Religionseintrag auf der Lohnsteuerkarte ist und bleibt verfassungswidrig

21. Februar 2011

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil die deutsche Praxis bestätigt, der zufolge auf der Lohnsteuerkarte vermerkt wird, ob ein Arbeitnehmer Mitglied einer steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. (Siehe Pressemitteilung des EGMR.)

Dies führt dazu, dass man – entgegen der Bestimmung des Grundgesetzes (Art. 136 (3) WRV), dass niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren – ausgerechnet seinem Arbeitgeber diese Information liefern muss.

Die Argumentation der fünf Richter (zwei der sieben Richter äußerten eine abweichende Meinung) ist meines Erachtens nicht haltbar. Eigentlich müsste für jeden einsehbar sein, dass die deutsche Praxis verfassungswidrig ist:

Menschenrechte vs. Kircheninteressen

In der Pressmitteilung heißt es zur Urteilsbegründung:

Im Einklang mit seiner jüngeren Rechtsprechung befand der Gerichtshof zunächst, dass die Verpflichtung Herrn Wasmuths, die Behörden über seine Nichtzugehörigkeit zu einer zur Erhebung der Kirchensteuer berechtigten Kirche oder Religionsgemeinschaft zu informieren, einen Eingriff in sein Recht darstellt, seine religiösen Überzeugungen nicht preiszugeben. Der Gerichtshof zeigte sich aber überzeugt, dass dieser Eingriff nach deutschem Recht gesetzlich vorgesehen war, wie die deutschen Gerichte übereinstimmend befunden hatten. Ferner verfolgte der Eingriff den legitimen Zweck, das Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf Erhebung der Kirchensteuer zu gewährleisten. Der Gerichtshof hatte folglich darüber zu befinden, ob der Eingriff im Hinblick auf diesen Zweck verhältnismäßig war. [Hervorhebung von mir.]

Ich wundere mich zunächst darüber, dass offenbar die Einschränkung von Menschenrechten schon aufgrund einfacher Interessen einer Organisation (nämlich der Kirche) zulässig sein soll. Ich hätte erwartet, dass Menschenrechte lediglich durch die Menschenrechte anderer eingeschränkt werden können. (Niemand wird unter der Berufung auf sein Menschenrecht anderen schaden dürfen, und die Gesellschaft hat natürlich das Recht, Verstöße z.B. durch Freiheitsentzug zu ahnden, was einen Eingriff in das Freiheitsrecht darstellt.)

Demgegenüber werden die Menschenrechte untergraben, wenn ein Staat wie Deutschland einfach per Gesetz konkurrierende „Rechte“ wie hier zugunsten der Kirchen erfinden kann. Was – es geht mir hierbei nur um das Prinzip – wenn der Gesetzgeber den Kirchen das Recht gäbe, Nichtmitglieder zu foltern, zu töten und ihren Besitz einzuziehen? (Abwegig, ich weiß – trotzdem war dies jahrhundertelang Praxis.) Menschenrechte sind doch aus ihrem Wesen heraus zunächst einmal Abwehrrechte, auch und gerade gegen den Staat, bzw. gegen die Mehrheit.

Von daher erscheint es mir bereits verfehlt, sich überhaupt auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit einzulassen, da es lediglich um ein den Menschenrechten nachgeordnetes Recht der Kirchen handelt, (in Deutschland) Steuern erheben zu dürfen.

„Beschränkter Informationswert“?

Das Gericht schreibt:

Der Gerichtshof zeigte sich überzeugt, dass die fragliche Eintragung auf der Lohnsteuerkarte, wie die deutsche Bundesregierung geltend gemacht hatte, nur einen beschränkten Informationswert hat, da sie dem Finanzamt lediglich Aufschluss darüber gibt, dass der Steuerzahler keiner der sechs Kirchen und Religionsgemeinschaften angehört, die in Bayern Kirchensteuer erheben können und dieses Recht tatsächlich ausüben.

Es ist zwar richtig, dass ein „fehlender“ Eintrag der Religionszugehörigkeit lediglich bedeutet, dass man keiner der steuererhebenden Religionsgemeinschaften angehört – der Arbeitgeber kann nicht erkennen, ob man Atheist, Agnostiker, Moslem, Buddhist oder Angehöriger einer Freikirche ist.

Darauf kommt es aber auch nicht an. Entscheidend ist, ob die enthaltene Information zur Diskriminierung verwendet werden kann.

Ich behaupte mal, dass Diskriminierung üblicherweise bedeutet, dass die Mehrheit Einzelne oder Minderheiten deshalb diskriminiert, wie diese Auffassungen vertreten, die von der Mehrheitsmeinung abweichen. (Für Minderheiten dürfte es schwer sein, zu diskriminieren, solange die Betroffenen von der Mehrheit akzeptiert werden.)

Und der Grund für die Diskriminierung dürfte in der Regel weniger in der konkreten Auffassung bestehen als vielmehr darin, dass sich die vertretene Auffassung von der Mehrheitsmeinung (zu sehr) unterscheidet. So wird z.B. bei aktuellen Fällen in islamischen Ländern – entgegen einer verbreiteten Darstellung – nicht der Übertritt speziell zum Christentum mit Strafe bedroht, sondern der Abfall vom Islam. Und in Deutschland müssen z.B. Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen bestimmten Religionsgemeinschaften angehören. Für eine Kündigung kommt es also gar nicht auf die Information an, welcher Religionsgemeinschaft man konkret angehört, sondern welcher nicht.

Und da es gerade die größten und wichtigsten – auch als Arbeitgeber – Kirchen sind, die in Deutschland Steuern erheben, ist die Angabe auf der Lohnsteuerkarte durchaus heikel.

„Keine Öffentliche Verwendung“

Die Lohnsteuerkarte wird normalerweise nicht öffentlich verwendet; sie erfüllt keinen Zweck außerhalb des Verhältnisses zwischen dem Steuerpflichtigen und seinem Arbeitgeber oder dem Finanzamt.

Das Gericht spielt hier darauf an, dass die „Öffentlichkeitswirkung“ des Eintrags auf der Lohnsteuerkarte weitaus geringer ist als z.B. der früher praktizierte Eintrag der Religionszugehörigkeit auf den Personalausweisen in Griechenland. Dass es weniger schlimm ist heißt aber nicht, dass es zulässig ist.

Wenn man eine Rangfolge von Leuten und Organisationen aufstellen würde, denen gegenüber das Recht, über seine Religionszugehörigkeit zu schweigen, besonders wichtig ist, dann würde der Arbeitgeber sicher ganz weit oben rangieren. Der EGMR ist offenbar der Auffassung, dass ich mich zwar gegenüber meinem Sitznachbar im Bus nicht weltanschaulich offenbaren muss, dem Arbeitgeber gegenüber aber schon.

Wie schon oben beim Informationsgehalt scheint das Gericht auch hier zu argumentieren „Es könnte schlimmer sein.“ – Das kann aber kein Kriterium sein! Wie jemand andernorts bemerkte: Wenn jemand sagt, er schlägt seine Kinder nur noch einmal die Woche statt jeden Tag – ist das dann in Ordnung?

