:
„Zur Teilnahme an Rüstzeiten der Kirchen oder Religionsgemeinschaften (z. B. für Konfirmanden, Firmlinge, Schulabgänger) sind Schülerinnen und Schüler von Klasse 5 an zweimal bis zu drei Unterrichtstagen zu beurlauben, sofern die Eltern oder die volljährigen Schülerinnen und Schüler dies beantragen.“ [Hervorhebung von mir.]
Im Unterschied zu den Feiertagen, deren Termine nun einmal feststehen, lassen sich die Termine für derartige Rüstzeiten ja durchaus planen, und es kann wohl erwartet werden, dass solche Veranstaltungen nicht auf Unterrichtstage gelegt werden. Viele Rüstzeiten wirken auf den Außenstehenden wie „religiöse Kaffeefahrten“, d.h. es wird ein im Prinzip attraktives, preiswertes Angebot gemacht – z.B. ein Skiurlaub – in das dann gezielte religiöse Beeinflussung eingebaut wird. (Beispiel eines Rüstzeitberichts.)
Besonders krass ist allerdings die Ausnutzung von Rüstzeiten bei der Bundeswehr. (Beim Zivildienst, der Polizei und dem Grenzschutz dürfte es ganz ähnlich sein.) Für Rüstzeiten ist großzügig Sonderurlaub zu gewähren, und für manchen Soldaten dürfte die bloße Aussicht, einmal für ein paar Tage dem militärischen Alltag zu entkommen, bereits Grund genug für die Teilnahme sein. (Ich erinnere mich noch an meine eigene Bundeswehrzeit, als nach einer Woche harter Ausbildung für den Rest von uns, pünktlich zum Freitag Mittag, die Teilnehmer einer Rüstzeit des Militärpfarrers zurück kamen und uns feixend erzählten: Wir waren jeden Tag im Schwimmbad, haben uns gut erholt – und wie war eure Woche?)
Hier ein aktuelles Beispiel: Eine Kanufreizeit der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung (EAS) vom 7. bis 10 Juli 2009 (Dienstag bis Freitag – also ohne „Gefährdung“ des Wochenendes). Am Ende des Programms heißt es: „Für die Rüstzeit kann Sonderurlaub gemäß ZDv 14/5 gewährt werden.“ Teilnahmebeitrag für Grundwehrdienstleistende: 25 Euro.
Man ahnt zwar anhand der Beschreibung, dass die Flussfahrt während der Kanufreizeit auch als Metapher für das Leben Verwendung finden wird, allerdings ist ein religiöser Charakter in der Beschreibung (abgesehen von dem Hinweis auf „eine kurze Andacht“ vor Beginn) praktisch nicht erkennbar – ebensowenig wie bei der Werbung für Kaffefahrten die „Teilnahmemöglichkeit an einer Verkaufsveranstaltung“ in den Vordergrund gestellt wird. Man fragt sich: Worin soll hier eigentlich der Rüstzeitcharakter bestehen, und weshalb gibt es dafür Sonderurlaub?
Die Antworten auf diese Frage finden sich nicht in den Programmbeschreibungen, sondern an anderer Stelle. Die Rüstzeiten der Evangelischen Militärseelsorge werden mit dem Bibelspruch begründet „…und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (Mt 28,20), und ihre „theologische Qualität“ besteht u.a. in „biblischer Grundlage“ und „missionarischer Intention„. Das alles natürlich im „Gewand“ von Erwachsenenbildung.
Der missionarisch-religiöse Aspekt ist aber nicht nur in den Broschüren, sondern auch in den Berichten darüber kaum erkennbar. Obwohl z.B. dieser Bericht von einem Pfarrhelfer geschrieben wurde, findet sich außer dem Hinweis auf das Pfarramt als Anbieter kein einziger Hinweis auf den religiösen Aspekt. Klar – die Berichte dienen ja wiederum als Werbung für zukünftige Veranstaltungen. Ähnlich auch hier – der einzige Hinweis auf religiöse Komponenten ist die Formulierung „Dieses Motto durchzog auch die Andachten und ihre biblischen Impulse.“
Nun kann man den Kirchen natürlich nicht verbieten, ihre missionarischen Angebote in Kaffeefahrten-Manier zu bewerben, wenn sie sich auf dieses Niveau begeben wollen. Nur sollte es dafür keinen Sonderurlaub geben – weder für Schüler, noch für Soldaten.
[…] Kaffeefahrten (2): Zivildienst Unter der Überschrift „Sonderurlaub für religiöse Kaffeefahrten?“ hatte ich kürzlich darüber geschrieben, wie Schulen, aber auch z.B. die Bundeswehr […]
Dear SkyDaddy,
Deine Untersuchungen und Ansichten über die Rüstzeit spricht mir aus der Seele. Gerne darf jeder freie Bürger seinen Urlaub mit religösen Kaffefahrten füllen, aber eine Religion, dessen Freiheit eingeschränkt würde, wären die Rüstzeiten in der Ferienzeit, kenne ich bisher nicht. Es ist eine bodenlose Ungerechtigkeit und ich sehe mich schwer in meinen Rechten angegriffen, wenn religöse Zivildienstleistende Sonderurlaub für ihren privaten, urpersönlichen Glauben erhalten und zu allem Überfluss Ski fahren gehen, während ich mir mühsam meine Urlaubstage sparen muss.
Dazu verfasste ich bereits einen Brief an den Internationalen Bund Konfessionsloser & Atheisten (IBKA), nachzulesen hier:
http://docs.google.com/View?id=dccpfqmt_57hd6nphdm
Ich wünsche mir sehr, dass in Zukunft dieses ungleiche Behandlungen von religösen und nicht-religösen zu einer gerechten Lösung findet.
Mit freundlichem Gruß,
Joel Deschanel
[…] Sonderurlaub für religiöse Kaffeefahrten? Für Rüstzeiten ist großzügig Sonderurlaub zu gewähren, und für manchen Soldaten dürfte die bloße Aussicht, einmal für ein paar Tage dem militärischen Alltag zu entkommen, bereits Grund genug für die Teilnahme sein. […]