Erzbistum Köln: Weiterer Einsatz von Missbrauchstätern?

28. Mai 2012

Der Kölner Generalvikar Dr. Stefan Heße (Pressefoto: Erzbistum Köln)

Neulich hatte ich auf facebook anerkennende Worte für Kardinal Meisners Erzbistum Köln gefunden, nachdem evangelisch.de gemeldet hatte: „Erzbistum Köln will ‘Null Toleranz’ bei Missbrauch”.

Ich hätte natürlich wissen müssen, dass auf Artikel bei evangelisch.de kein Verlass ist. (Beispiele hier und hier.) Durch die Überschrift „eingenordet“ (und, zugegebenermaßen, durch meinen bisherigen eher guten Eindruck vom Erzbistum Köln beim Thema Missbrauch, verglichen mit anderen Bistümern), habe ich offenbar den Artikel nicht mit der üblichen Skydaddy-Aufmerksamkeit gelesen.

Ich muss mein Lob wieder zurückziehen, nachdem ich heute das dem Artikel zugrundeliegende Interview mit dem neuen Kölner Generalvikar, Stefan Heße, beim Kölner Stadtanzeiger gelesen habe. Heße war vorher Personalchef des Erzbistums. Er weiß also, ob in seinem Erzbistum wissentlich Missbrauchstäter weiter eingesetzt werden oder nicht.

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Bistum Hildesheim: Schöne, leere Worte

13. Januar 2012

Dieser Artikel ist die Fortsetzung von Bistum Hildesheim: Wissentlicher Einsatz von Sexualtätern 1993-2009.

Werner Holst, Personaldezernent des Bistums Hildesheim von 1984 bis 2006, war bekannt für seine „klaren und offenen Worte“ zum Thema „sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche“.

Seit den Enthüllungen des Missbrauchsskandals 2010 können Holsts Worte mit seinem Handeln verglichen werden. Der Vergleich fällt nicht schmeichelhaft aus. 

Werner Holst war von 1984 bis 2006 Hauptabteilungsleiter Personal/Seelsorge beim Bistum Hildesheim, fast 22 Jahre lang. 1993 erfuhr das Bistum von einem Missbrauch durch Peter R., daraufhin wurde R. die Jugendarbeit verboten. Allerdings wurde das Verbot in der Folge nicht eingehalten.

Mit diesem Hintergrundwissen – das allerdings erst im Zuge des Missbrauchsskandals 2010 ans Licht kam – solle man noch einmal ein Interview lesen, dass Holst im Juli 2002 der bischöflichen Pressestelle gab. Darin plädierte er „für ein deutlicheres Vorgehen bei sexuellem Missbrauch durch Geistliche” und erklärte unter anderem:

Pressestelle: Denken Sie aus heutiger Sicht, dass in allen Fällen immer genug getan wurde?

Holst: Es wurde sicher zu wenig getan. Damals hätten wir sofort die Staatsanwaltschaft hinzuziehen müssen. Das haben wir nicht getan. Außerdem hätten wir den Täter in eine Therapie schicken müssen. Auch das unterblieb leider. Wir haben uns zwar um die Opfer gekümmert. Aber auch ich dachte damals, wenn man die Täter in ein Kloster bringt, wo sie Buße tun, sei das genug. Das war falsch.

Zu diesem Zeitpunkt war Peter R. – neun Jahre, nachdem das Bistum von seinem Missbrauch erfahren hatte – immer noch als Gemeindepfarrer mit Kindern und Jugendlichen tätig, die Auflage, nicht mehr mit Kindern zu arbeiten, wurde nicht eingehalten. Weder hatte Holst die Staatsanwaltschaft hinzugezogen, noch den Täter in eine Therapie geschickt.

Man kann es nicht anders formulieren: Holsts Einsicht war offenbar nur vorgespielt.

Vertuschen, Wegschieben und Verdrängen

Später im Interview sagte Holst (Hervorhebungen im Text von mir.):

Pressestelle: Welche Strategie verfolgt das Bistum Hildesheim heute in Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester?