Verfassungsmäßig?

Der Gerichtshof zeigte sich aber überzeugt, dass dieser Eingriff nach deutschem Recht gesetzlich vorgesehen war, wie die deutschen Gerichte übereinstimmend befunden hatten. Ferner verfolgte der Eingriff den legitimen Zweck, das Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf Erhebung der Kirchensteuer zu gewährleisten.

Diese Darstellung des Gerichts ist schlichtweg falsch.

Das Gericht scheint zu übersehen, dass das deutsche Grundgesetz in Art. 136 (3) WRV ausdrücklich bestimmt:

Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

Man muss also seine Religionszugehörigkeit, wenn überhaupt, nur den Behörden gegenüber offenbaren.

Es wäre übrigens Wortklauberei, wenn man behaupten wollte, der Eintrag auf der Lohnsteuerkarte offenbare die religiöse Überzeugung nicht, weil ja zumindest bei denjenigen, die nicht Mitglied einer steuererhebenden Kirche sind, eben lediglich die Nichtmitgliedschaft dokumentiert wird und nicht die eigentliche religiöse Überzeugung. Der Eintrag auf der Lohnsteuerkarte widerspricht erkennbar dem Sinn der Verfassungsvorschrift.

Das Besteuerungsrecht der Kirchen

Man mag einwenden, das Grundgesetz gebe den Kirchen aber doch ebenfalls das Recht, Steuern zu erheben. In Art. 137 (6) WRV heißt es:

Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.

Leider ist den meisten Leuten nicht klar, dass dies keine Rechtfertigung der jetzigen Praxis darstellt, sondern ein System meint, in dem die steuererhebenden Kirchen – verfassungskonform – von den Finanzämtern die Steuerlisten für ihre eigenen Mitglieder erhalten, um diesen „Kirchensteuerbescheide“ zu schicken. So wurde es früher gehandhabt, erst unter den Nationalsozialisten wurde 1935 die jetzige, verfassungswidrige Praxis – Abführung der Kirchensteuer durch den Arbeitgeber – eingeführt. Dies wurde auch nach dem Krieg so beibehalten. (Dank an Carsten Frerk, der in seinem Violettbuch Kirchenfinanzierung darauf hinweist. – Textauszug weiter unten.)

Nazi-Praxis wurde beibehalten

Das bedeutet, dass die jetzige Praxis, bei dem die Zugehörigkeit zu einer steuererhebenden Kirche auf der Lohnsteuerkarte vermerkt und die Kirchensteuer direkt vom Arbeitgeber einbehalten und abgeführt wird, nicht durch die Verfassung gedeckt ist. Und der bloße Umstand, dass das jetzige Verfahren „einfacher“ und für die Kirchen billiger ist, kann ja wohl kaum als Begründung für einen Verfassungsverstoß herhalten.

Die deutsche Praxis ist verfassungswidrig

Auch ohne die Einbeziehung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hätten eigentlich schon die deutschen Gerichte feststellen müssen, dass die jetzige Praxis ganz klar verfassungswidrig ist. Dass nicht einmal der EGMR dies zu erkennen vermag, ist bedauerlich – es bleibt zu hoffen, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist.

Anhang

Das Urteil auf Französisch.

Das Urteil enthält auch die sehr aufschlussreiche abweichende Meinung.

Es lässt sich per Google Translate in einigermaßen brauchbares Englisch und in ziemlich unbrauchbares Deutsch übersetzen. Dazu muss man allerdings auf der Webseite den Text markieren und per Zwischenablage nach Google Translate kopieren.

Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen (Alibri Verlag)Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen, S. 25-26

Freie Kirche im Freien Staat

Mit der Weimarer Reichsverfassung 1919 wurde die Kirchensteuer im gesamten Nationalstaat eingeführt. Zweck war die finanzielle Absicherung der Kirchen, die mit der Weimarer Verfassung von der staatlichen Kirchenaufsicht (als „Staatskirche“) und damit auch der staatlichen Finanzierung befreit wurden („Freie Kirche“ im „Freien Staat“). Ihnen sollte eine sichere eigene Einnahmequelle geschaffen werden. Der Staat war ihnen nur insoweit behilflich, indem er sich verpflichtete, den Kirchen die staatlichen Steuerlisten zur Verfügung zu stellen, aus denen hervorging, wer Mitglied im Steuerverband Kirche war und wie viel Einkommensteuer er bezahlte. Eine weitere Verbindung oder gar „Partnerschaft“ war dabei nicht beabsichtigt. Ganz im Gegenteil war dies Bestandteil des Programms der kompletten finanziellen Trennung von Staat und Kirche.

Dass der Staat den Kirchen mit der Einführung der Kirchensteuer und den staatlichen Steuerlisten sehr großzügig zu einer neuen „Existenzgründung“ verhalf, wurde nicht als Widerspruch dazu gesehen.

Geplant und erhoben wurde diese nationale Kirchensteuer ursprünglich

(1) als Ortskirchensteuer (Empfänger waren die Kirchengemeinden),

(2) als vergangenheitsbezogen (erst nach Vorliegen der Steuerlisten konnten die Kirchen diese Steuer erheben) und

(3) ohne irgendeine weitere aktive Beteiligung des Staates oder gar der Arbeitgeber.

Alle drei Punkte konnten die Kirchen schließlich zu ihren Gunsten ändern und hatten – in historischer Kontinuität – keinerlei Skrupel, jedes politische System dafür zu nutzen.

Die Nationalsozialisten führten 1934 den Kirchensteuereinzug durch die Arbeitgeber (als „staatliche“ Aufgabe) ab dem 1.1.1935 ein. Und zwar im zeitlichen Zusammenhang mit dem Reichskonkordat vom 20.7.1933 und der Zustimmung zum ‘Ermächtigungsgesetz’ (23.3.1933), mit dem die diktatorische ‘Machtergreifung’ der Nationalsozialisten tatsächlich stattfand.

Damit war die Lohn-Kirchensteuer zur Gegenwartssteuer umgewandelt, die sofort mit der Lohnsteuer berechnet und abgeführt wurde. […]

Generell wurde zudem der automatische und damit höchst effiziente Einzug der Kirchensteuer durch die Finanzverwaltungen der Bundesländer vereinbart. Dieses staatliche Inkasso ist ein klarer Verstoß gegen das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche, was jedoch dem rheinischen Katholizismus der CDU in der Gründungsphase der Bundesrepublik offensichtlich egal war.

