Nach reiflicher Überlegung habe ich mich jetzt auch zu einer Anzeige gegen Militärbischof Overbeck entschieden. Mir sind nämlich noch einige Punkte eingefallen, die bisher nicht berücksichtigt wurden.
Update: Weitere Überlegungen zum Thema habe ich hier ausgeführt: Overbecks Äußerungen: Meinungsfreiheit oder Volksverhetzung?
Auf dem Atheist Media Blog machen wir uns regelmäßig darüber lustig, wenn Christen „Christenverfolgung“ rufen und Zeitschriften (wie Titanic) wegen Blasphemie oder Volksverhetzung anzeigen. Jedenfalls ist eine Anzeige wegen Volksverhetzung ein schwerwiegender Vorwurf und gewiss kein Mittel, um gegen missliebige Meinungsäußerungen vorzugehen.
Deshalb habe ich mir auch gut überlegt, ob ich Militärbischof Overbeck wegen seiner Äußerungen auf der Soldatenwallfahrt in Lourdes anzeigen sollte. Sehr sachgerecht fand ich den Ansatz von Wolfgang Klosterhalfen, Overbeck nicht Volksverhetzung vorzuwerfen, sondern lediglich die Staatsanwaltschaft um Prüfung zu bitten, ob hier Volksverhetzung vorliegen könnte.
Ein Einwand, den ich mehrfach gehört hate, war, dass durch Overbecks Äußerungen die öffentliche Ordnung nicht gefährdet sei. Wie ich in meinem Schreiben an die Staatsanwaltschaft zeige, kann dies allerdings nicht einfach ohne Weiteres behauptet werden.
Und Overbeck vertritt in seinem Statement „Ohne Religion und ohne religiöse Praxis gibt es kein Menschsein“ auch nicht in erster Linie eine Meinung, sondern vor allem diffamiert er.
Also: Hier mein Schreiben an die Staatsanwaltschaft Essen:
Staatsanwaltschaft Essen
45130 Essen
Singapur, den 29. Mai 2012
Äußerungen von Bischof Overbeck
Sehr geehrte Damen und Herren,
soviel ich weiß sind mehrere Anzeigen gegen Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck erstattet worden wegen Äußerungen, die dieser kürzlich während der Soldatenwallfahrt in Lourdes getätigt hat. (Insb. „Ohne Religion und ohne religiöse Praxis gibt es kein Menschsein.“) Im Internet habe ich den unten aufgeführten Anzeigentext von Dr. Wolfgang Klosterhalfen gefunden, dem ich mich anschließe.
Es geht mir allerdings nicht nur darum, meiner Sorge angesichts der Äußerungen von Bischof Overbeck Ausdruck zu verleihen, sondern vor allem auch darum, einige Punkte zu verdeutlichen, die für mich den Ausschlag für die Anzeige gegeben haben, und die in dem Text von Dr. Klosterhalfen keine Erwähnung finden:
GRÜNDE
1. Manipulative Sprache, typisch für Hassprediger
Es stünde Bischof Overbeck selbstverständlich frei, den Katholizismus als zu bevorzugende oder gar überlegene Lebensweise zu beurteilen und dies auch öffentlich zu erklären. Ein an der Wallfahrt teilnehmender Soldat gebrauchte dafür die Formulierung „Leben plus“.
Bischof Overbeck tat aber mit seiner Äußerung etwas anderes: Er definierte den Begriff des „Menschseins“ so um, dass es nun nicht mehr allein vom Menschsein des Menschen (oder gar Menschlichkeit) abhängt, sondern derart, dass „Religion und religiöse Praxis“ nunmehr notwendige Bedingung für das „Menschsein“ sein sollen. Dies steht ganz klar im Widerspruch zu der Vorstellung von Menschwürde, wie wir sie z.B. im Grundgesetz finden. Menschsein und Menschenwürde kommen jedem Menschen zu und hängen nicht von dessen Religion oder religiöser Praxis ab.
