Missbrauchsstudie: Sollte vor dem Salzgitter-Skandal noch schnell Aufklärungswille demonstriert werden?

Es fällt auf, dass Bischof Ackermann am 13. Juli 2011 mit der Präsentation zweier Forschungskonzepte (darunter die offenbar vorschnell unterzeichnete Pfeiffer-Studie) Aufklärungswillen demonstrierte, zwei Tage bevor in Salzgitter ein pädophiler Priester verhaftet wurde, der bereits im Juni gegen ein Kontaktverbot verstoßen hatte und kurz darauf angezeigt worden war.

In der Öffentlichkeitsarbeit ist das richtige Timing von großer Bedeutung. Rein professionell gesehen leistete Jo Moore exzellente Arbeit, als sie am 11. September 2001, nachdem die beiden Flugzeuge ins World Trade Center geflogen waren – aber noch bevor die Türme zusammenstürzten – eine E-Mail an ihre Presseabteilung schickte mit den Worten:

„Jetzt ist ein guter Tag, alles zu veröffentlichen, was wir begraben wollen.“

Professionelle Arbeit muss man auch dem Pressesprecher des Bistums Hildesheim bescheinigen, Dr. Michael Lukas: Vor fast genau einem Jahr wies ich darauf hin, dass im Bistum Hildesheim von 1993 bis Ende 2009 fast ununterbrochen Priester mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt wurden, obwohl das Bistum von deren sexuellen Übergriffen wusste. Trotzdem gelang es dem Bistum seit der Einstellung von Dr. Lukas als Pressesprecher, sich als Musterbistum in Sachen Missbrauch zu etablieren. Die Verlautbarungen des Bistums Hildesheim in Sachen Missbrauch sind meiner Einschätzung nach extrem raffiniert (siehe hier und hier).

Beispielhaft sind die folgenden Ausführungen des Hildesheimer Personalleiters Bogartz, die dieser 2010 gegenüber einer Gemeinde in Celle machte, nachdem herausgekommen war, dass dort jahrelang ein Missbrauchstäter eingesetzt war (Dr. Lukas saß daneben, als er sie machte):

„Es ist wahr, dass Dechant [S.] 1995 in Ostdeutschland ein Missbrauchsverbrechen begangen hat. Es war eine befreundete Familie, bei der er übernachte hatte. Dabei kam es zu einem Übergriff gegen einen 12-jährigen Jungen. Acht Jahre später hat sich die Familie an den Ortsbischof gewandt. Die Familie wünschte ausdrücklich in Gesprächen mit der Bistumsleitung keine strafrechtliche Verfolgung des Falls und wünschte Verschwiegenheit. Das Bistum hat sehr deutlich mit Herrn [S.] gesprochen. Daraufhin ist ein psychologisches Gutachten erstellt worden, dass der Übergriff nicht aus einer pädophilen Neigung heraus geschehen sei.

Es ist außerdem bescheinigt worden, dass ein weiterer Einsatz in der Pfarrgemeinde ausdrücklich ohne Auflage möglich ist. Die deutsche Bischofkonferenz hat 2002 vier der besten Forensiker benannt, um die Kirche zu beraten und Gutachten zu erstellen. Heute sagen wir, dass diese Gutachten wahrscheinlich nicht in der Weise helfen, wie wir ihnen damals vertraut haben.

2003 ist von den damals Verantwortlichen entschieden worden, dass Hermann [S.] in der Gemeinde verbleibt.

Wer käme dabei wohl auf den Gedanken, dass das psychologische Gutachten und die Therapie erst erfolgt sein könnten, nachdem S. aus Celle abberufen worden war? Das legen andere Informationen nahe, die ich bei Bedarf gerne nachliefere. Hier geht es nur um die Formulierungen:

Die Hörer mussten glauben, das „Daraufhin“ beziehe sich auf die Meldung des Missbrauchs. Tatsächlich bezieht es sich allerdings nur auf das „deutliche Gespräch“ mit S. – und wann das stattfand, wird nicht gesagt.

Genauso wird zwar der Eindruck erweckt, die Entscheidung, S. 2003 weiter einzusetzen, sei aufgrund des Gutachtens gefällt worden. Tatsächlich wird das aber nicht gesagt.