Gerhard Czermak: Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht, S. 191-193

Kirchensteuer III (Kirchenlohnsteuer)

[…]

V. Lohnsteuerkartenvermerk. Auf wie dünnem Eis die z.T. komplizierten Bemühungen der Rechtsprechung zur Rechtfertigung des derzeitigen Kirchensteuersystems stattfinden, zeigt besonders deutlich das Problem des Vermerks der (fehlenden) Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte. Art. 136 III l WRV/ 140 GG sagt klipp und klar: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Oberzeugung zu offenbaren.“ Zwar gilt eine Ausnahme vom Schweigerecht für ein Fragerecht der Behörde. Es betrifft den Fall, dass von der Kenntnis Rechte oder Pflichten abhängen. Doch muss dabei selbstverständlich Art. 4 GG beachtet sein. Im übrigen ist in Art. 136 III l WRV von der Zulässigkeit einer Weitergabe an Dritte (hier: Arbeitgeber) nicht die Rede. Das BVerfG hat das Problem („im Zweifel für die Kirche“) 1978 so „gelöst“: Das Kirchenlohnsteuerverfahren ist verfassungsgemäß (siehe oben). Es erfordert aus „Zweckmäßigkeitsgründen“ einen Vermerk über die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zu einer steuerberechtigten Religionsgemeinschaft. Aus diesem Grund ist eine Grundrechtsverletzung „noch nicht“ anzunehmen. Das nach Auffassung des BVerfG schrankenlose Grundrecht des Art. 41, II GG (dessen Teilaspekt Art. 136 III l WRV ja ist), wird also entgegen dem klaren Wortlaut der Verfassung aus bloßen Zweckmäßigkeitsgründen eingeschränkt: ein verfassungsrechtlicher Abgrund (BVerfGE 49, 375). Denn eine Besteuerung von Kirchenmitgliedern ist auch ohne Lohnsteuerkartenvermerk jedenfalls möglich, also nicht verfassungsrechtlich „erforderlich“. Eingehend wie hier neben Schiller/Wasmuth auch der bekannte Staatskirchenrechtler Korioth in: Maunz/Dürig, GG, Komm. zu Art. 140 GG, S. 124-126 (Rn 92).


Mobiles Einlullkommando: Die „Task Force“ und das „FAQ Kirchenfinanzierung“ der Deutschen Bischofskonferenz

23. November 2010
Unter Hinweis auf Carsten Frerks Violettbuch Kirchenfinanzen war letzte Woche bei der FAZ zu lesen, die deutschen Bischöfe hätten eine „Task Force“ eingerichtet, um an einer „Kommunikationsstrategie“ zum selbigen Thema „zu feilen“. Das Ergebnis findet sich auf der Website der deutschen Bischofskonferenz: Antworten auf „häufig gestellte Fragen“ zur Kirchenfinanzierung.

In Anbetracht der dortigen Ausführungen scheint allerdings „Mobiles Einlullkommando“ der treffendere Begriff für die bischöfliche „Task Force“ zu sein: Nicht nur in den Antworten, sondern bereits bei den Fragen legen die Autoren nämlich eine bemerkenswerte intellektuelle Mobilität an den Tag, wenn es darum geht, Kritik auszuweichen oder Zahlen zu nennen. Wie die Kollegen vom MEK bedient sich auch der apologetische Sturmtrupp aus der Kaiserstraße eines ganzen Arsenals an argumentativen Blendgranaten und rhethorischen Nebelkerzen. Der Leser wird für dumm verkauft, das ethische Niveau der bischöflichen „Task Force“ scheint auf dem einer Söldnertruppe zu liegen.

Kritik wird komplett ausgeblendet

Es fehlt nämlich nicht bloß der Hinweis auf das Violettbuch (das wäre zumindest verständlich) – es findet sich nicht die leiseste Erwähnung irgendwie gearteter Kritik am gegenwärtigen System der Kirchenfinanzierung. Sie lässt sich allenfalls erahnen anhand von Fragen wie Subventioniert der Staat die Kirche? oder Haben die Bistümer Privilegien im finanziellen Bereich?

Leser, die mit der Thematik nicht vertraut sind, würden z. B. bei der Lektüre der bischöflichen Ausführungen niemals darauf kommen,

  • dass die Angabe der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte verfassungsrechtlich äußerst problematisch ist – gelinde ausgedrückt.
  • dass unter bestimmten Umständen durchaus auch Nichtmitglieder und Ausgetretene Kirchensteuer bezahlen müssen.
  • dass den Kirchen für ihre ganz überwiegend aus öffentlichen Geldern finanzierten Einrichtungen ein eigenes Arbeitsrecht (sog. „Dritter Weg“) zugestanden wird, der z. B. keine Gewerkschaften zulässt.

Extrem einseitige, selektive Darstellung

Das völlige Ausblenden jeglicher Kritik bildet aber nur die Grundlage für das weitere Vorgehen: Nämlich eine völlig einseitige, höchst selektive Darstellung der Sachverhalte. Wer z. B. liest „Die Bistümer dürfen nur diejenigen zur Zahlung von Kirchensteuern heranziehen, die ihr angehören“, der wird kaum auf den Gedanken kommen, dass auch noch Kirchensteuer zu zahlen ist, nachdem man aus der Kirche ausgetreten ist (u. U. noch mehr als ein Jahr später), oder dass auch konfessionslose Ehepartner mit besteuert werden (beim besonderen Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe).

Ich kenne niemanden, der kritisiert, dass Kirchenmitglieder Beiträge an die Kirchen zu zahlen haben. Kritik richtet sich vielmehr dagegen, dass auch Nichtmitglieder und Ausgetretene besteuert werden. Diesen – verfassungsrechtlich äußerst problematischen – Einwänden wird das „Kirchenfinanzierungs-FAQ“ der deutschen Bischöfe in keiner Weise gerecht.

Die selektive Darstellung geht sogar so weit, dass dem Leser die verfassungsrechtlich äußerst fragwürdige Kirchensteuerpraxis als von der Verfassung gedeckt, ja geboten vorkommen muss. Zu der Frage Welche rechtliche Grundlage hat die Kirchensteuer heute?wird ausgeführt: 

 Das Recht zur Erhebung der Kirchensteuer ist in der Verfassung niedergelegt.

„Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.“ (Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137, Abs. 6 Weimarer Reichsverfassung). 

Das ist zwar nicht gelogen, aber es wird verschwiegen, dass diese Vorschrift von 1919 sich nicht auf die jetzige Praxis bezieht, bei der die Kirchensteuer durch den Arbeitgeber berechnet und abgeführt wird, sondern darauf, dass die Kirchen selbst die Kirchensteuer von ihren Mitgliedern einziehen – wie aus der Formulierung „auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten“ immer noch erkennbar ist.

Der jetzigen Praxis steht nämlich Artikel 138 – ebenfalls aus der Weimarer Reichsverfassung von 1919 und Bestandteil des Grundgesetzes – entgegen, der besagt: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“ Nur die Behörden dürfen in bestimmten Fällen „nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft“ fragen. Der Zwang zur Angabe der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte stellt diese Vorschrift auf den Kopf und stellt eine gravierende Beeinträchtigung des Rechtes auf Religionsfreiheit dar.

Waren etwa denjenigen, die die Abführung der Kirchensteuer durch den Arbeitgeber eingeführt haben, die  Verfassung und die Menschenrechte gleichgültig? Man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man diese Frage mit „ja“ beantwortet – die Abführung der Kirchensteuer durch die Arbeitgeber wurde 1934 von den Nazis ermöglicht. So etwas erfährt man natürlich nicht aus Veröffentlichungen der Deutschen Bischofskonferenz, dazu muss man schon das Violettbuch studieren. 

