UPDATE: Ein Kirchendokument belegt, dass die Kirche das Kirchensteueraufkommen tatsächlich auf der Grundlage der offiziellen Steuerschätzung plant (siehe unten).
Wie neulich berichtet, rechnen sich die Kirchen gerne ärmer, als sie sind. Nachdem die jüngste Steuerschätzung Schlagzeilen hervorbrachte wie „Staat kann mit Rekordeinnahmen rechnen“ (FAZ), bemüht sich EKD-Finanzchef Thomas Begrich, entsprechende Erwartungen an das Kirchensteueraufkommen herunterzuspielen.
Dabei hat Begrich mein vollstes Verständnis dafür, dass er gegenüber Ansprüchen einzelner Interessengruppen in seiner Kirche standhaft bleiben muss, um einen ausgewogenen und vor allem nachhaltigen Haushalt sicherzustellen.
Das kann aber keine falschen oder irreführenden Aussagen rechtfertigen.
Die evangelikale Nachrichtenagentur idea meldet:
Der Staat kann in den kommenden Jahren mit Rekordeinnahmen bei den Steuern rechnen. Laut Berechnungen des Arbeitskreises Steuerschätzung werden die Bürger in Deutschland in diesem Jahr 639,9 Milliarden Euro an den Fiskus entrichten; 2013 waren es 636 Milliarden Euro. Für die kommenden Jahre sagen die im Auftrag des Bundesfinanzministeriums tätigen Schätzer weitere Steigerungen voraus. […] Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Kirchensteuer aus?
Glück für Begrich, dass idea hier bereits eine falsche Zahl meldet: Gemäß dem Arbeitskreis Steuerschätzung haben die Bürger 2013 nämlich nicht 636 Milliarden Euro entrichtet, sondern nur 620 Milliarden. Wer die Mehreinnahmen für 2014 anhand der idea-Zahlen berechnet, kommt auf einen Anstieg von lediglich 0,6%, tatsächlich sind es 3,3%. Ob die falsche Zahl von Begrich stammt, oder ob idea oder Begrich das aus einem Artikel der Süddeutschen übernommen haben, statt in der Originalquelle nachzuschauen, ist unklar und soll hier nicht Herrn Begrich angelastet werden.
Allerdings ist Begrichs Argumentation irreführend:
„Aus der staatlichen Steuerschätzung lässt sich nur sehr begrenzt etwas für die Kirchen ableiten“, sagte der Finanzdezernent der EKD, Oberkirchenrat Thomas Begrich (Hannover), auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. So seien in der Schätzung auch die erwarteten Einnahmen aus indirekten Steuern – dazu gehört etwa die Mehrwertsteuer – enthalten, die keine Auswirkung auf die Höhe der Kirchensteuereinnahmen hätten. Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer sind Lohn- und Einkommenssteuer. […] Im vergangenen Jahr lag das evangelische Kirchensteueraufkommen bei knapp fünf Milliarden Euro. Für dieses Jahr geht Begrich von einem „sanften Anstieg“ von zwei bis drei Prozent aus. […] Längerfristig rechnet Begrich mit einem gleichbleibenden Aufkommen: „Alles andere ist Kaffeesatzleserei.“
Mit „zwei bis drei Prozent“ liegt Begrichs Prognose unter dem vom Arbeitskreis Steuerschätzung prognostizierten Anstieg des Gesamt-Steueraufkommens. Zur Begründnung erklärt Begrich: „So seien in der Schätzung auch die erwarteten Einnahmen aus indirekten Steuern – dazu gehört etwa die Mehrwertsteuer – enthalten, die keine Auswirkung auf die Höhe der Kirchensteuereinnahmen hätten.“
Der Leser kann dies nur so verstehen, als ob die Kirchensteuern aufgrund dieses Umstandes weniger stark steigen würden als das Gesamtaufkommen. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: Während das Gesamtaufkommen bis 2018 jährlich zwischen 3,2 und 4,2 Prozent steigen soll (3,3% für 2014), wird für die Lohn- und Einkommensteuer ein jährlicher Anstieg zwischen 5,1 und 6,2 Prozent prognostiziert (6,2% für 2014). Während das Gesamt-Steueraufkommen bis 2018 um 19% steigen soll, sollen Lohn- und Einkommensteuer zusammen um 31% steigen. Oberkirchenrat Begrich vermittelt allerdings den Eindruck, als ob die Steuerschätzung nur das Gesamtaufkommen nenne und Lohn- und Einkommensteuer nicht einzeln ausweise, und deshalb nur „sehr begrenzt“ auf die Kirche anwendbar sei.
