Overbecks Äußerungen: Meinungsfreiheit oder Volksverhetzung?

Sind die Äußerungen von Bischof Overbeck (u.a. „ohne Religion und ohne religiöse Praxis gibt es kein Menschsein“) von der Meinungsfreiheit gedeckt oder schon Volksverhetzung? Und sollte es überhaupt einen Straftatbestand „Volksverhetzung“ geben? — Ich meine: Ja, und Obverbecks Äußerungen erfüllen die Kriterien für Volksverhetzung.

Blogger Muriel von „überschaubare Relevanz“ (den ich schon allein wegen seines Hintergrund- und Profilbildes sowie des selbstironischen Blog-Titels sympathisch finde) hat ausführlich zu meinem Anzeigentext gegen Bischof Overbeck Stellung genommen und sich gegen eine Anzeige ausgesprochen.

Ich denke, Muriel und ich stimmen von unseren Überlegungen und Kriterien weitgehend überein, es ist wohl nur so, dass ich aufgrund unterschiedlicher Gewichtungen zu einem anderen Ergebnis komme, was Overbecks Äußerungen angeht.

Tatsächlich ist das, was mich am meisten an Muriels Artikel wurmt, der Umstand, dass ich meine Ausführungen viel lieber auf einer Plattform namens „pangalaktische Dringlichkeit“ oder so kommentiert gefunden hätte…

Zunächst ein plumper, dafür aber kurzer Konter:

Wenn Muriel titelt „Overbeck hat Recht“ – nämlich, Muriel zufolge, das Recht, derartige Äußerungen zu tun –, dann könnte Muriel natürlich nach der gleichen Logik sagen: „Skydaddy hat Recht“ – denn zweifellos habe ich das Recht, Overbeck bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. (Und, wohlgemerkt, um Prüfung zu bitten, ob Overbecks Äußerungen strafrechtlich relevant sind.)

Die Relevanz einer solchen Entgegnung wäre aber wohl relativ überschaubar (hö, hö), und damit zumindest auf diesem Blog fehl am Platz.

Muriel vertritt zwei Standpunkte:

Erstens ist ihm die Meinungsfreiheit sehr wichtig. (Was ich von mir auch sagen würde.) Und zweitens hält er meine Argumentation hinsichtlich der Volksverhetzung nicht für stichhaltig.

An dieser Stelle vielleicht der Hinweis: Eine erheblicher Grund für meine Anzeige war der Umstand, dass bereits Anzeigen gegen Overbeck erstattet worden waren, die aber m.E. die Brisanz seiner Äußerungen bei weitem nicht so deutlich machten wie ich das in meinem Text herausgearbeitet habe. Auch wollte ich den üblichen Einwänden etwas entgegensetzen. Wenn Overbeck schon angezeigt wird, dann sollte die Argumentation m.E. so effektiv wie möglich sein.

Grenzenlose Meinungsfreiheit?

Aber kommen wir zur Meinungsfreiheit. Diese ist mir ebenfalls sehr wichtig. Ich finde bloß, dass bei Overbecks Äußerungen die Diffamierung so stark überwiegt, dass es sich nicht in erster Linie um eine „Meinung“ handelt.

Es gibt nämlich – nicht nur meiner Meinung nach, ich habe hier das deutsche Recht auf meiner Seite – Äußerungen, die von der Meinungsfreiheit eben nicht gedeckt sind.

Am offensichtlichsten ist dies bei Aufforderungen zu Mord oder Gewalt. In diesem Punkt stimmen Muriel und ich überein, so schreibt er:

Ich lehne wie Beleidigung oder Volksverhetzung als eigenständige Straftatbestände deshalb vollständig ab und kann mir eine Strafe für Äußerungen nur mittelbar in der Form vorstellen, dass sie eine Anstiftung oder Beihilfe zu anderen Straftaten sein können. (Augenfälliges Beispiel: “Wenn du meinen Nachbarn erschlägst, gebe ich dir zweitausend Euro.”)

Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Muriels und meiner Position ist, dass er einen speziellen Straftatbestand für Volksverhetzung offenbar nicht für nötig hält, sondern bei Gewaltaufrufen eben gleich auf „Anstiftung zu Gewalt“ plädieren würde. (So verstehe ich ihn zumindest.)

Nun gibt es aber nicht nur Anstiftung zur Gewalt gegen bestimmte Personen (in Muriels Beispiel der Nachbar), sondern auch gegen Gruppen von Menschen, die sich durch ein bestimmtes Merkmal auszeichnen bzw. dadurch erkennbar sind.

So durfte man z.B. gestern lesen, dass ein Pastor in Kansas erklärte, die Regierung solle Homosexuelle töten. Zweifellos eine Meinung, aber hier nähert man sich doch irgendwo einer Grenze, wo die Gesellschaft derartige Meinungen nicht zu tolerieren hat. Es ist ja eine Sache, wenn mich jemand ein Arschloch nennt, aber eine andere, wenn er zur Tötung von Menschen aufruft, deren Merkmalen ich entspreche. Ich finde nicht, dass Homosexuelle (bzw. die Gesellschaft, z.B. auch Eltern, Geschwister oder Freunde von Homosexuellen) es hinnehmen müssen, wenn zur Tötung von Homosexuellen aufgerufen wird.

Entmenschlichung und Untermenschen

Bei Volksverhetzung kommen aber typischerweise zwei Dinge zusammen: Nämlich zum einen der Aufruf zur Gewalt gegen eine bestimmte Gruppe, zum anderen aberauch regelmäßig eine systematische Propagandastrategie, um die betreffende Gruppe zu entmenschlichen. Denn Menschen haben nun mal Hemmungen, andere Leute einfach so zu töten. Deshalb wurden und werden Tötungsaufrufe gegen bestimmte Gruppen üblicherweise dadurch vorbereitet und begleitet, dass der betreffenden Gruppe das Menschsein, oder zumindest das vollwertige Menschsein, abgesprochen wird. In diesem Zusammenhang wurde ja auch gerne die Bezeichnung „Untermenschen“ verwendet.

Gewalt gegen bestimmte Gruppen speist sich daher aus zwei Faktoren: Konkreten Aufrufen zur Gewalt, aber auch der vorherigen Entmenschlichung der Opfer.

Der Gesetzgeber sieht das übrigens genauso, denn der Straftatbestand der Volksverhetzung (s.u.) umfasst zwei Punkte: Den Aufruf zu Hass oder Gewalt, aber auch Beschimpfung, Verächtlichmachung und Verleumdung.

Ich glaube auch, dass die konkreten Aufrufe zur Gewalt weniger wichtig sind als die Entmenschlichung. Denn: Wenn für die Entmenschlichung gesorgt ist, wird es zur Gewalt von ganz allein kommen.

Ich bin daher der Auffassung, dass die gezielte Herabsetzung bestimmter Gruppen mindestens ebenso „bedenklich“ sein kann wie konkrete Aufrufe zur Gewalt.

Die Nazis-Propaganda hat auch nicht die Vergasung von Menschen gefordert — sie hat sie aber vorbereitet

Als Atheist sieht man sich ja regelmäßig mit der Behauptung konfrontiert, die Nazis seien Atheisten gewesen. Ich habe deshalb vor einiger Zeit mal kurz recherchiert, wie damals deren Propaganda so aussah. Ich erinnere mich nicht, irgendwo gelesen zu haben, dass bestimmte Menschen vergast oder umgebracht werden sollten. Stattdessen erinnere ich mich an Behauptungen wie, bestimmte Menschen seien

  • von Gott verflucht
  • asozial
  • parasitär
  • unmoralisch
  • nur auf ihren eigenen Vorteil aus
  • Kommunisten

Es gab noch andere Unterstellungen. Die obigen habe ich deshalb herausgegriffen, weil die gleichen Vorwürfe auch gegen Atheisten erhoben werden. (Wobei der Vorwurf des Kommunismus seit einiger Zeit etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint.)

