Eins vorweg: Ich will hier ganz bestimmt nicht alle katholischen Geistlichen unter Generalverdacht stellen. Die Überschrift ist tatsächlich als Frage gemeint, deren Diskussion ich hier anstoßen will.
Ich sehe ich mich nämlich erneut veranlasst, auf seltsame Äußerungen eines Kriminologen einzugehen – diesmal von einem, von dem es im Internet eine Predigt zum Thema „Verbot von Killerspielen“ gibt:
(domradio.de) Der Kriminologe Christian Pfeiffer […] widersprach [..] dem Eindruck, dass Priester massenhaft Missbrauchstäter seien. Dem stehe die Kriminalitätsstatistik entgegen, die für die vergangenen 15 Jahre nur 0,1 Prozent der Tatverdächtigen als katholische Geistliche ausweise.
Soso, „nur“ 0,1 Prozent der Tatverdächtigen sind katholische Geistliche? So etwas kann der gute Skydaddy nicht lesen, ohne sofort zu prüfen, wie groß denn der Anteil der katholischen Geistlichen an der Gesamtbevölkerung ist. Wenn er kleiner ist als 0,1 Prozent würde das darauf hindeuten, dass katholische Priester überdurchschnittlich häufig in der Statistik zum sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176 StGB) vertreten sind.
Dem Artikel Priestermangel bei Wikipedia zufolge sank die Zahl der Priester in Deutschland von 1978 bis 2007 von 24.659 auf 15.759. Nimmt man an, dass die Abnahme linear erfolgte, so ergibt sich für die 15 Jahre von 1993 bis 2007 abschätzungsweise eine durchschnittliche Priesterzahl von 17.907.
Als Vergleichsgröße habe ich die Anzahl der Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl 2009 (62,2 Mio) gewählt. Es können ja nur Volljährige straffällig werden (glaube ich – als guter Atheist komme ich mit den Strafverfolgungsbehörden nicht so oft in Kontakt), man darf also nicht die komplette Bevölkerung zum Vergleich heranziehen. Ich habe auf die Schnelle keine vergleichbaren Zahlen für die Wahlberechtigten in den letzten 15 Jahren gefunden, aber da die Bevölkerung der Bundesrepublik abnimmt, dürften die Wahlberechtigten 2009 weniger sein als die durchschnittliche Zahl der Wahlberechtigten in den letzten 15 Jahren, was sich in dieser Untersuchung „zugunsten“ der Geistlichen auswirkt.
Setzt man nun die 17.907 Geistlichen ins Verhältnis zu den 62,2 Mio. Wahlberechtigten, so erhält man einen Anteil von 0,029 Prozent. Nun sollte man berücksichtigen, dass vermutlich der ganz überwiegende Teil der Sexualstraftäter männlich ist. Setzt man die Zahl der Priester ins Verhältnis zu den 30 Mio. männlichen Wahlberechtigten, so kommt man auf einen kath. Priesteranteil von 0,06%.
Zugunsten der Priester könnte man jetzt noch anführen, dass diese ja nicht gleich am 18. Geburtstag zum Priester geweiht werden. Eine kurze Stichprobe im Internet zu beliebten Geistlichen ergab, dass deren Priesterweihe meist in den 20ern erfolgte (Walter Kardinal Kasper: mit 24, Ratzinger Josef: mit 24, Ratzinger Schorsch: mit 27, Joachim Kardinal Meisner: mit ca. 29, Bischof Mixa: mit 29). Bei Bischof Müller dauerte es etwas länger, er wurde kurz nach seinem 30. Geburtstag zum Priester geweiht.
Wenn man aus der Statistik der Wahlberechtigten alle Männer unter 30 herausnimmt (was hier unrealistisch günstig für die Priester ist), kommt man auf 24,8 Mio. Daran haben die 17.907 Priester einen Anteil von 0,072 Prozent.
In der Kriminalstatistik dürften allerdings auch Nicht-Wahlberechtigte auftauchen, das könnten z.B. kriminelle Ausländer sein. Der Ausländeranteil an der Bevölkerung soll bei ca. 8,8 Prozent liegen. (Wobei die Ausländer unter den jüngeren Jahrgängen stärker vertreten sein dürften während die Priester unter den älteren Jahrgängen stärker vertreten sein dürften, das kann ich hier aber nicht berücksichtigen.)
Korrigiert man jetzt die Wahlberechtigten um den Ausländeranteil von 8,8%, so ergibt sich eine Vergleichgruppe von 27.192.982 Männern ab 30. Die 17.907 Priester haben daran einen Anteil von 0,066 Prozent.
Nun kann Pfeiffers Angabe von 0,1 Prozent alles bedeuten von 0,05 bis 1,49 Prozent. Nachdem uns Prof. Pfeiffer allerdings mit dieser Statistik beglückt hat stellt sich aber doch die Frage, ob katholische Geistliche nicht in der Statistik überrepräsentiert sind.
Das Problem ist nämlich: Einerseits könnten die 0,1 Prozent mehr oder weniger die aufgerundeten 0,066 Prozent sein. (Ich halte das aber für unwahrscheinlich, denn Pfeiffer wollte die Priester ja entlasten und hätte vermutlich den niedrigeren Wert benutzt, wenn er deutlich von den 0,1 Prozent nach unten abweichen würde.)
Andererseits: Wenn meine Abschätzung stimmt und außerdem die Priester tatsächlich zu 0,1 Prozent in der Kriminalstatistik zum sexuellen Kindesmissbrauch auftauchen, dann hieße das, dass Priester 50% häufiger verdächtigt werden, als man es aufgrund ihres Anteils an der Bevölkerung erwarten würde. Es soll Untersuchungen in den USA geben, denen zufolge Priester doppelt so häufig auffällig werden wie der Bevölkerungsdurchschnitt. (Ich habe das noch nicht konkret geprüft, es heißt auch, es gäbe keine belastbaren Untersuchungen.) Das könnte derselbe Effekt sein, der sich auch hier zeigt.
Kennt jemand die Original-Statistik? Es wäre interessant, die Dezimalstelle nach den 0,1 Prozent zu erfahren. Habe ich bei meiner Abschätzung etwas unberücksichtigt gelassen?
Update: Dank Condorcets Hinweis (unten) und etwas Googeln bin ich auf eine Meldung von Radio Vatikan gestoßen, derzufolge der Vatikan-Verantwortliche für Priester, Kardinal Claudio Hummes, sagte, etwa vier Prozent der Priester weltweit seien pädophil. (Ob damit lediglich die Veranlagung gemeint ist oder die Praxis, erfährt man leider nicht.)