In Anbetracht dieser schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Problematik erübrigen sich eigentlich weitere Fragen des FAQs wie Ist die Kirchensteuer gerecht?“ oder Was sind die Vorteile der Kirchensteuer?

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Entschädigungen? – Was für Entschädigungen?

20. November 2010

Im Atheist Media Blog hat sich eine Diskussion über die sog. Staatsleistungen im engeren Sinne entwickelt, d.h. die Zahlungen des Staates an die Kirchen, die als Entschädigung für die Säkularisation von 1803 (Stichwort: Reichsdeputationshauptschluss) deklariert werden.

Nun ist dem Experten für Kirchenfinanzierung Carsten Frerk vor einiger Zeit aufgefallen, dass im Reichsdeputationshauptschluss, der regelmäßig als Grundlage für die immer noch andauernden Zahlungen an die Kirchen angeführt wird, gar nicht von dauerhaften Entschädigungen die Rede ist. Frerk schreibt in seinem Violettbuch Kirchenfinanzen [S. 69]:

Die historische Herleitung und damit auch die Begründung für diese Staatsdotationen ist eine Geschichte für sich. Auch ich selbst habe bis vor relativ kurzer Zeit das akzeptiert, was in vielen wissenschaftlichen und kirchlichen Darstellungen verbreitet wird. So heißt es staatskirchenrechtlich in einem Satz formuliert:

„Staatsleistungen bilden einen ‘Säkularisations-Ausgleich’ (Isensee), insbesondere im Hinblick auf die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Reformation und auf ‘die’ Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts.“ [Zitat aus: Alexander Hollerbach: „§ 139 Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation“, in: Josef Isensee (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg: Müller 1989, Bd.6, S. 557-593, hier S. 587.]

Diese Darstellung hat leider den Schönheitsfehler, dass sie nicht den historischen Tatsachen entspricht. Sie ist aber ein bemerkenswertes Beispiel für den Erfolg des kirchlichen Lobbyismus und die Phantasie der Staatskirchenrechtler.

Dass die Bischöfe enteignet worden sein sollen, ist bereits eine Legende. Die betreffenden Gebiete gehörten der katholischen Kirche gar nicht, sondern es handelte sich weitestgehend um Reichslehen. Insofern kann auch von keiner Entschädigung – wofür auch? – die Rede sein.

Von einer Säkularisation der katholischen Kirche zu sprechen, ist zudem mehrfach übertrieben und auch sachlich falsch. Alle katholischen Einrichtungen, die der Seelsorge und der Wohlfahrt dienten, verblieben im Kirchenbesitz und wurden zum Teil (wie das Vereinigte Stift in Trier) sogar finanziell noch besser ausgestattet.

Was genau in der Reformation angeblich entschädigungspflichtig säkularisiert worden sei, darüber wird geschwiegen. Zudem war der weltliche Landesherr als evangelischer Landesbischof auch Teil der Staatskirche. Kann man sich selbst enteignen, wenn einem etwas weiterhin gehört?

Auf das Thema geht Frerk im Folgenden noch wesentlich umfassender ein und auch in seinem Kapitel über die Ablösung der Staatsleistungen (ab S. 90, hier: „67. Ablösesummen und Reichsdeputationshauptschluss, S. 92-95). Hier sei noch der Abschnitt zu „Evangelischen“ Staatsdotationen erwähnt (Nr. 51, S. 74):

Da es keinerlei „geistliche“ Territorien gab, die von evangelischen Pastoren regiert worden waren, war die evangelische Kirche von „1803“ nicht betroffen. Sofern es jedoch dazu gekommen sein sollte, beträfe es zudem auch eine juristisch kniffelige Frage, ob ein evangelischer Landesherr (wie in Brandenburg), der auch gleichzeitig als Landesbischof das Kirchenoberhaupt war, seine eigene Landeskirche überhaupt hätte nachteilig behandeln können.

In Deutschland gilt eine eigentümliche Parität. Bekommt die eine Kirche etwas, hat die andere auch Anspruch darauf. Es ist Ausdruck der religiösen Durchmischung der im 19. Jahrhundert entstandenen Territorialstaaten – das evangelische Preußen bekam nach 1803 und 1815 katholische Territorien als Staatsgebiet. Die auf Ausgleich bedachten Könige und Fürsten sahen sich veranlasst, beide Konfessionen ‘paritätisch’ zu behandeln.

Die heutigen Staatsdotationen an die evangelischen Landeskirchen leiten sich jedoch aus dem Anspruch der Beamten der ehemaligen evangelischen Staatskirche ab (auch nach der Revolution 1918/19 und der Abschaffung der Staatskirche durch die Weimarer Verfassung). Infolge dieser nicht zurückgewiesenen oder zumindest auf eine Übergangsphase begrenzten Ansprüche müssen die „zweckgebundenen Zuschüsse zu den kirchlichen Personalkosten und für den allgemeinen Bedarf der kirchlichen Verwaltung (Pfarrbesoldung und Kirchenregimentliche Zwecke)“ weiterhin – wie vorher für Staatskirchenbeamte – vom Staat bezahlt werden, auch wenn es keine evangelische Staatskirche mehr gibt.

Nun waren es zufälligerweise gerade Vertreter der evangelischen Kirche, bei denen ich in den letzten Tagen Hinweise auf den Reichsdeputationshauptschluss gefunden habe. Über das FAQ Kirchenfinanzierung der „Task Force“ der Deutschen Bischofskonferenz gelangte ich auf steuer-forum-kirche.de, eine mehrerer Webseiten von Dr. Jens Petersen, dem Referenten für Steuerfragen in der Finanzabteilung des Kirchenamtes der EKD und Autor der Bücher „Kirchensteuer in der Diskussion“ und  „Kirchensteuer kompakt“. Auf seinen Seiten verweist Dr. Petersen „aus aktuellem Anlass“ auf den Text des Reichsdeputationshauptschlusses, den er dankenswerterweise online gestellt hat. (Ich nehme an, mit dem „aktuellen Anlass“ bezieht er sich auf die durch Carsten Frerks Violettbuch Kirchenfinanzen ausgelöste Diskussion.)

Auch der Präses der Evangelischen Kirche in Westfalen, Alfred Buß, behauptete kürzlich gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd), die direkten Staatsleistungen seien Entschädigungen für die Enteignung kirchlicher Güter, die im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 festgelegt seien.