Mit seiner Definition von „Menschsein“ grenzt Bischof Overbeck Ungläubige – und auch Gläubige, denen es an „religiöser Praxis“ mangelt – aus, er spricht ihnen sogar das „Menschsein“ ab. Zwar verwendet Overbeck nicht den Begriff „Untermensch“, seine Aussage lässt sich aber ohne weiteres so verstehen und ist auch so verstanden worden.
Dies kann auch nicht als „ungeschickte Formulierung“ abgetan werden: Es ist vielmehr typisch für die Katholische Kirche, dass dort Begriffe wie „Wahrheit“ oder „Vernunft“ so umdefiniert werden, dass sie nunmehr gerade die katholische Lehre bezeichnen. Overbeck folgt exakt diesem Schema, wenn er „Menschsein“ als „religiös sein“ oder „katholisch sein“ umdefiniert.
Soweit ich es beurteilen kann, sind derartige sprachliche Manipulationen (gerade auch im Hinblick darauf, wer als vollwertiger Mensch zu gelten hat) typisch für Hassprediger, Ideologen und extremistische Propaganda.
Und es muss wohl davon ausgegangen werden, dass Bischof Overbeck es mit dieser Aussage ernst meint. Im umgekehrten Fall – wo die Katholische Kirche befruchteten Eizellen das „Menschsein“ gerade zuspricht – würde Bischof Overbeck sich wohl dagegen verwehren, dass es ihm mit seiner Definition von „Menschsein“ nicht ernst sei.
2. Dr. Overbeck hat seine Aussagen vor Soldaten gemacht
Als Atheist macht es mir Sorge, wenn ein Bischof vor gläubigen Soldaten Ungläubigen das Menschsein abspricht. Diese Sorge gilt nicht nur mir selbst und den Atheisten in Deutschland, sondern auch den „Ungläubigen“ in den weniger- und nichtchristlichen Regionen, in denen derzeit deutsche Soldaten im „scharfen“ Einsatz sind (Afghanistan, Libanon, Somalia, Kosovo, Sudan). Dort kommt es durchaus zu Situationen, wo deutsche Soldaten mit (mutmaßlich) Andersgläubigen in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt werden.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Bischof Overbeck in seiner Ansprache zeitweise nicht zwischen „Religion“ und „Katholizismus“ zu unterscheiden scheint, z.B. im einschlägigen Video ab 4:23, wo er nach dem Hinweis auf 80% religiöser Menschen weltweit (also auch Nichtkatholiken und Nichtchristen) fragt: „Warum sind diese 20 Prozent dann nicht auch schon katholisch geworden?“
Overbecks Aussage ist meines Erachtens an sich schon nicht hinnehmbar. Ich halte es allerdings für besonders verwerflich, Soldaten im Auslandseinsatz zu suggerieren, „Menschsein“ hinge in irgendeiner Weise von der religiösen Einstellung oder Praxis des Betreffenden ab.
EINWÄNDE
Ich will auch noch auf drei Einwände eingehen, die in der Diskussion um eine Anzeige gegen Bischof Overbeck aufkamen:
3. Dr. Overbeck macht seine Aussage vor und an Gläubige
Man könnte einwenden, dass derartige Äußerungen eines Bischofs nicht so ernst zu nehmen seien. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass Bischof Overbeck seine Äußerung während einer Soldatenwallfahrt gemacht hat. Er spricht damit ein Publikum an, bei dem durchaus davon auszugehen ist, dass es Overbecks Äußerungen ernst nimmt.