Mein Punkt ist: Systematische bzw. massenhafte Gewalt gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen ist nur möglich, wenn zuvor entsprechend der geistige Boden für diese Taten bereitet wurde. Typischerweise wird der betreffenden Gruppe dabei das Menschsein abgesprochen.

Für diejenigen, die so etwas tun, gibt es auch eine Bezeichnung: Schreibtischtäter. Oder Hassprediger. (Ich vermute, dass dieser Begriff nicht umsonst „Hassprediger“ lautet und nicht „Hassredner„.)

Deshalb bin ich der Auffassung, dass das Strafrecht zu Recht den Tatbestand der Volksverhetzung kennt.

Das Problem ist freilich, dass sich hier nur sehr schwer unterscheiden lässt, wo die legitime Meinung aufhört und die Volksverhetzung beginnt. Ich befürchte sogar: Die allermeisten Propagandabehauptungen gingen für sich alleine genommen durchaus als Meinung durch, während die Gesamtheit derartiger Äußerungen den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen kann.

Ist es grausam, wenn Tiere ohne Betäubung geschlachtet werden? Kann man so sehen. Ist es plausibel, dass eine bestimmte Gruppe das Interesse der eigenen Gruppe über die Interessen des Gemeinwesens stellt? Das dürfte wohl sogar eher die Regel als die Ausnahme sein und daher durchaus für sich genommen als legitime Meinung durchgehen. Ich hoffe, es wird deutlich, wohin die gedankliche Reise geht: Durch die gezielte „Zusammenstellung“ und Wiederholung von – für sich genommen – legitimen Meinungen (oder auch Tatsachen, man denke hier nur an die Diskussion über den IQ bestimmter Menschengruppen oder Kriminalitätsstatistiken) wird Propaganda betrieben, die den Boden für Gewalt gegen die entsprechende Gruppe bereitet.

Islamkritik oder Islamophonie?

Tatsächlich sehe ich diese Entwicklung momentan weniger bei den Atheisten als bei „den“ Muslimen. Als Atheist lehne ich natürlich den Islam als Religion ab, darüber hinaus speziell Praktiken wie die Beschneidung von Kindern oder das Schächten ohne Betäubung (wobei es in Deutschland auch die Praxis gibt, nach vorheriger Betäubung zu schächten). Ich betrachte mich deshalb durchaus als Islamkritiker, wobei ich mich allerdings gelegentlich veranlasst sehe, mich mit Muslimen zu solidarisieren, wenn diese an der (harmlosen) Wahrnehmung ihrer Religionsfreiheit gehindert werden sollen, z.B. am Bau von Moscheen. Oder am freiwilligen Tragen von Kopftüchern.

Es gibt aber auch Bewegungen – und da will ich auch Atheisten und Humanisten gar nicht ausnehmen – die m.E. zu einseitig und zu verallgemeinernd vorgehen. Es ist natürlich schwer zu beschreiben, wo hier die Grenze liegt. Ich denke, für meine Einschätzung ist ausschlaggebend, ob es gegen bestimmte Praktiken oder Einstellungen geht, oder gegen Menschen einer bestimmten Gruppe. Ich finde z.B., dass die medizinisch nicht notwendige Beschneidung von Minderjährigen als Körperverletzung geahndet werden sollte. (Worum es sich auch tatsächlich handelt, es wird nur leider in der Praxis nicht verfolgt.) Wenn sich jemand aus religiösen oder auch z.B. ästhetischen Gründen als Erwachsener beschneiden lassen will, soll er das meinetwegen tun, es könnte mir nicht gleichgültiger sein.

Meine Kritik macht sich also an konkretem Verhalten fest und nicht an einer speziellen Gruppenzugehörigkeit. Was ich nicht mag ist, wenn ich den Eindruck habe, man nimmt sich eine bestimmte Gruppe vor und „rationalisiert“ dann seine Vorbehalte, indem man sich (durchaus berechtigte) Kritikpunkte heraussucht. Besonders unappetitlich wird es, wenn diese Kritik dann nur gegenüber der betreffenden Gruppe vorgebracht wird, an anderer Stelle aber nicht. Die Kritik wird dann Mittel zum Zweck, nämlich zum Zweck der Diffamierung.