Noch vor einem Jahr hätte ich gesagt, Präses Buß weiß es nicht besser, denn diese Darstellung war ja bis dahin praktisch die allgemein anerkannte (siehe obiges Hollerbach-Zitat bei Frerk). Carsten Frerk hat allerdings bereits im Januar dieses Jahres bei den vierten Berliner Gesprächen über das Verhältnis von Staat, Religion und Weltanschauung darauf hingewiesen, dass der Reichsdeputationshauptschluss kaum als Rechtsgrundlage für die heutigen Zahlungen herangezogen werden kann:

In wenigen Worten, knapp und präzise und ohne fachchinesisches Versteckspiel zeigte Dr. Frerk auf, dass all die Argumente, die die Befürworter der Staatsleistungen hervorbringen, schon allein deshalb irrelevant sind, da die Grundlagen, sowohl die historischen als auch die juristischen, fehlerhaft sind. Es kann keine Ausgleichszahlungen für die Enteignung von z.B. Grund und Boden geben, wenn der, der diese Ausgleichszahlungen in Anspruch nehmen will, nicht der Eigentümer eben dieses Grund und Bodens war. Damit erübrigen sich jegliche ausufernde Diskussion über das Für und Wider der Ausgleichszahlungen, da es keine Grundlage für einen Ausgleich gibt. [hpd-Veranstaltungsbericht, vgl. auch das Interview mit Carsten Frerk (Podcast)]

Auch in den folgenden Monaten hatte Frerk bei Vorträgen immer wieder öffentlich auf diesen Umstand hingewiesen, z.B. im April. Als die Öffentlichkeit im Zuge des Rücktritts von Bischof Mixa erfuhr, dass auch dessen Pension nicht aus Kirchensteuermitteln, sondern aus allgemeinen Steuergeldern bezahlt wird, beriefen sich Kirchenvertreter weiterhin auf den Reichsdeputationshauptschluss von 1803:

Georg Ratzinger, katholischer Priester und Bruder des Papstes, sagte SPIEGEL TV, dass es „natürlich“ angemessen sei, dass kirchliche Würdenträger vom Staat bezahlt werden.

Schließlich habe der Staat ja auch die Kirche „geplündert“ und ihr „viel gestohlen“. Außerdem würden die Bischöfe dem allgemeinen Wohl dienen. Dass die Zahlungen überhaupt in Frage gestellt werden, findet Ratzinger unverständlich.

Auch Gerhard Ludwig Müller, Bischof des Bistums Regensburg, kann an den hohen Zahlungen nichts Ungerechtes finden. Er und seine Kollegen bekämen ihr Gehalt aus dem Vermögen, das der Staat der Kirche vor 200 Jahren abgenommen habe. Das seien vertragliche Verpflichtungen, und die sollten auch weiterhin gelten. [Spiegel Online, 08.06.2010]

Derartigen, in dem erwähnten Spiegel TV-Beitrag getätigten Behauptungen hielt Carsten Frerk in einem Artikel des Humanistischen Pressedienstes (hpd) vom 9. Juni entgegen:

Der Spiegel hatte in seinem spiegel-tv Magazin am vergangenen Sonntagabend einen Bericht gezeigt, „Spardebatte: Staat zahlt 442 Millionen Euro für Kirchengehälter“ in dem danach gefragt wurde, wieso eigentlich in Deutschland aktuell 442 Mio. im Jahr aus Steuergeldern als Gehälter und Personalzuschüsse an die Kirchen bezahlt werden.

In dem Beitrag selber versicherte dann der Regensburger Bischof Müller mit großer Gelassenheit, dass es damit alles seine Ordnung habe, denn die katholische Kirche sei ja 1803 enteignet worden und diese Zahlungen seien deshalb Gelder aus dem kirchlichen Vermögen, dass damals an die weltlichen Herrscher gefallen war.

In das gleiche Horn stößt prompt nun auch der Kirchensteuerreferent im Kirchenamt der EKD, Oberkirchenrat Jens Petersen, auf der ‚Jugendseite’ der EKD, in seinem Beitrag „ Die historische Entwicklung der Kirchensteuer“ der unter dem Stichwort „Religion“ fragt: „Rund 442 Millionen Euro an Kirchengehältern zahlt der Staat pro Jahr, rechnet der ‚Spiegel‘ vor. Warum eigentlich? Eine kurze Geschichte der Kirchenfinanzierung.“

Die Einführung der Kirchensteuer wird, historisch völlig unzutreffend, mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 in Verbindung gebracht. Petersen fährt verbal schwere Geschütze auf, schreibt von „völker- und staatsrechtlicher Annexion“ sowie der „Enteignung von Territorien und Vermögen der (kath) Kirche, des gesamten bischöflichen und klösterlichen Grundbesitzes“. Gut katholisch gebrüllt. Aber leider auch so falsch.

Der Reichsdeputationshauptschluss war Teil einer Modernisierung des damaligen „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“, das von dem bis dahin bestehenden „Flickenteppich“ von mehreren hundert Herrschaften nur noch rund drei Dutzend große Territorien übrig ließ. Die Herrschaftsgebiete der Reichsritterschaft wurden auch aufgehoben – ebenso ohne eine Entschädigung, für die auch im Reichsdeputationshauptschluss nichts zu lesen steht. Das einzige, wozu die weltlichen Herrscher verpflichtet wurden, war der Erhalt der Domkirchen. […]

Von einer Säkularisierung der katholischen Kirche zu schreiben ist zudem Unsinn, da alle Kirchengemeinden und Einrichtungen, die der Seelsorge oder der Wohlfahrt dienten, damals erhalten blieben und teilweise sogar ausgebaut wurden.

Die aufgehobenen geistlichen Territorien waren zudem überwiegend frühere königliche und kaiserliche Lehen, die jeweils nach Belieben gegeben und zurückgenommen wurden – ohne Entschädigung. Die katholische Kirche und ihre Fürstbischöfe waren nur die Besitzer und nicht die Eigentümer. Was sollte also enteignet worden sein? Nichts.

Dass die aus ihrer weltlichen Herrschaft ‚depossedierten’ Bischöfe bis zu ihrem Lebensende staatliche Apanagen erhielten, einschließlich Sommerresidenz und Tafelgeschirr, war nur Ausdruck des kollegialen Standesbewusstseins, denn schließlich waren diese abgesetzten Bischöfe auch Adelige. Die konnte man schließlich nicht einfach mittellos auf die Straßen betteln schicken, wie die Nonnen und Mönche, die nicht in der Seelsorge oder Wohlfahrt tätig waren. Mit dem Tod der Bischöfe war auch mit diesen Apanagen Schluss.

Als der Spiegel eine Woche später über die „Geheime Parallelwelt“ der Kirchenfinanzen berichtete und schrieb:

Leistungen wie die jährlichen Holzlieferungen einiger süddeutscher Kommunen an ihren Bischof beruhen teils auf 200 Jahre alten Ansprüchen, die von der Politik nie wieder überprüft wurden.

wurde auf wissenrockt.de klargestellt:

Aber schon 1803 […] entschieden die Staatschefs des damaligen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, dass den Wohlstand der Kirchen die weltliche Macht nicht mehr in der alten Form mehren könne. Auf dem „Reichsdeputationshauptschluss“ in Regensburg hoben sie zahllose Lehensverhältnisse an Grund und Boden auf, auf denen der Klerus bis dahin die einfachen Bauern zum Erwerb ihres Einkommens und der Mehrung des Wohlstands ihrer Verpächter, der Kirchen, arbeiten ließ. Noch heute sprechen Kirchenvertreter von „Enteignung“ obwohl diese Gebiete niemals kirchliches Eigentum waren, sondern auch bis 1803 nur zur Verfügung gestellt gewesen sind.

