Nazi-Kampagne: Wovon spricht Bischof Müller eigentlich?

23. März 2010

Update: Einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zufolge soll das Bistum Müllers Predigttext im Internet derart geändert haben, dass es dort nun heißt, wir erlebten heute „eine Kampagne gegen die Kirche“ – anstatt: „wieder eine Kampagne gegen die Kirche“. (S.u.)

Update: Die entsprechende Passage aus Müllers Predigt entsprechend der BR-Mitschrift.

Kirchenkampf 1941

Der Regensburger Bischof Müller (http://www.bischofmueller.de/) hat seiner Predigt am Samstag, 20.03.2010 im Dom zu Regensburg anlässlich der Hundertjahrfeier des Katholischen Deutschen Frauenbundes in der Diözese Regensburg zunächst auf die Rolle des Frauenbundes beim Widerstand gegen den „Kruzifix-Erlass“ der Nazionalsozialisten 1941 hingewiesen. Der Hintergrund ist folgender:

In einem Erlass des bayrischen Kultusministers Adolf  Wagner wird die Entfernung des Kreuzes aus den bayrischen Schulen angeordnet.

Wagner, seit 1923 Mitglied der NSDAP, schreibt in der Anordnung: „Gleichzeitig weise ich darauf hin, dass kirchlicher Bilderschmuck, auch wenn er künstlerischen Wert besitzen sollte, sowie Kruzifixe in der Schule am falschen Platze sind; ich ersuche daher Sorge dafür zu tragen, dass solcher Wandschmuck allmählich entfernt oder durch zeitgemäße Bilder ersetzt wird.“

Die bayrische Bevölkerung reagiert auf den Erlass mit Wut und Empörung, die sich in Unruhen, Boykotten und Demonstrationen entladen. Bauern verweigern die Milchlieferung, Eltern versperren Schuleingänge oder schicken ihre Kinder nicht mehr zum Unterricht. Die Entfernung der Kreuze kann so vielerorts verhindert werden.

Michael von Faulhaber, Kardinal von München und Freising, protestierte bei Wagner persönlich gegen dieses neue Vorgehen zur Vernichtung des Christentums im öffentlichen Leben. Am 28. August ordnet Wagner in einem Geheimerlass die Einstellung der gescheiterten Kruzifix-Aktion an. Er macht für den Fehlschlag teils die gut organisierte Gegenpropaganda der Geistlichkeit, teils die politisch falsche ­bzw. übereifrige Handlungsweise von Lehrkräften verantwortlich. [Angaben zur Quelle unten, Links im Text von mir.]

Darauf bezog sich Müller also, als er predigte:

In einer großen Krisensituation – 1941 – haben die Frauen unseres Frauenbundes in Regensburg und in Amberg gegen die damals triumfierende, nationalsozialistische Bewegung, diese neuheidnische Ideologie, christentumsfeindliche, menschenfeindliche Ideologie gewandt. Es war in unserem Bistum in Regensburg mit 1000 Personen, meist aber Frauen, und in Amberg mit 500 Teilnehmern – auch meistens Frauen -, waren es die größten, öffentlichen Demonstrationen gegen dieses nationalsozialistische Unrechtssystem. Denen mit ihrem titanischen Wollen, mit ihrem Aufbegehren gegen Gott, dem Nicht-Dienen-Wollen, Sein-Wollen wie Gott, sich selber an die Stelle Gottes setzen wollen in dieser Ideologie, war natürlich das Kreuz Jesu Christi. Jesus Christus, der für uns am Kreuz aus Liebe für und Menschen gestorben ist, ein Dorn im Auge. Darum der Erlass, alle Kreuze – Bildnisse Christi des gekreuzigten Herrn – müssen aus den öffentlichen Schulen heraus, aus allen öffentlichen Gebäuden heraus muss Christus verschwinden.

Eine große Krisensituation 1941 war für Müller also das Entfernen von Kreuzen – während der Zweite Weltkrieg tobte und die Judenverfolgung laut Wikipedia bereits folgendes Ausmaß angenommen hatte:

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Bischof Müllers Goebbels-Rede

13. Februar 2010

Bischof Müller aus Regensburg hat letzte Woche bei einem Gottesdienst aus aktuellem Anlass darauf hingewiesen, dass schon die Nazis – genauer gesagt, Obernazi Joseph Goebbels – einen Zusammenhang zwischen Zölibat und sexuellem Kindesmissbrauch hergestellt hätten. Womit er, ganz nebenbei, einen Zusammenhang herstellte zwischen der medialen Berichterstattung um die jüngst bekanntgewordenen Missbrauchsfälle und Nazi-Propaganda.

Allerdings behauptete Bischof Müller laut Predigtext, Goebbels habe diesen Zusammenhang „in seiner berühmt-berüchtigten Rede aus dem Jahr 1937 im Sportpalast“ hergestellt.

Nun ja, Müller weiß manchmal nicht, wovon er redet – er hat beispielsweise auch den Eindruck erweckt, Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke stellten in ihrem Kinderbuch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ Geistliche als Schwein dar oder Schmidt-Salomon würde Kindermord rechtfertigen.

Im vorliegenden Fall bezieht er sich offenbar auf eine Rede, die Goebbels am 28. Mai 1937 in der Berliner Deutschlandhalle gehalten hat. (Er sprach u.a. von „herdenmäßiger Unzucht“ beim Klerus.) Ein ZEIT-Artikel von 2002 liefert mehr Informationen dazu. Tatsächlich haben die Nationalsozialisten Fälle von sexuellem Missbrauch zur juristischen Verfolgung von katholischen Geistlichen benutzt (siehe Wikipedia [Update: In dieser Dissertation findet sich ab S. 61 ein ganzer Abschnitt zu den sog. „Sittlichkeitsprozessen“. Auch im SPIEGEL Archiv findet sich ein Artikel von 1971 darüber]).

Offen ist für mich noch, ob Goebbels in der Rede selbst einen Zusammenhang zwischen Zölibat und Kindesmissbrauch hergestellt hat: Das ist der Eindruck, den Müller in seinem Predigttext erweckt. In dem ZEIT-Artikel ist allerdings nur die Rede davon, dass der Völkische Beobachter „erklärte, die Sexualdelikte seien ‚die naturnotwendigen Folgen eines widernatürlichen Systems'“. Da der ZEIT-Artikel allerdings – wie Müller – gerade auf die Parallelen zwischen damals und heute anspielt, wäre dort vermutlich erwähnt, wenn Goebbels selbst diesen Zusammenhang hergestellt hätte.

Es spricht m.E. auch nicht für Müller, dass er Goebbels Sportpalastrede auf 1937 datiert. Goebbels‘ Rede ist „berühmt-berüchtigt“ (Müllers Worte), weil er darin zum totalen Krieg aufgerufen hat. Der Zweite Weltkrieg begann aber erst September 1939. Aber aus katholischer Sicht wurde Goebbels‘ Rede von 1937 sicher als „totale Kriegserklärung“ gegen die Kirche aufgefasst.

Bleibt mir an dieser Stelle nur noch anzumerken, dass es Kirchenfeindlichkeit wie diese war, die Papst Pius XI. zweieinhalb Monaten zuvor zu seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge“ veranlasst hatte – und nicht Sorge um die Juden! So beginnt die Enzyklika denn auch mit den Worten:

Ehrwürdige Brüder! Gruß und Apostolischen Segen! Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Landes und des Volkes, dem St. Bonifatius einst die Licht- und Frohbotschaft von Christus und dem Reiche Gottes gebracht hat. [Hervorhebung von mir.]


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