Ich kritisiere nicht nur Bischöfe

Bei dieser Gelegenheit noch mal der Hinweis: Overbeck ist nicht der erste und nicht der einzige, über den ich mich beschwert habe. Ich habe mich vor einigen Jahren mal beim Presserat über die Bildzeitung beschwert, weil die einen bestimmten Straftäter regelmäßig als „Monster“ bezeichnete. Genau wie jetzt bei Overbeck fand ich und finde ich noch, dass dadurch der Betreffende entmenschlicht wird. Der Presserat fand übrigens nichts dabei, trotzdem finde ich es richtig, dass ich mich beschwert habe.

Oder nehmen wir Thilo Sarrazin. Er fällt bei mir sicher nicht in die Kategorie „Sympathieträger“. Trotzdem war ich geschockt, als ich neulich diese unsägliche Formulierung lesen musste, wo Sarrazin als „stotternde, zuckende Menschenkarikatur“ bezeichnet wurde. So eine Formulierung hat für mich zu wenig „Meinungsgehalt“ und zu viel von der Aussage „zum Abschuss freigegeben“. Bin ich der Einzige, der bei dieser Beschreibung an ein verendendes Tier denkt, dem man an besten den Gnadenschuss gibt? Oder an ein Insekt im Todeskampf, das man aus Mitleid zertritt?

Wer jemanden öffentlich als „Menschenkarikatur“ bezeichnet, sieht den Betreffenden offenbar nicht als „richtigen“ Menschen. Da ist für mich ganz klar die Grenze der Meinungsfreiheit erreicht. Erfreulicherweise haben sich hier ja bereits andere des Themas angenommen.

Die Grenze der Meinungsfreiheit ist dort, wo anderen das Menschsein abgesprochen wird

So sehr ich für Meinungsfreiheit bin und so schwierig es ist, zu beurteilen, wo die Grenze überschritten ist und wo nicht: Ich bin der Auffassung, dass nicht alles, was jemand sagt oder schreibt, automatisch als „Meinung“ durchgehen kann, und dass die Grenze nicht erst bei einem ausdrücklichen Gewaltaufruf zu ziehen ist, sondern schon früher. Ganz sicher aber dort, wo das „Menschsein“ einer Gruppe infrage gestellt wird.

Ich denke also, dass der strafrechtliche Tatbestand der Volksverhetzung seine Berechtigung hat.

Volksverhetzung oder nicht?

Nun stellt sich die Frage, ob die Merkmale der Volksverhetzung bei den Overbeckschen Äußerungen erfüllt sind. Muriel verneint dies.

Paragraf 130 (1) StGB (Volksverhetzung) lautet:

Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

  1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
  2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Hier noch einmal Overbecks Äußerungen, die er in Lourdes getätigt hat (Muriel kannte offenbar nur die erste):

„Ohne Religion und ohne gelebte Praxis von Religion gibt es kein Menschsein.“
[YouTube, 5:33]

„Oberste Priorität hat, dass Soldaten Gewalt nur im äußersten Notfall und vor allem verantwortungsvoll einsetzen. Mit einem festen Glauben lassen sich solche Entscheidungen gewissenhafter treffen.“ [Domradio]

Die Anwendung von Gewalt bedürfe eines gefestigten Gewissens und eines klaren Charakters sowie Gottvertrauens, so der Militärbischof.“ [Domradio]

In seiner Ansprache in Lourdes sagte Overbeck außerdem,

„dass es [‚jedenfalls vom katholischen Standpunkt aus‘] kein rechtes Denken vom Menschen gibt ohne Gott“ (4:02)

und dass es,

„was das Staatswesen und das Rechtsdenken angeht, sonst zu katastrophalen Folgen führt, wenn wir uns nicht auf eine solche Grundlage (gemeint ist eine religiöse Rückbindung) beziehen…” (4:40)