Die von Carsten Frerk in dem hpd-Artikel (s.o.) beanstandete Darstellung von EKD-Finanzreferent Dr. Petersen war offenbar mittlerweile wieder zurückgezogen worden, denn bei wissenrockt heißt es weiter:

Noch am 8. Juni 2010 versuchte der Kirchensteuerreferent der EKD, Jens Petersen, auf dem „Jugendportal“ evangelisch.de die kirchliche „Version“ zur Historie der Kirchenfinanzierung den jungen Geistern zu propagieren, in der er unter anderem die Erhebung der Kirchensteuern und die daneben existierenden Staatszuweisungen in einen Topf warf und ohne Sorgfalt kräftig umrührte. Die Zweifel an der Tragfähigkeit dieser verdrehten Darstellung wurden anschließend sogar den Herausgebern zu groß, denn kurz nach Carsten Frerks kritischer Veröffentlichung verschwand der Beitrag wieder aus der Öffentlichkeit. [Anmerkung: Der ursprüngliche Artikel ist offenbar wieder online.]

Mitte des Jahres wurde dann von von einigen Politikern die vom Grundgesetz verlangte Ablösung der Staatsleistungen gefordert – auch mit dem Hinweis auf den allgemeinen Sparzwang, von dem die Zahlungen an die Kirchen nicht ausgemommen werden dürften. Aus diesem Anlass berichtete der Spiegel unter der Überschrift „Jagd auf die Kirchenmäuse“ ausführlich über die Zahlungen des Staates an die Kirchen zusätzlich zur Kirchensteuer. Zur Begründung heißt es dort:

Verbindliche Zusagen hatten die finanziell geschickten Kirchenoberen bis dahin schon zahlreichen Landesherren abgenommen – als Ausgleich für ihre Landverluste durch Napoleon Bonaparte.

Er hatte 1803 Frankreichs Ostgrenze bis an den Rhein ausgedehnt. Den betroffenen deutschen Reichsständen bot er an, sich östlich des Rheins einen Ausgleich zu holen. Und zwar zu Lasten der Katholiken: Geistliche Fürstentümer fielen an weltliche Herren, die katholische Kirche verlor mehrere Erzbistümer und Bistümer, zahllose Klöster, Abteien und Stifte. […]

Allerdings verpflichteten sich die Landesherren, die Kirchengebäude „fest und bleibend“ auszustatten, die „Pensionen für die aufgehobene Geistlichkeit“ zu zahlen und zum „Aufwand für Gottesdienste, Unterrichts- und andere gemeinnützige Anstalten“ beizutragen.

Leider wird weder darauf hingewiesen, dass nicht nur geistliche, sondern auch andere – weltliche – Besitztümer (s.o., „Reichsritterschaft“) von dieser Umverteilung betroffen waren, noch darauf, dass sich die erwähnten „Pensionen für die aufgehobene Geistlichkeit“ nur auf die damaligen Geistlichen bezogen – aber nicht auf deren Nachfolger.

Schließlich berichtete das ZDF am 03.08.2010 in Frontal 21 über Frerks Erkenntnisse:

Ende August berichtete das Neue Deutschland darüber.

Im September kam Frerk mehrmals in der ZDF-Sendung „sonntags“ zu Wort:

Wenn also Präses Buß immer noch behauptet, die direkten Staatsleistungen an die Kirchen – auch an die evangelische! – seien Entschädigungen für die Enteignung kirchlicher Güter, die sonst auch heute noch erhebliche Rendite bringen würden, und seien im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 festgelegt, dann kann er sich jedenfalls nicht mehr darauf berufen, Frerks Einwände nicht zu kennen. Er kann sich m.E. – abgesehen von den in § 35 vorbehaltenen „festen und bleibenden Ausstattung der Domkirchen“, die nur einen Bruchteil der staatlichen Zahlungen ausmacht – eben auch nicht auf den Reichsdeputationshauptschluss berufen.

Deshalb habe ich Präses Buß eine E-Mail geschickt (und auch Dr. Petersen eine fast gleich lautende) mit der Frage, wo sich denn im Reichsdeputationshauptschluss bitteschön die Grundlage für die heutigen Zahlungen finden soll.

Anlässlich der eingangs erwähnten Diskussion im Atheist Media Blog hier der Text meiner E-Mail vom 18.11.2010 an Präses Buß, da ich dort auch im Einzelnen auf die Formulierungen im Reichsdeputationshauptschluss eingehe:

Sehr geehrter Präses Buß,

mein Name ist Matthias Krause, ich blogge als „Skydaddy“ zu Kirchenthemen.

Im Zuge der aktuellen Diskussion um die Kirchenfinanzierung sollen Sie dem epd gesagt haben:

Die direkten Staatsleistungen seien Entschädigungen für die Enteignung kirchlicher Güter, die sonst auch heute noch erhebliche Rendite bringen würden, sagte er dem epd in Bielefeld. Eine Ablösung der im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 festgelegten Entschädigungen sei natürlich möglich. Dies werde bislang aber weder vom Bund noch vom Land Nordrhein-Westfalen erwogen.

Ich nehme an, Sie beziehen sich auf Carsten Frerks „Violettbuch Kirchenfinanzen“. Dr. Frerk weist darauf hin, dass der Reichsdeputationshauptschluss – von Baulasten in § 35 abgesehen – keine immerwährende Entschädigung für die Säkularisierung geistlicher Reichsstände vorsieht, sondern lediglich den von der Säkularisation betroffenen Fürstbischöfen und Bischöfen sowie deren Hofstaat einen standesgemäßen Lebenswandel gewährleisten sollte. Bis zu deren Tod, länger nicht. So heißt es im Violettbuch auf S. 93:

Gleich im § 1, Absatz 1 [des Reichsdeputationshauptschlusses] wird festgelegt, was „Sr. Majestät dem Kaiser, Könige von Ungarn und Böhmen, Erzherzoge von Oesterreich“ zusteht: die Bistümer Trient und Brixen, „mit ihren sämmtlichen Gütern, Einkünften, eigenthümlichen Besitzungen, Rechten und Vorrechten, ohne irgend eine Ausnahme“. Als Ausgleich wird festgelegt: „[…] unter der Verbindlichkeit jedoch, sowohl für den lebenslänglichen Unterhalt der beiden jetzt lebenden Fürstbischöfe und der Mitglieder der beiden Domkapitel, nach einer mit solchen zu treffenden Uebereinkunft, als auch für die hierauf erfolgende Dotation der bei diesen beiden Diöcesen anzustellenden Geistlichkeit, nach dem in den übrigen Provinzen der Oesterreichischen Monarchie bestehenden Fuße zu sorgen.“

Kurz ausgedrückt: Die beiden ehemaligen Fürstbischöfe, die Mitglieder des Domkapitels und die bei den Diözesen beschäftigten Geistlichen erhalten bis an ihr Lebensende eine zu vereinbarende Dotation. Mehr nicht. Mit dem Tod des letzten Bediensteten sind diese Dotationsverpflichtungen erloschen. Nachfolger oder Erben werden nicht genannt und nicht finanziert.