Holst: Der Schutz des Opfers hat für uns den absoluten Vorrang! Wenn ein Verdacht besteht, leiten wir sofort eine Untersuchung ein. Das setzt natürlich eine sorgfältige Recherche voraus, denn für den Angeschuldigten gilt zunächst die Unschuldsvermutung. Steht die Schuld fest, muss sofort gehandelt werden. Wir bestehen darauf, dass sich der Täter selbst anzeigt oder eine Anzeige durch Dritte erfolgt. Der betroffene Priester muss sich den strafrechtlichen Konsequenzen seines Verhaltens stellen. Das weitere Vorgehen ist dann individuell verschieden. Unter Umständen macht der Betroffene außerhalb des Bistums eine Therapie. Parallel dazu helfen wir den Opfern und natürlich auch deren Angehörigen. Außerdem muss die Gemeinde informiert werden. Wir möchten den Gemeindemitgliedern helfen, mit dieser Nachricht fertig zu werden. Wenn ein auffällig gewordener Geistlicher wieder in den priesterlichen Dienst zurück kehrt, darf er auf keinen Fall mehr Kontakt zu Kindern haben. Aber selbst dann muss er in therapeutischer Begleitung bleiben. Dadurch ist eine gewisse Überwachung gegeben. Vertuschen, Wegschieben und Verdrängen, das darf nicht sein.

Holst beschrieb hier genau das Gegenteil dessen, wie er im Fall R. verfahren war: es erfolgte keine Anzeige, der Priester musste sich nicht den strafrechtlichen Konsequenzen seines Verhaltens stellen, er hat keine Therapie gemacht, die Gemeinden, in denen er später eingesetzt wurde, waren nicht über die Thematik informiert. Und R. hatte wieder Kontankt zu Minderjährigen.

War der Fall R. nur ein Ausrutscher? Keineswegs – als das Bistum im Jahr darauf erfuhr, dass der Celler Dechant Hermann S. (s.o.) 1995 ein Kind missbraucht hatte, gab es ebenfalls keine Anzeige (angeblich auf Wunsch der Eltern), aber auch (während Holsts Amtszeit) offenbar keine Therapie, die Gemeinde wurde wieder nicht informiert, Auflagen wurden offenbar (während Holsts Amtszeit) auch nicht gemacht.

Mehrere Medien breichteten damals, dass Holst sich in dem Interview für ein gemeinsames Vorgehen der deutschen Bischöfe ausgesprochen hatte:

Pressestelle: Bislang haben die deutschen Bistümer das Thema des sexuellen Missbrauchs durch ihre Priester jeweils bistumsintern geregelt. War das richtig?

Holst: Es ist sicher nötig, dass die deutschen Bistümer eine gemeinsame Strategie entwickeln. Nur in einem größeren Zusammenhang können wir die nötige Koordination und Transparenz erreichen, um das Problem des sexuellen Missbrauchs offensiv anzugehen.

Aber: Nachdem die deutschen Bischöfe im September 2002 ihre „Leitlinien zum sexuellen Missbrauch” verabschiedet hatten, ignorierte sie Holst (entgegen der Leitlinien wurden R. und S. weiter „in Bereichen eingesetzt, die sie mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung” brachten), und während Holsts Amtszteit wurden auch nie Ausführungsbestimmungen zu den Leitlinien erlassen.

Ebenfalls 2002 erschienen mindestens drei Interviews mit dem bekennenden Pädophilen Pfarrer Klaus J. (s.o.), auch für Fernsehaufnahmen standen Holst und J. zur Verfügung. Im September 2002 war Holst zu Gast in der Sendung „B. trifft”. Die bischöfliche Pressestelle meldete hierzu: „Domkapitular Werner Holst hat in den vergangenen Monaten bei verschiedenen Gelegenheiten sehr klar und offen zum Thema sexueller Missbrauch in der Kirche Stellung bezogen.”

„Große Lernbereitschaft“

Auch im Jahr 2004 – nach der Entpflichtung von Peter R. („aus gesundheitlichen Gründen“), aber mit dem Wissen, dass Hermann S. trotz seines Missbrauchs weiter in Celle als Dechant arbeitete – stand Holst mit J. wieder für Fernsehaufnahmen bereit. Die bischöfliche Pressestelle berichtete, Holst habe gegenüber einem SWR-Fernsehteam eine „große Lernbereitschaft des Bistums in Bezug auf pädophile Seelsorger” betont. Die Pressestelle meldete weiter, das Bistum sei dem SWR in dieser Frage als „als besonders offen” empfohlen worden. Klaus J. „bescheinigte dem Bistum und seinen Verantwortlichen, in seinem Falle das Richtige getan zu haben.” – Man berücksichtige hierbei, dass J. nach dem einschlägigen Vorfall als Kaplan während der 1960er Jahre (s.o.) noch Jahrzehnte lang ungehindert weiter mit Kindern tätig sein durfte, u.a. als Religionslehrer.