4. Störung der öffentlichen Ordnung
Auch, wenn sie gerne mit dem Adjektiv „militant“ belegt werden, ist mir nicht bekannt, dass Atheisten schon einmal aufgrund von Äußerungen wie der von Bischof Overbeck die öffentliche Ordnung gestört hätten. Allerdings:
Die Bundeswehr ist, wie schon gesagt, auch im Ausland im Einsatz. In der US-Armee gab es in der Vergangenheit mehrere Fälle, in denen christliche Bezüge beim Militär in den Einsatzgebieten für Aufruhr sorgten. Man denke nur an die Pentagon-Präsentationen, denen Bibelsprüche vorangestellt waren, oder den Umstand, dass auf Waffen und Ausrüstungsgegenständen wie Zielfernrohren vom Hersteller Markierungen angebracht waren, die auf einschlägige Bibelstellen verweisen sollten.
Es liegt auf der Hand, dass derartige Vorkommnisse in den Einsatzgebieten von interessierter Seite aufgegriffen werden, um die Bevölkerung gegen die Soldaten des jeweiligen Landes aufzubringen.
Wenn Militärbischof Overbeck – der ja auch für den berufsethischen Unterricht der Soldatinnen und Soldaten verantwortlich ist – Äußerungen von sich gibt, in denen er Ungläubigen (womöglich: Nichtkatholiken) das Menschsein abspricht und Ungläubige (gemeint sind wohl: Nichtchristen) zu Soldaten zweiter Klasse erklärt, dann kann m.E. jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, das dies in den Einsatzgebieten der Bundeswehr zu einer Störung der öffentlichen Ordnung und zu einer erhöhten Gefährdung der dort eingesetzten deutschen Soldaten führen könnte.
5. Ungläubige nicht „beleidigungsfähig“?
Bei der Diskussion des Themas las ich irgendwo, nach bisheriger Rechtsprechung seien Ungläubige oder Atheisten keine „beleidigungsfähige Gruppe“.
Für die Vergangenheit kann ich dies nachvollziehen. Ungläubige zeichnen sich ja gerade durch den Verzicht auf spezifische Rituale, Erkennungsmerkmale oder Speisevorschriften aus. Demzufolge wäre es bis vor einigen Jahren schwierig gewesen, „Ungläubige“ als solche zu erkennen.
Dies hat sich allerdings in letzter Zeit geändert. In Deutschland war beispielsweise 2009 ein Bus auf Tour mit der Aufschrift „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott.“ Atheisten veranstalten „Religionsfreie Zonen“ (Infostände) in deutschen Städten. Atheisten demonstrieren (mit anderen) gegen das Tanzverbot an stillen Feiertagen. Atheisten halten weltweit Tagungen ab – auch in Deutschland. Sie halten regelmäßige Stammtische in der Öffentlichkeit ab, z.B. in Gaststätten. Atheisten tragen Buttons oder T-Shirts mit Aufschriften wie „Gottlos glücklich“.
Kurzum: Atheisten geben sich mittlerweile als solche zu erkennen. Übrigens auch gerade deshalb, um Behauptungen ähnlich denen von Bischof Overbeck etwas entgegenzusetzen, in denen Atheisten z.B. als ethisch defizitär diffamiert werden.
Es ist daher für mich heute kein Grund mehr erkennbar, weshalb Atheisten – im Gegensatz zu Gläubigen oder Angehörigen bestimmter Nationalitäten – keine einschlägig relevante Gruppe bilden sollten.
Ich hoffe, mit den obigen Überlegungen zu einer sachgerechten Beurteilung beizutragen.
Im Internet hat es jemand kürzer auf den Punkt gebracht: Wir wäre es zu beurteilen, wenn jemand den umgekehrten Satz gesagt hätte:
“Dort, wo es Religion gibt, wo Religion praktiziert wird, gibt es kein Menschsein.”
Mit freundlichen Grüßen,
Matthias Krause
Das gefällt mir …
Ich denke, das ist überreagiert. Auch wenn ich inhaltlich mit der Kritik an Dr. Overbeck übereinstimme so denke ich nicht, dass er mit seinen Äusserungen die Grenzen des für uns alle so wichtigen Rechtes der freien Meinungsäusserung überschritten hat. Etwas mehr Gelassenheit fände ich hier angebracht.