Zu ihren Lebenszeiten sollte für die säkularisierten adeligen Bischöfe alles angenehm bleiben, einschließlich einer standesgemäßen Sommerresidenz und des Tischgeschirrs […]. Nach ihrem Tod war damit Schluss und auch die ihnen vom Staat überlassenen Möbel und die Tafelservice aus Staatsbesitz gingen an den Staat zurück. Da wurden keine Nachfolger erwähnt, die beispielsweise die Möbel als Dauerleihgabe hätten behalten dürfen. […]

Insofern gibt es aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses keinerlei Begründung für Entschädigungen oder gar Personalzuschüsse, wie etwa die fortdauernde Zahlung von Bischofsgehältern und Pensionen.

Ein Blick in den Text des Reichdeputationshauptschlusses scheint mir Dr. Frerks Auffassung zu bestätigen. An etlichen Stellen wird deutlich, dass es offenbar um „lebenslängliche“, aber nicht „immerwährende“ Entschädigungen geht:

Konkret werden die Entschädigungen „der aus dem Besitze tretenden Regenten und Besitzer, auch der davon abhangenden Geistlichkeit“ in den §§ 47-76 geregelt. Und dort heißt es z.B. in § 50:

Den sämmtlichen abtretenen geistlichen Regenten ist nach ihren verschiedenen Graden auf lebenslang eine ihrem Range und Stande angemessene freie Wohnung mit Meublement und Tafelservice, auch den Fürstbischöfen und Fürstäbten des ersten Ranges ein Sommeraufenthalt anzuweisen; wobei sich von selbst versteht, daß dasjenige, was ihnen an Meublen engenthümlich zugehört, ihnen gänzlich überlassen bleibe, das aber, was dem Staate zugehört, nach ihrem Tode diesem zurückfalle.

§ 52 bestimmt:

Die Weihbischöfe, in so ferne sie Präbenden haben, die Domkapitularen, Dignitarien, auch Canonici der Ritterstifter, auch adelige Stiftsdamen behalten den lebenslänglichen Genuß ihrer Kapitelwohnungen; ihnen oder ihren Erben sind die auf den Ankauf oder Optirung ihrer Häuser gemachten Auslagen, falls der Landesherr solche nach ihrem Tode an sich ziehen will, zu vergüten; auch außer dem an Orten, wo sie ein Privateigenthum ihrer Wohnung hergebracht haben, wird ihnen dieses vorbehalten.

Weiterhin wird im Reichsdeputationshauptschluss der Begriff „Sustentation“ verwendet. Damit ist offenbar eine Art Unterhaltszahlung gemeint, bis der Empfänger verstirbt oder eine neue bezahlte Position findet. Dies ergibt sich z.B. aus § 53:

Zu ihrer Sustentation aber sind den Domkapitularen, Dignitarien und Canonicis der Ritterstifter neun Zehntel ihrer ganzen bisherigen Einkünfte, und zwar jeden einzelnen, was er bisher genossen hat, zu belassen. Auf gleiche Weise sind die Vicarien bei ihren Wohnungen, und da sie meist gering stehen, bei ihrem ganzen bisherigen Einkommen, bis sie etwa auf andere geistliche Stellen versorgt werden, zu belassen, wogegen sie ihren Kirchendienst einstweilen fortzuversehen haben.

Oder auch aus § 59:

In Ansehung der sämmtlichen bisherigen geistlichen Regenten, auch Reichsstädte und unmittelbaren Körperschaften, Hof-, geistlichen und weltlichen Dienerschaft, Militair und Pensionisten, in so ferne der abgehende Regent solche nicht in seinem persönlichen Dienste behält, so wie der Kreisdiener, da, wo mit den Kreisen eine Veränderung vorgehen sollte, wird diesen allen der unabgekürzte, lebenslängliche Fortgenuß ihres bisherigen Rangs, ganzen Gehalts und rechtmäßiger Emolumente, oder, wo diese wegfallen, eine dafür zu regulirende Vergütung unter der Bedingniß gelassen, daß sie sich dafür nach Gutfinden des neuen Landesherrn, und nach Maaßgabe ihrer Talente und Kenntnisse auch an einem andern Orte und in andern Dienstverhältnissen gebrauchen und anstellen lassen müssen; jedoch ist solchen Dienern, welche in einer Provinz ansässig sind, und in eine andere gegen ihren Willen übersetzt werden sollen, freizustellen, ob sie nicht lieber in Pension gesetzt werden wollen. […] Sollte der neue Landesherr einen oder den andern Diener gar nicht in Diensten zu behalten gedenken, so verbleibt demselben seine genossene Besoldung lebenslänglich. […]

Auch in § 69 ist wiederum von „lebenslänglicher“ Überlassung die Rede:

Bei denjenigen Landen, wo die geistlichen Regenten ihre Residenzstädte auf der linken Rheinseite mit den dortigen Landen verloren, doch auch noch beträchtliche Besitzungen diesseits Rheins behalten haben, kommen vorzüglich Se. Kurfürstl. Durchlaucht zu Trier, als Kurfürst des Reichs, aus Dero Domkapitel und Dienerschaften in Betrachtung. […] – dann wird festgesetzt, daß die Stadt Augsburg dem Herrn Kurfürsten von Trier ihr bischöfliches Schloß, und die für die Dienerschaft nöthigen Gebäude in ihrem gegenwärtigen meublirten Zustande nebst den bisher gehabten Immunitäten, in ihrem ganzen Umfange lebenslänglich ungestört zu belassen habe.

In § 75 wird sogar ausdrücklich erwähnt, dass die Pensionen nach dem Ableben des Empfängers an die Landesherren zurückfallen:

[…] Im Falle nur einer der Fürstbischöfe, die ein Zehntheil und Zwanzigtheil eines ihrer Deputats an die Fürstbischöfe von Lüttich und Basel abgeben, früher als oben gedachte Fürstbischöfe versterben würde, so behält der Landesherr, dem eine solche Pension zurückfällt, die Verbindlichkeit, das Zehntheil und Zwanzigtheil an gedachte Herrn Fürstbischöfe von Basel und Lüttich fortzuentrichten. […]

§ 76:

In Ansehung derjenigen Geistlichen und Diener endlich, deren Körperschaften jenseits auf der linken Rheinseite aufgehoben worden, welche jedoch noch mehr oder weniger Güter dieser rechten Rheinseite haben, die künftig der Disposition der respectiven Landesherren überlassen sind, versteht sich von selbst, daß diese Landesherren […] diesen unglücklichen Individuen ihre Einkünfte, worauf ihnen ein gegründetes Recht zustehet, lebenslänglich zu belassen, und über solche nur nach deren Tode anderweit zu disponiren haben.

Es erscheint mir offensichtlich, dass hier die von der Säkularisation betroffene Geistlichkeit bis zu ihrem Ableben standesgemäß versorgt werden sollte, ganz so, wie es Dr. Frerk in seinem „Violettbuch“ darstellt.