Overbeck verleumdet Ungläubige

Overbeck äußert also nicht nur eine Meinung der Art, dass er Katholiken besser findet als Konfessionslose, oder auch, dass diese irgendwie „besser“ seien als Atheisten – wofür, in dieser allgemeinen Form, die Meinungsfreiheit geltend gemacht werden könnte. Nein: Overbeck behauptet hier konkret, dass Ungläubige Entscheidungen über den Einsatz von Gewalt weniger gewissenhaft treffen als Gläubige, und dass sie auch (mangels Gottvertrauens) nicht geeignet zur Anwendung von Gewalt sind – also nichts weniger, als dass Ungläubige nicht zum Soldaten taugen.

Das ist ehrverletzend und somit in der Tat verleumderisch. Zum Vergleich: Paragraf 187 StGB (Verleumdung) lautet:

Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Was sollen Overbecks Äußerungen denn sonst sein als eine Herabwürdigung von Ungläubigen in der öffentlichen Meinung? Dass er gewissermaßen Gläubige auf- statt Ungläubige abwertet, ist m.E. ohne Belang, da es inhaltlich auf dasselbe hinausläuft.

Und mit seiner zuerst genannten Aussage spricht er Nichtreligiösen schlicht und ergreifend das Menschsein ab. Inhaltlich kommt das der Behauptung gleich, Ungläubige seien Untermenschen, oder es kommt ihr zumindest nahe.

Wenn Overbeck es anders meinte, hätte er es auch anders formulieren müssen

Nur kann man darüber spekulieren, ob Overbeck etwas anderes meinte, z.B. „Es gibt keine Gesellschaften, in denen nicht irgendwo jemand religiös ist.“ Dann muss Overbeck das aber auch so sagen. Seine Aussage „ohne Religion und ohne religiöse Praxis gibt es kein Menschsein“ ist so eindeutig und umfassend, dass er damit Ungläubigen das Menschsein abspricht.

Wenn es um die Menschenwürde geht, kann man jemandem nicht erst präzise das Menschsein absprechen, um hinterher zu sagen, man habe das nicht so gemeint. Die Unterschiede mögen minimal erscheinen, entscheidend ist die Eindeutigkeit der getätigten Aussage. In den anderen beiden genannten Beispielen würde ich die Grenze z.B. folgendermaßen ziehen:

Straftäter ist „monströs“: zulässige Meinungsäußerung. Straftäter ist ein „Monster“: Grenze überschritten.

Diskutant verhält sich „karikaturenhaft“: zulässige Meinungsäußerung. Diskutant ist eine „Menschenkarikatur“: Grenze überschritten.

Der Unterschied liegt darin, dass die zulässigen Formulierungen dem Betreffenden lediglich Eigenschaften zuschreiben, während die m.E. unzulässigen Formulierungen das Menschsein selbst infrage stellen.

Und dass man bei einem katholischen Bischof nicht von einem Versehen ausgehen kann, habe ich ja in meinem Anzeigentext deutlich gemacht: Er äußert hier keine Meinung, sondern Overbeck definiert – in typisch katholischer Weise! – „Menschsein“ um in einer Weise, dass Ungläubige defizitär erscheinen müssen. Das ist etwas völlig anderes, als zu sagen: „Katholizismus ist für mich das Größte!“ oder „Menschen waren immer schon religiös“.

Der Verleumdungstatbestand ist m.E. klar erfüllt und Overbeck fügt sich damit in die Kommunikationsstrategie der Katholischen Kirche, Begriffe umzudefinieren und Andersdenkende als Gefährdung für die Gesellschaft darzustellen. (Man denke nur an Ratzingers Formulierung von der „Legalisierung des Bösen“ im Hinblick auf die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.)

Äußerungen wie die von Overbeck sind durchaus geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören

Bleibt die Frage, ob Overbecks Äußerungen geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören.

Die Frage ist nicht, ob der öffentliche Friede tatsächlich gestört ist, sondern ob  Overbecks Aussagen geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören.