Erneut musste die Öffentlichkeit glauben: Ein Bistum, das einen Pfarrer schon wegen dem Besitz von Kinderpornos beurlaubt, zur Therapie schickt und später nicht mehr mit Kindern einsetzt, wird wohl erst recht keinen „richtigen” Kinderschänder ohne Auflagen weiter in einer Gemeinde belassen. Genaus das war aber zu diesem Zeitpunkt in Celle bei Hermann S. der Fall.

„… gemäß der verbindlichen Leitlinien“

Die Leitlinien der Bischofskonferenz wurden also ignoriert. Ein Jahr später wurde allerdings bekannt, dass ausgerechnet der Medienbeauftragte des Bistums, Monsignore Wolfgang F., zwanzig Jahre zuvor einen Jugendlichen missbraucht hatte. Der Therapeut des Opfers hatte sich an das Bistum gewandt. Hier ließ sich offenbar nichts mehr verheimlichen. Die Tat war zwar inzwischen juristisch verjährt, das Bistum beurlaubte den Pfarrer dennoch – Monate, nachdem der Therapeut sich an das Bistum gewandt hatte. Die bischöfliche Pressestelle meldete:

Domkapitular Werner Holst bedauert diese Entwicklung zutiefst. Nach dem, was vorgefallen sei, habe es gemäß der verbindlichen Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz jedoch zur Entpflichtung und Beurlaubung keine Alternative gegeben.

Diese Erklärung des bischöflichen Personaldezernenten musste bei der Öffentlichkeit natürlich den Eindruck erwecken, das Bistum hielte sich akribisch an die“verbindlichen Leitlinien“.

Die WELT zitierte Domkapitular Holst mit den Worten „Sexueller Mißbrauch von Kindern gleicht einem Seelenmord.” Bistumssprecher Lukas erklärte: “Sollte der Pfarrer je wieder in den priesterlichen Dienst zurückkehren, würde er nur Aufgaben übernehmen, bei der eine Wiederholungsgefahr auszuschließen ist.”

Ab März 2007 wurde Monsignore F. dann wieder eingesetzt: als seelsorgerlicher Mitarbeiter in einem Pastoralverbund und als Krankenhausseelsorger – im Bistum Paderborn.

Dieser „Deal” mit dem Bistum Paderborn fiel aber schon nicht mehr in Holsts Zeit als Personalverantwortlicher. Ab dem 1. Oktober 2006 war dafür Heinz-Günter Bongartz zuständig.

Dieser Artikel wird fortgesetzt.


Bistum Hildesheim: Wissentlicher Einsatz von Sexualtätern 1993-2009

13. Januar 2012

Wie kann ein pädophiler Pfarrer jahrelang mit seinen Opfern verreisen, sie bei sich übernachten lassen und ihnen teure Geschenke machen? Wie kann es sein, dass seine Vorgesetzten wussten, dass der Pfarrer mit einem Jungen im Urlaub war und mit ihm im selben Bett übernachtet hatte, ohne dass sie Verdacht schöpften, ein psychiatrisches Gutachten einholten oder dem Pfarrer zumindest untersagten, weiter mit Kindern zu verreisen oder sie bei sich übernachten zu lassen?

Wer sich angesichts des Verfahrens gegen den Priester Andreas L. aus dem Bistum Hildesheim diese Fragen stellt, wird sich auch für das Verhalten des Bistums seit 2002 interessieren, als die Deutsche Bischofskonferenz ihre „Leitlinien zum sexuellen Missbrauch“ verabschiedete. Im März 2002 wurde Dr. Michael Lukas Pressesprecher des Bistums Hildesheim, und seitdem erwarb sich das Bistum schnell den Ruf, in Missbrauchsfragen besonders fortschrittlich und offen zu sein. Seit dem Missbrauchsskandal von 2010 ist es allerdings möglich, die damaligen schönen Worte dem tatsächlichen Verhalten der Bistumsleitung gegenüber zu stellen. Dabei kommt man zu folgenden Ergebnissen:

Einsatz von Sexualtätern

Das Bistum Hildesheim hat von 1993 bis Ende 2009 fast durchgängig Priester als Gemeindepfarrer mit Kindern und Jugendlichen arbeiten lassen, ob wohl es von sexuellem Missbrauch durch die betreffenden Priester wusste. Ab 2002 stand deren Einsatz im Gegensatz zu den Leitlinien der Deutschen Bischofskonfrenz, ab 2006 lag die Verantwortung hierfür bei der jetzigen Bistumsleitung: Bischof Norbert Trelle und Personaldezernent Heinz-Günter Bongartz.