Wenn Sie nun behaupten, die direkten Staatsleistungen seien Entschädigungen für die Enteignung kirchlicher Güter, die sonst auch heute noch erhebliche Rendite bringen würden, so müssten Sie m.E. doch wohl erst einmal zeigen, für welche „der im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 festgelegten Entschädigungen“ heute überhaupt noch eine Zahlungsverpflichtung besteht.

Vom Wortlaut des Reichsdeputationshauptschlusses abgesehen: Die Position der Kirchen scheint in den Reichsdeputationshauptschluss eine Regelung hineinzulesen, bei der die weltlichen deutschen Fürsten für ihre linksrheinischen Verluste zwar durch die Säkularisation der geistlichen Fürstentümer entschädigt wurden, dafür aber wiederum den von der Säkularisation betroffenen Geistlichen eine „angemessene“ – Sie weisen ja darauf hin, dass die betreffenden Besitztümer „auch heute noch erhebliche Rendite bringen würden“ – Entschädigung zu zahlen. Eine Entschädigung, für die der Entschädigte selbst wiederum eine (angemessene) Entschädigung zahlen muss, wäre doch völlig absurd!

Können Sie mir erklären, welche der im Reichsdeputationshauptschluss festgelegten Entschädigungen – abgesehen von der in § 35 erwähnten „Ausstattung der Domkirchen“ – heute noch zu zahlen sind?

Mit Dank und freundlichen Grüßen,

Matthias Krause


Vergelt’s Gott: Kirchlicher „Stundenlohn“ von 2.750 Euro?

16. November 2010
Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen (Alibri Verlag)

Schnell! Eine Task Force!

Die katholische Kirche macht mal wieder ihre Prioritäten deutlich: Vor zwei Wochen ist Carsten Frerks Violettbuch Kirchenfinanzen erschienen, und seitdem hat die Deutsche Bischofskonferenz nicht nur eine „Task Force“ zu dem Thema gebildet, sondern sogar schon Ergebnisse online gestellt: eine Art Kirchenfinanzierungs-FAQ. Dort finden sich Aussagen wie diese:

Wie viel Ehrenamt „hat“ die Kirche?

Das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn e.V. hat im Jahr 2000 die Entlastungen für Staat und Gesellschaft auf 11 Mrd. Euro jährlich geschätzt, die durch ehrenamtliche Tätigkeit geleistet wurden. Eine Erhebung in ca. 1.000 Gruppen der Caritas-Konferenzen Deutschland, einem von ehrenamtlicher Arbeit getragenen Fachverband der Caritas, hat für 2008 ca. 4 Mio. Arbeitsstunden ehrenamtlicher Arbeit ermittelt.

Teilt man nun die angegebenen 11 Milliarden Euro Entlastung durch ehrenamtliche Tätigkeit durch die angegebene Zahl der ehrenamtlichen Arbeitsstunden von 4 Millionen, so ergibt sich ein „Stundenlohn“ von 2.750 Euro!

Bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass im ersten Satz womöglich die Entlastung gemeint ist, die Staat und Gesellschaft insgesamt durch ehrenamtliche Tätigkeit entsteht – nicht nur durch die in kirchlichen Einrichtungen.

Umgekehrt wurde im Engagementatlas 2009 das (ehrenamtliche) bürgerliche Engagement insgesamt auf 4,6 Milliarden Stunden pro Jahr geschätzt. Die 4 Millionen Stunden, die offenbar ehrenamtlich in den Einrichtungen der Caritas geleistet werden, haben daran nur einen Anteil von unter einem Promille.


Neues Buch von Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen – Wie der Staat die Kirchen finanziert

29. Oktober 2010
Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen (Alibri Verlag)

Sehr schönes Titelbild!

Lange erwartet, endlich da (oder zumindest fast): Der Nachfolger von Carsten FrerksFinanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland„, das sich seit seit der ersten Auflage 2002 als Standardwerk in Sachen Kirchenfinanzen etabliert hat, aber natürlich mit den Jahren nicht gerade aktueller wurde. So sind die Beträge in „Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland“ noch in D-Mark angegeben, weil das damals verfügbare Datenmaterial natürlich noch nicht in Euro vorlag.

Pünktlich zu den in letzter Zeit gelegentlich gehörten Forderungen, auch die Staatsgelder an die Kirchen nicht vom allgemeinen Sparzwang auszunehmen, wird nun in Kürze der Nachfolger erhältlich sein: das Violettbuch Kirchenfinanzen: Wie der Staat die Kirchen finanziert. Der Alibri-Verlag hat mir freundlicherweise schon ein Exemplar zur Verfügung gestellt.

Das erste Aha-Erlebnis hatte ich bereits vor dem Inhaltsverzeichnis: Dort heißt es, Carsten Frerk gelte „als ausgewiesener unabhängiger Fachmann für die Finanzen der Kirche“. Unabhängig! Bisher hatte ich mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht, dass zumindest die kirchlichen Experten praktisch alle von der Kirche bezahlt werden und daher kein Interesse daran haben können, dass sich bei der Kirchenfinanzierung etwas ändert. Und weil sie daran kein Interesse haben können, können sie eigentlich auch nicht daran interessiert sein, dass die Öffentlichkeit überhaupt erfährt, wofür und wieviel Geld die Kirchen vom Staat erhalten – nicht nur über die Kirchensteuer, sondern auch aus allgemeinen Steuergeldern und durch Steuerbefreiung.

Auf dieses Buch hatte ich mich schon gefreut, seit ich Anfang des Jahres las und hörte, dass Carsten Frerk den Reichdeputationshauptschluss von 1803 – der regelmäßig als Rechtsgrundlage für Zahlungen des Staates an die Kirchen angeführt wird – unter die Lupe genommen hat und dabei feststellte, dass dieses Dokument nur vereinzelt Entschädigungen begründet, die auch heute noch gezahlt werden müssten. (Mehr dazu in einem Interview mit Carsten Frerk beim hpd-Podcast und hier).

Das Vorgängerbuch, „Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland„, entstand aus dem Vorhaben, ein Gesamtbild der Kirchenfinanzen in Deutschland zu erstellen, das akademischen Ansprüchen genügen sollte. Dieser Anspruch schlug sich bisweilen z.B. in umfangreichen Tabellen nieder, so dass ich mich gelegentlich gefragt habe, ob das Buch für „Normalbürger“ nicht zu akademisch daher kommt. Ein kurzer Blick durch das neue Buch zeigt mir, dass es nur noch drei Tabellen gibt (Staatsdotationen der Bundesländer 2009, Religionsunterricht in den Bundesländern und Zusammenfassung der staatlichen Zuwendungen) – und die sind in den Anhang verlegt worden. Außerdem ist das neue Buch mit 269 Seiten gut ein Drittel kompakter und mit 16 Euro auch ein Drittel billiger als sein Vorgänger.

Somit ist zu hoffen, dass das „Violettbuch“ eine noch größere Leserschaft findet als sein Vorgänger.

Hinweis: Auf der Website des Alibri-Verlages gibt es das Inhaltsverzeichnis und ein Probekapitel („Bundes-Missions-Zentrale?“ über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ) als PDF.


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