Und hier habe ich anhand mehrerer Vorkommnisse in der US-Armee deutlich gemacht, dass eine einseitige „religiöse Aufladung“ von Militäreinsätzen durchaus die öffentliche Ordnung gefährden kann. Wobei ich vielleicht noch anmerken sollte, dass in den beiden Fällen, die mir spontan einfielen – die Bibelsprüche auf Pentagon-Zitaten und Verweise auf Bibelstellen auf Ausrüstungsgegenständen wie Zielfernrohren – im Grunde noch harmloser sind, als wenn ein Militärbischof vor gläubigen Soldaten auf einer Wallfahrt Ungläubigen das Menschsein abspricht.

Nicht so schlimm?

Ich gebe zu: Es mag etwas kleinlich erscheinen, sich darüber zu empören. Allerdings habe ich den Verdacht, dass die mangelnde Empörung vor allem daher kommt, dass wir alle – Atheisten wie Gläubige – derartige Aussagen schon viel zu oft gehört haben.

Man sieht das, wie schon in der Anzeige gesagt, wenn man Overbecks Aussage ins Gegenteil verkehrt:

„Wo es Religion und religiöse Praxis gibt, da gibt es kein Menschsein.“

Die öffentliche Abstumpfung gegenüber derartigen Äußerungen, wenn sie sich auf Nichtreligiöse beziehen, macht die Sache natürlich nicht besser, sondern nur noch schlimmer!

Umso wichtiger finde ich, darauf hinzuweisen, dass Overbecks Äußerungen verleumderisch sind und durchaus auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

Noch nicht überzeugt?

Nun, ich nehme nicht an, dass ich mit diesen Ausführungen sämtliche Skeptiker überzeugen kann. Deshalb hier noch eine etwas andere Argumentation:

Die Kritik an der Anzeige bezieht sich ja weniger darauf, dass Overbecks Aussagen harmlos wären, sondern dass auch für solche Äußerungen die Meinungsfreiheit zu gelten habe.

Wenn man aber nicht gerade für eine schrankenlose Meinungsfreiheit eintritt, muss es irgendwo eine Grenze geben. Nur, dass die schwer zu bestimmen ist.

Auch Kritiker einer Anzeige scheinen der Auffassung zu sein, dass Overbecks Äußerung zumindest grenzwertig ist. Nun, dann muss halt ausgelotet werden, wo diese Grenze ist. Und dazu muss irgendwann mal jemand seine Stimme erheben und sagen: Bis hierher und nicht weiter!

Und wenn Overbeck grenzwertige Äußerungen tätigt, dann kriegt er halt grenzwertige Anzeigen.

So einfach ist das.

10 Responses to Overbecks Äußerungen: Meinungsfreiheit oder Volksverhetzung?

  1. Muriel sagt:

    Danke für die sehr ausführliche und durchdachte Antwort.
    Natürlich hätte ich auch schreiben können, dass du Recht hast. Aber bei dir passiert das regelmäßig. Wäre deshalb keine Meldung.

  2. Andreas sagt:

    Kann durch diese Aussage Overbecks der öffentliche Friede gestört werden (ich stelle mir da komischerweise immer einen mit Forken bewaffneten Mob vor)?.
    Einige könnten jetzt behaupten, dass du, mit dieser Artikelserie und der Anzeige, der Störenfried seist. Die Kritik an Overbeck könnte die religiösen Gefühle der Katholiken verletzen, schließlich hat es einen Grund, warum Overbeck Bischof ist. Das ist ja kein Beruf, sondern Berufung, aus ihm spricht der heilige Geist.

    So oder so, Ausgangspunkt war die Rede Overbecks, und ich denke nicht, dass er nicht verstehen konnte, was er da gesagt hat. Wer weiß, vielleicht war es eine bewusste Provokation, um die Grenzen auszuloten und die Reihen zu festigen. Ein Klärung vor Gericht wäre wünschenswert, aber ich befürchte, dazu wird es nicht kommen

  3. Verstehe ich diesen Post richtig: Bestimmte Wortäusserungen (Ich halte eine Diskussion darüber, was eine Meinung ist und was nicht, für relativ sinnlos.) sollten aus konsequentialistischen Gründen verboten werden? Also weil solche Äusserungen unerwünschte Folgen, z.B. Gewalt gegen bestimmte Menschengruppen, haben können, nicht weil sie gegen ein Menschenrecht, nicht beleidigt zu werden, verstossen würden?