Ich ziehe hier wirklich den Hut vor Dr. Lukas und Weihbischof Bongartz.

Wie raffiniert die Verantwortlichen des Bistums Hildesheim sind, wird auch daran deutlich, dass das Bistum bereits 2010 in anonymisierter Form bei der Staatsanwaltschaft anfragte, ob es strafrechtlich relevant sei, wenn ein Pfarrer mit einem Kind im Bett übernachtete. Als Missbrauchsbeauftragter musste Bongartz wissen, dass die Antwort der Staatswnwaltschaft nur „nein“ lauten konnte. (Da das Übernachten im selben Bett an sich noch keine sexuelle Handlung darstellt.)

Wenn das Ergebnis sowieso von vornherein gestand – weshalb dann überhaupt die Anfrage bei der Staatsanwaltschaft? Es hat den Anschein, als ob die Verantwortlichen des Bistums sich damit lediglich selber absichern wollten, für den Fall, dass sich irgendwann herausstellen sollte, dass der Pfarrer eben doch sexuellen Missbrauch begangen habe sollte. Und als ein Jahr später der Priester tatsächlich verhaftet wurde, verwies Bongartz ja auch sofort auf die Auskunft der Staatsanwaltschaft, die er verantwortungsvoller Weise eingeholt hatte.

Das lässt sich unschwer so deuten, dass sich die Hildesheimer Bistumsleitung sich mit ihrer – an sich sinnlosen – Anfrage bei der Staatsanwaltschaft zwar selbst gegen spätere Vorwürfe abgesichert, die Kinder in L.s Gemeinde aber weiterhin dem Risiko des offensichtlich verdächtigen Priesters (weshalb sonst die Anfrage bei der Staatsanwaltschaft?) ausgesetzt hat, der ja sogar weiter mit Jugendgruppen verreisen durfte.

Als Meisterleistung betrachte ich auch, dass 2010 zwar Bischof Trelle und sein Missbrauchsbeauftragter Bongartz nachweislich die Unwahrheit sagten, als sie behaupteten, die Hildesheimer Ausführungsbestimmungen zu sexuellem Missbrauch seien bereits zu Beginn des Jahres in Kraft gesetzt worden – also noch vor dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals –, dass mir von Dr. Lukas aber keine derartige Aussage bekannt ist. Auch wieder so eine Timing-Angelegenheit.

Womit wir beim eigentlichen Thema wären: Als ich mich vorhin – angeregt durch Bischof Ackermanns Vorwurf, Prof. Pfeiffer sei bei der Missbrauchsstudie „vorgeprescht“ – fragte, weshalb die deutschen Diözesen einen Forschungsvertrag mit derart offensichtlichen Problemen (Missbrauchsakten müssen gemäß dem Kirchenrecht nach 10 Jahren vernichtet werden und sind bis dahin im Geheimarchiv aufzubewahren und nicht herauszugeben) offenbar übereilt angenommen hatten. Ich fragte mich, ob mit der Studie möglicherweise Aufklärungswille demonstriert werden sollte, bevor ein weiterer, sich bereits anbahnender Skandal bekannt wurde.

Ich stellte dann fest, dass tatsächlich zwei Tage nach der Pressekonferenz, auf der die beiden Forschungsprojekte (von Prof. Pfeiffer und Prof. Leygraf) der Öffentlichkeit präsentiert wurden, der pädophile Pfarrer Andreas L aus Salzgitter verhaftet wurde, dem schließlich schwerer Missbrauch mehrerer Opfer in mehreren hundert Fällen nachgewiesen wurde. Dem Bistum Hildesheim war vorher schon bekannt gewesen, dass L. typische Verhaltensweisen pädophiler Priester an den Tag legte: Er pflegte ein enges Verhältnis zur Familie eines Opfer, machte dem Opfer teure Geschenke, und fuhr mit der Familie und auch mit seinem Opfer alleine in den Urlaub. Seit 2010 wusste das Bistum, dass L. auch mit einem Kind im selben Bett übernachtet hatte. Deshalb hatte das Bistum bereits ein Kontaktverbot zu einem Jungen verhängt, gegen das der Priester dann aber im Juni 2011 – wenige Wochen vor der Präsentation der Forschungskonzepte – verstoßen hatte. Daraufhin wandte sich die Mutter erneut an das Bistum. Von Missbrauchshandlungen war damals aber noch keine Rede. „Ende Juni“ will das Bistum dem Priester mit disziplinarischen Maßnahmen gedroht haben, am 27. Juni stornierte L. einen zweiwöchigen Urlaub in der Dominikanischen Republik, den er im März für sich und sein 13-jähriges Opfer gebucht hatte.