Ich bin zwar anderer Auffassung, bin aber geradezu begeistert darüber, wie viele – im Prinzip Gleichgesinnte – gegen eine Anzeige sind, auch, wenn sie Overbecks Äußerungen für falsch halten. Denn die Meinungsfreiheit ist mir ja auch sehr wichtig, und freue mich sehr, dass Kirchenkritiker selbst bei solchen Äußerungen eben NICHT gleich alle zur Strafanzeige greifen wollen.
[…] ich meine, das erwähnen zu müssen? Weil Strafanzeigen gegen Herrn Overbeck erstattet wurden, wegen Volksverhetzung, darunter eine vom atheistischen Blogger Skydaddy, und weil […]
Mir nicht.
hmm,
ich denke hier bist Du juristisch auf der falschen Fährte, denn was er da sagt ist m.E. schon durch die Meinungsfreiheit als solche gedeckt – auch wenn ich das Gesagte höchst übel finde.
Inakzeptabel aber ist – und damit wahrscheinlich auch juristisch – wenn ein Amtsträger im Amt solche Äusserungen tätigt, denn ein Amtsträger hat – insbesondere IM Amt – eben andere Rechte und Pflichten – tritt als Vertreter des Staates auf.
Bin kein Jurist, sehe aber da den korrekten Ansatzpunkt. Eine Dienstausfsichtsbeschwerde oder Straftat im Amt o.ä…
Viel Erfolg!
Beste Grüße,
Niels.
Als Privatperson ist das durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Ein aus Steuergeldern finanzierter Amtsträger bei einer öffentlichen Rede ist ein Vertreter des Staates und hat die Verfassung zu achten. Es steht ihm in dieser Funktion nicht zu, denkenden Artgenossen das Menschsein abzusprechen, weil sie seiner Irrlehre nicht aufgesessen sind. Es entsteht nämlich der Eindruck, er vertritt hier die öffentliche Meinung.
Durch diese Äußerung hat er sich ganz klar für dieses Amt, das für sich schon ein Witz ist, disqualifiziert.
1. Juristisch bist du auf der ziemlich falschen Fährte, indem hier eine Generalaussage aus dem Kontext gerissen wird.
2. Das mit der Aussage „Religiösität gehöre zum Menschsein“ Soldaten in Afghanistan in Gefahr gebracht werden, ist sowas von an den Haaren herbeigezogen. In dieser Logik freilich gefährdet eher die Anzeige deutsche Soldaten, da sie, falls erfolgreich, eine von der Meinungsfreiheit gedeckte religiöse Äußerung verbieten würde. Das wäre der Beweis für die Taliban für die religionsfeindlichen Absichten Dtlds. 😉
3. Erscheint es mir ein wenig weinerlich. Auf dem von dir verlinkten Blog ist man ja nun auch nicht gerade zimperlich gegenüber Gläubigen. Wenn dann aber mal etwas zurückkommt (wohlgemerkt: Kam hier überhaupt etwas zurück?), gleich mal zu Mutti rennen und petzen. Auch ein schönes Verständnis von Meinungsfreiheit…
4. Schließlich stelle ich mir so den Durchschnitts-Evangelikalen aus dem Mittleren Westen der USA vor: Er hat die Wahrheit gepachtet und wenn es jemand anders sieht, schnappt er nach Atem und fragt: „Darf der das?“ Andererseits legen Amerikaner ja sehr viel Wert auf Meinungsfreiheit. Vielleicht habe ich da auch ein Zerrbild.
Ich erstatte Anzeige gegen Bischof Overbeck….
Nun bin ich nicht der erste. Aber die Anzeige von Dr. Wolfgang Klosterhalfen (Die Reimbibel) hat mich ermutigt, mich anzuschließen…