Missbrauch: Kirche täuscht weiter die Öffentlichkeit

Diese Woche fand sich ein weiteres Paradebeispiel, wie die katholische Kirche beim Thema „Missbrauch“ weiter die Öffentlichkeit täuscht. Und ausgerechnet der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bischöfe, Stephan Ackermann (Trier), ist dafür verantwortlich.

Einführende Bemerkungen

Ich habe ja auf diesem Blog oft genug darauf hingewiesen, wie Vertreter der katholischen Kirche in ihren Verlautbarungen zu heiklen Themen (vor allem Missbrauch, Punkt 2 gilt aber auch für Finanzen) regelmäßig zwei Tricks anwenden, um die Öffentlichkeit zu täuschen:

1. „Sexueller Missbrauch“ wird extrem eng definiert. Nur, wenn es tatsächlich zu sexuellen Handlungen kommt, spricht die katholische Kirche von Missbrauch. Wenn ein Pfarrer Ministranten in die Pfarrhaus-Sauna mitnimmt, ein Pater einen Internatsschüler unter dem T-Shirt streichelt, oder ein Pfarrer mit einem Minderjährigen im selben Bett übernachtet, stellt das für die Verantwortlichen der katholischen Kirche nicht nur keinen „sexuellen Missbrauch“ dar, es wurde in solchen Fällen auch gesagt, dass  „keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch“ vorlagen. In katholischen Kreisen spricht man hierbei allenfalls von „Distanzüberschreitungen“. Das ist zwar „technisch“ nicht falsch – allerdings sollten in solchen Fällen alle Alarmglocken schellen! Es ist wohl kein Zufall, dass in allen eben erwähnten Beispielen – Sauna, Streicheln, Übernachtung – die betreffenden Priester später wegen sexueller Verfehlungen strafrechtlich verurteilt wurden (Übernachtung) oder wegen einschlägiger Vorwürfe vor Gericht stehen (Streicheln) oder ihre Schuld eingeräumt haben (Sauna). Um als Priester von den Vorgesetzten – bzw. den Gutachtern, die die katholische Kirche beauftragt – als „pädophil“ eingestuft zu werden, liegt die Grenze extrem hoch: Das wird natürlich nicht offen gesagt, aber nach allem, was bekannt ist, muss ein Priester dazu ausschließlich von Kindern unter 12 Jahren sexuell erregt werden – vergreift man sich an älteren Kindern, ist man allenfalls noch „ephebophil“. Hinzu kommt, dass selbst ein einziger nachgewiesener Fall immer noch als „Ausrutscher“ gilt, der – den von der Kirche beauftragten Gutachtern zufolge – es noch nicht rechtfertigt, einen Priester als „pädophil“ zu bezeichnen. Erst, wenn ein Priester nachweislich mehrere Kinder sexuell missbraucht hat, gilt er auch unter Bischöfen als „pädophil“.

2. Bei Veröffentlichungen zu heiklen Themen benutzen kirchliche Repräsentanten gerne Formulierungen, die zwar „technisch“ nicht gelogen sind, die allerdings durch geschickte Formulierungen und Weglassen relevanter Informationen das Gegenteil von dem suggerieren, was tatsächlich der Fall ist. Es handelt sich dabei um die den Jesuiten zugeschriebene Technik der „Mentalreservation“, d.h. man behält einen Teil der Wahrheit – der aber für den Empfänger der Botschaft relevant wäre, um die Sachlage richtig einzuschätzen – für sich. Juristen haben hierfür den Begriff „suppressio veri, suggestio falsi“.

Der aktuelle Fall

Nach dieser kleinen Einführung hier nun eine Pressemitteilung, die das Bistum Trier diesen Montag auf seiner Internetseite veröffentlichte:

Montag, 28. Juli 2014

Bischof von Trier hebt die Beurlaubung des ehemaligen Lebacher Pfarrers auf

Trier – Nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Pfarrer von Lebach wegen des im Juli 2012 gegen ihn erhobenen Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs eines Minderjährigen im März dieses Jahres eingestellt hat, ist nun auch das kirchenrechtliche Verfahren abgeschlossen. Auch das kirchliche Verfahren kommt zu dem Ergebnis, dass dem Priester „kein strafrechtlich relevantes Vergehen im Sinne der ‚Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger…‘ nachgewiesen werden kann.“ Infolgedessen hat Bischof Dr. Ackermann die Beurlaubung des Pfarrers, der inzwischen im Ruhestand ist, mit Datum vom 25. Juli 2014 aufgehoben.

Der Ruhestands-Pfarrer ist nun bereit, nach Kräften Aushilfen und Vertretungen zu übernehmen. Hierüber werden derzeit Gespräche geführt. Es ist jedoch bereits mit Bischof Dr. Ackermann vereinbart, dass sich der Pfarrer aus seiner bisherigen Wirkungsstätte, der Pfarreiengemeinschaft Lebach, fernhalten wird, um vor Ort nach den für alle Beteiligten belastenden Monaten eine ungestörte pastorale Arbeit zu ermöglichen.