Peter R., einer der beiden Haupttäter aus dem Berliner Canisius-Kolleg, war von 1982 bis 2003 im Bistum Hildesheim tätig, das ihn 1995 von den Jesuiten übernahm, obwohl es spätestens seit 1993 von einem Missbrauch durch R. wusste. Nach neuerlichen Vorwürfen wurde R. 1997 zunächst nach Wolfsburg, später nach Hannover-Mühlenberg versetzt, wo er mehrtägige Reisen mit Jugendlichen unternehmen durfte. Die Gemeinden wurden nicht über R.‘s „besondere Problematik“ informiert.

Hermann S., den das Bistum weiterhin als Gemeindepfarrer in Celle-Vorwerk beließ, obwohl es 2003 erfuhr, dass er 1995 einen 12-Jährigen missbraucht hatte. Nach erneuten Vorwürfen 2006 wurde S. aus Celle abgezogen. Von Oktober 2007 bis zum 30. November 2009 – acht Wochen vor dem Missbrauchsskandal 2010 – setzte das Bistum S. als Pfarrer für drei Dörfer im Eichsfeld ein.

Rudolf A. wurde nach einem Missbrauch und anschließender Therapie zwar nicht mehr als Gemeindeleiter eingesetzt, wurde aber in Göttingen mit der Krankenhausseelsorge und Seelsorge in mehreren Gemeinden betraut. Nachdem darüber im Zuge des Missbrauchsskandals berichtet wurde, beurlaubte das Bistum A. zunächst und schickte ihn etwas später in den Vorruhestand. Trotzdem war A. ausweislich eines Pfarrbriefs noch am 7. August 2010 für einen Einschulungsgottesdienst vorgesehen.

Klaus J., ein bekennender Pädophiler, dem man nach eigener Aussage „von Kindern fernhalten muss“, wurde offenbar 1997 noch während seiner Therapie mit Auflagen wieder als Subsidiar (Unterstützungskraft) in einer Gemeinde eingesetzt. Er wohnte dort im Pfarrhaus. Seit 2009 im Ruhestand, ist er noch heute auf der Website der Gemeinde als Unterstützer des Pfarrteams aufgelistet. Bereits in den 60er Jahren war J. als Kaplan zu einem Bußgeld verurteilt worden, nachdem er versucht hatte, Nacktfotos von 13- und 14-Jährigen zu machen. Das Bistum zog ihn daraufhin zwar für einige Monate aus dem Verkehr, danach war J. allerdings 30 Jahre lang in allen erdenklichen Positionen mit Kindern und Jugendlichen tätig – bis 1995 die Pfarrsekretärin bei ihm einen Stapel Kinderpornos fand. Kindesmissbrauch im eigentlichen Sinne hat J. laut eigener Aussage nie begangen.

Gerd E. war über 30 Jahre lang Pfarrer in Wolfsburg. 2010 kam heraus, dass er vor 30 Jahren einen Jugendlichen missbrauchte. Das Bistum will erst 2010 von dem Missbrauch erfahren haben. Allerdings hatte E. zwischenzeitlich eine Therapie gemacht, es besteht also die Möglichkeit, dass das Bistum zumindest von seinen Neigungen gewusst hat. Bistums-Pressesprecher Dr. Lukas teilte mir hierzu mit:

Das Bistum hat erst im Jahr 2010 vom sexuellen Missbrauch durch Pfarrer [E.] erfahren. Alle von ihm wahrgenommenen therapeutischen Hilfen konnten seitens des Bistums darum überhaupt nicht in irgendeinen Zusammenhang von Missbrauch gebracht werden.

Mit dem Missbrauch vielleicht nicht – aber wenn das Bistum (und/oder der Montfortaner-Orden, dem E. angehört) wusste, dass sich E. einer Sexualtherapie unterzog, hätte es den Priester zumindest nicht mehr an einer Grundschule einsetzen und ihm die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verbieten sollen.

Dieser Artikel wird fortgesetzt: Bistum Hildesheim: Schöne, leere Worte.


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