Nach dem Gespräch mit dem Bistum offenbarte das Opfer seiner Mutter dann aber doch, dass es zu sexuellen Handlungen gekommen war. Daraufhin zeigte die Mutter den Priester „Ende Juni“ bei der Polizei an. Dort wollte man erst einmal ermitteln, entschied sich dann aber doch für eine Festnahme, als der Pfarrer gerade mit einer Gruppe Jugendlicher nach Taizé aufbrechen wollte.

Währenddessen nahmen die deutschen Diözesen am 20. Juni 2011 einstimmig den Forschungsvertrag mit Prof. Pfeiffers Institut an, obwohl eigentlich offensichtlich sein musste, dass elementare Fragen noch ungeklärt – und möglicherweise auch unlösbar – waren. Der Vertreter der Diözesen, Dr. Langendörfer, unterzeichnete den Vertrag am 5. Juli, und drei Tage später, am Freitag, dem 8. Juli 2011, unterschrieb auch Prof. Pfeiffer. Am Mittwoch darauf, am 13. Juli, wurden die beiden Forschungsvorhaben auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentiert. Zwei Tage später wurde L. verhaftet.

Ich hatte kurz überlegt, ob die Stornierung des Urlaubs am 27. Juni möglicherweise belegt, dass das Gespräch mit dem Priester erst nach der Verabschiedung des Forschungsvertrages durch die Diözesen am 20. Juni stattgefunden hat. Aber echte Profis würden solche Sachen möglicherweise absichtlich so timen, dass der gewünschte Eindruck entsteht. (Wir erinnern uns an die Hildesheimer Ausführungsbestimmungen, die ja angeblich schon vor dem Missbrauchsskandal in Kraft gesetzt worden sein sollen.)

Somit bleibt ein auffälliger zeitlicher Zusammenhang, der natürlich bloßer Zufall sein kann.

Einerseits war die Pfeiffer-Studie schon über ein Jahr in Vorbereitung.

Andererseits: Wenn sowieso schon über ein Jahr verhandelt wurde – wieso wurde dann ein Konzept mit derart offensichtlichen Problemen einstimmig verabschiedet?

Fragen über Fragen, die natürlich mal jemand der deutschen Bischofskonferenz stellen könnte – allerdings nicht ich. Denn als ich neulich anfragte, ob Dr. Langendörfer statt seinem wenig aussagekräftigen Statement

„Für eine Vernichtung von Täterakten habe ich keinerlei Anhaltspunkte“

auch das wesentlich aussagekräftigere (von mir verfasste) Statement

„Für eine Vernichtung oder anderweitige Beseitigung von Akten über Missbräuche oder Grenzüberschreitungen habe ich keinerlei Anhaltspunkte, obwohl ich höchstwahrscheinlich mitbekommen würde, wenn so etwas vorkäme.“

unterschreiben würde, teilte mir der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, nicht nur mit: „Der Äußerung von P. Dr.  Langendörfer SJ ist von uns nichts hinzuzufügen“, sondern er machte auch gleich sehr deutlich, „dass wir Anfragen von Ihnen nicht mehr beantworten“ und er es auch nicht gut findet, wenn ich „andere Emailadressen als die der Pressestelle“ kontaktiere. (Da Dr. Langendörfer der Geschäftsführer des Verbands der Diözesen Deutschlands ist und als solcher zitiert wurde, hatte ich – transparent und logisch, wie mir schien – die E-Mail-Adresse des VDD kontaktiert.)

Vielleicht nimmt sich ja jemand anders dieser interessanten Fragestellung an.

1 Responses to Missbrauchsstudie: Sollte vor dem Salzgitter-Skandal noch schnell Aufklärungswille demonstriert werden?

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