Einen Tag nach der Erklärung des Bistums Trier stellte die Staatsanwaltschaft allerdings klar: Die Einstellung des Verfahrens sei nicht „wegen erwiesener Unschuld, sondern wegen geringer Schuld“ erfolgt. Der Focus berichtet:

Man gehe davon aus, dass sich der Geistliche über eine Internetplattform mit einem Jungen in Saarbrücken „zu sexuellen Dienstleistungen“ verabredet habe, sagte der Sprecher. Bei dem Treffen habe der Pfarrer dem Minderjährigen auch Geld gegeben, der Junge sei aber weggelaufen und es sei nicht zu sexuellen Handlungen gekommen.

Das Bistum des Missbrauchsbeauftragten Ackermann hat somit in seiner Pressemitteilung die relevante Information verschwiegen, dass das Verfahren nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern wegen geringer Schuld – und gegen eine Zahlung von 6.000 Euro – eingestellt wurde. Zudem wurde durch die Formulierung „„kein strafrechtlich relevantes Vergehen im Sinne der ‚Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz‘ … nachgewiesen“ noch zusätzlich suggeriert, dass der Pfarrer sich gar kein strafrechtlich relevantes Verfahren zuschulden habe kommen lassen. Der „Nachweis“ erübrigte sich deshalb, weil das Verfahren gegen Zahlung von 6.000 Euro eingestellt wurde. Und für die Leitlinien der Bischofskonferenz ist offenbar nur relevant, ob es tatsächlich zu sexuellen Handlungen kam – was nicht der Fall war.

Die deutschen Bischöfe sprechen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch zwar gerne von „Prävention“ – Prävention bedeutet aber, dass man schon auf Warnzeichen reagiert und einen verdächtigen Priester nicht erst von Kindern fernhält, nachdem ihm sexueller Missbrauch nachgewiesen werden konnte. Dem Betreffenden geschieht damit auch kein Unrecht, denn wer beruflich mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, muss sich darüber im Klaren sein, dass er auch bestimmte Verhaltensweisen unterhalb der strafrechtlichen Schwelle absolut zu unterlassen hat – das Bezahlen von Minderjährigen für sexuelle Dienstleistungen zählt zweifellos dazu.

Eltern kann man nur raten, ihre Kinder nicht einer Organisation anzuvertrauen, die ihre Priester selbst bei hochgradig verdächtigem Verhalten weiter mit Kindern und Jugendlichen einsetzt.

UPDATE: Der Saarländische Rundfunk (SR) berichtet über die Reaktion von Betroffenen:

In der Pressemeldung des Bistums zum Fall des Lebacher Pfarrers werde bewusst verschwiegen, dass im Prinzip ein Straftatbestand vorliege nach den Leitlinien, die sich die katholische Kirche selbst gegeben habe. Darin werde „ganz klar beschrieben, dass auch die Vorbereitung einer Tat schon einen Straftatbestand darstellt.“ Und diese Vorbereitung habe im Fall des Lebacher Pfarrers stattgefunden, da er ja Geld in Erwartung einer sexuellen Dienstleistung gezahlt habe.

1 Responses to Missbrauch: Kirche täuscht weiter die Öffentlichkeit

  1. Angelika Oetken sagt:

    Guter Beitrag! Danke dafür!

    Was die „Mentalreservation“ betrifft. ein probates Herrschaftsmittel. Im Gesundheitswesen, einem vergleichbar undemokratischen, intransparenten Bereich nutzt man diese Strategie auch.

    Genauso wie in dysfunktionalen Familien oder Partnerschaften. Wo sich das Ganze nicht „Mentalreservation“ nennt, sondern „emotionales Epresservokabular“.

    Ähnlichkeiten nicht zufällig.

    Aber: es gibt selbstverständlich Gegenmaßnahmen.

    Sehr wirksam: das Validieren. „W-Fragen“ stellen, kongruente Konsequenzen ankündigen, jegliche konstruktive Initiative überdeutlich wertschätzen.

    Und heute stieß ich auf etwas ganz Wunderbares. Ein reaktionärer türkischer Politiker will Frauen das Lachen in der Öffentlichkeit verbieten. Sowie das stundenlange Telefonieren.

    Er erreichte so ungefähr das Gegenteil. Es wurde sofort eine Lachinitiative gegründet http://www.n24.de/n24/Nachrichten/n24-netzreporter/d/5154416/tuerkische-frauen-lachen-ueber-lach-verbot.html

    Bülent Arinc hat sich so gezeigt, wie er wirklich ist. Was hinter seiner Machofassade steckt. Ein verunsicherter, trotzig mit dem Fuß aufstampfender kleiner Junge, der erfolglos versucht, seiner Mutter und seinen Schwestern Vorschriften zu machen.

    Da hilft nur: „Geh bitte in dein Zimmer Bülent und beruhig dich. Wenn du wieder freundlich mit uns sprechen kannst, reden wir wie vernünftige Menschen miteinander. Wir werden uns dann bestimmt einigen. Denk bitte dran, dass es in einer halben Stunde Abendessen gibt und du nachher noch mit dem Hund raus gehen wolltest“.

    Sollte doch bei Klerikers auch helfen oder?

    VG
    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

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