Folglich wird das Kirchensteueraufkommen in den kommenden Jahren allerdings nicht weniger stark wachsen als das gesamte Steueraufkommen, sondern stärker – weil die Lohn- und Einkommensteuer, an die die Kirchensteuer gekoppelt ist, stärker wachsen soll als das Gesamtaufkommen.
Freilich verlieren die Kirchen jedes Jahr rd. 1 Prozent ihrer Mitglieder, es werden also von Jahr zu Jahr weniger Leute Kirchensteuer zahlen. Berücksichtigt man dies, so ergibt sich ein jährlicher Anstieg der Kirchensteuer zwischen 4,0 und 5,1 Prozent (5,1% für 2014). Insgesamt ergibt sich bis 2018 ein Anstieg von 25 Prozent – das ist immer noch deutlich mehr als das Gesamt-Steueraufkommen (19%). 2013 lag das Kirchensteueraufkommen der EKD bei knapp 5 Milliarden Euro – 2018 läge es dieser Schätzung zufolge bei 6 Milliarden Euro.
Begrichs Prognosen, das Kirchensteueraufkommen würde langsamer wachsen als das gesamte Steueraufkommen oder gar gleich bleiben, sind nicht haltbar.
UPDATE:
Gerade finde ich ein Dokument der ev. Nordkirche, in der detailliert beschrieben wird, wie die Kirche für ihre Haushaltsplanung das Kirchensteueraufkommen schätzt. Es funktioniert im Prinzip, wie ich oben beschrieben habe:
- Es werden die offiziellen Steuerschätzungen des Bundesfinanzministeriums und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zugrunde gelegt, und zwar für die Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer: die Lohn- und Einkommensteuer.
- Das Kirchensteueraufkommen wird anhand des prognostizierten Wachstums dieser Bemessungsgrundlage fortgeschrieben, allerdings vermindert um einen Prozentsatz für „Strukturverschlechterungen“ (d.h. der Anteil der Kirchensteuerzahler sinkt).
Das lässt die Erklärung von Oberkirchenrat Begrich „Aus der staatlichen Steuerschätzung lässt sich nur sehr begrenzt etwas für die Kirchen ableiten“ noch schlechter aussehen.
[…] 1h11’03” Geschäftsbericht des Bistums Trier […]
[…] dass er „nicht mit signifikanten Mehreinnahmen“ rechne, dann ist das wohl so zu bewerten wie Begrichs Äußerungen zum zukünftigen Kirchensteueraufkommen. Es mag zwar sein, dass die neue Regelung sich jetzt als Bumerang erweist – ihr Zweck war aber […]
Auch wenn der Artikel schon ein wenig älter ist: Die Schätzung ist tatsächlich schwieriger als dargestellt, da man bspw. für die Kirchensteuer im Fall von Familien andere Annahmen trifft als der Fiskus – zugunsten der Familien (um diese zu entlasten). Dazu wird eine reduzierte (fiktive) Lohnsteuer berechnet, die dann als Basis dient.
Außerdem gibt es eigene Kappungsgrenzen für Progressionen (über deren Sinn man gern separat diskutieren darf)
Darüber hinaus darf der Einfluss von Gehaltsanpassungen nicht vergessen werden: Wenn große Bevölkerungsgruppen relativ hohe Gehaltssteigerungen haben dann steigt auch die KSt überproportional. Meist weiß man das aber erst nach Tarifvertragsabschluss 😉
Und zu den Fakten gehört auch: Die Inflation betrug von 1994-2014 rund 30% – die Kirchensteuer wuchs im Bereich der EKD nur um 20%. Es hilft der beste Absolutzuwachs nichts wenn es am Ende doch ein realer Verlust ist.
Mir ist nicht klar, wie die aufgeführten Punkte die Schätzung erschweren sollen. Die greifen doch jetzt auch schon. Die Kirchensteuer macht einen bestimmten Anteil des Einkommensteueraufkommen aus. Diesen Anteil kann man auf die geschätzte Einkommensteuer anwenden und ggf. um den Schwund an Kirchenmitgliedern korrigieren.