    • Skydaddy sagt:

      Ich finde nicht, dass es ein Menschenrecht gibt, nicht beleidigt zu werden. Verleumdung wäre noch mal was anderes, aber das würde sich dann wiederum an den Folgen festmachen.

      Das Strafrecht ist jedenfalls in dem Sinne konsequentialistisch: Ob etwas Volksverhetzung ist oder nicht, macht sich eben nicht nur an dem Gesagten fest, sondern auch an den möglichen Folgen.

  4. Andreas sagt:

    Das prinzipielle Problem an §130 ist doch, dass ein Richter vorher entscheiden muss, also bevor es zur Störung des öffentlichen Friedens kommt. Eine richterliche Entscheidung ist also höchst spekulativ. Ist es nicht viel mehr so, dass man, nach einer möglichen Ausschreitung, die geistigen Brandstifter mit diesem Paragraphen dingfest machen können sollte?

    • Skydaddy sagt:

      Zwar muss der Richter entscheiden, ich sehe das aber nicht als außergewöhnliches Problem an. Es ist ja recht gut bekannt, wie Volksverhetzung funktioniert.

      Der vorrangige Sinn des Rechtsstaats ist doch, Unrecht zu vermeiden, und nicht, es zu bestrafen.

      Es kann doch nicht sein, dass Angehörige einer bestimmten Gruppe Hetze hinnehmen müssen, bis es tatsächlich zu Aussschreitungen kommt. Oder dass der letzte Gedanke von jemand, der von einem Lynchmob verfolgt wird, ist: „Ha – dafür können meine Frau und Kinder jetzt den Anstifter verklagen!“

      Es mag nicht einfach sein. Es ist aber m.E. machbar. Und wie oben bereits dargelegt, wird dadurch auch die Meinungsfreiheit nicht unangemessen eingeschränkt, weil man seine Meinung in anderer Formulierung in den allermeisten Fällen immer noch sagen kann.

  5. schotenzaehler sagt:

    Hi,
    eine sehr interessante und differenzierte Ausführung, die mich sehr nachdenklich gemacht hat, ohne dass ich zu einer abschießenden Meinung komme. Jedenfalls Danke dafür.
    Ich habe in meinem Blog-Beitrag „Verletzung religiöser Gefühle?“ auf deinen Blog verlinkt. Ist das ok für dich?
    Viele Grüße
    schotenzaehler

  6. froesi sagt:

    hallo. wie sieht es eigendlich aus mit einer anzeige wegen volksverhetzung und verleumdung gegen matin mosebach
    http://www.wissenrockt.de/2012/04/21/leiden-die-ossis-unter-fehlendem-gotterglauben-26388/
    als ostdeutschem halbmenschen geht mir das doch sehr nah

  7. Sugel sagt:

    Zum Tatbestandsmerkmal Versammlung sagt das BVerfG: „(…) nicht nur auf Äußerungen in der Öffentlichkeit, sondern auch auf solche in geschlossenen Versammlungen erstreckt wird. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass das Gutheißen dieser Gewalt- und Willkürherrschaft in aller Regel auch aus geschlossenen Versammlungen heraus nach außen Reaktionen hervorruft. Soweit dieses im Einzelfall nicht zutrifft, kann dies über das weitere Tatbestandsmerkmal der Störung des öffentlichen Friedens korrigierend aufgefangen werden.“ [65] Eine Versammlung setzt voraus, dass die Teilnehmer miteinander innerlich verbunden sind und sich als überpersonales Ganzes verstehen. [66] Im Internet gibt es keine Versammlungen. Den „Netzgruppen“ fehlt die körperliche Anwesenheit (das Beisammensein [67] ) aller Teilnehmer/Nutzer am selben Ort.

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