
Prof. Christian Pfeiffer, der von den deutschen Bischöfen mit einer Untersuchung beauftragt wurde, u.a. Einflussfaktoren zum sexuellen Missbrauch zu erfassen, zeigt sich geradezu sträflich blind für offensichtliche Zusammenhänge, die er selbst erläutert.
Die deutschen Bischöfe haben Forschungsprojekte zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Bereich der deutschen Diözesen in Auftrag gegeben – „ehrliche Aufklärung, frei von falscher Rücksichtnahme” durch „unabhängige Experten“.
Ich hatte ja neulich schon darauf hingewiesen, dass die drei federführenden Experten – Prof. Norbert Leygraf, Prof. Christian Pfeiffer und Prof. Hans-Ludwig Kröber – in der Vergangenheit mit Statements an die Öffentlichkeit getreten sind, die den Eindruck erwecken, dass diese Herren zugunsten der Kirche auch mal die intellektuelle Redlichkeit hintanstellen.
Anlässlich des jetzt bekannt gewordenen Falls des Pfarrers Andreas L. aus Salzgitter, der in den letzten Jahren mindestens drei Jugendliche missbraucht hat, hat Prof. Pfeiffer jetzt noch einmal nachgelegt und unter Beweis gestellt, dass er zugunsten der katholischen Kirche durchaus auch das Gegenteil des Offensichtlichen insinuiert. Pfeiffers 90 Sekunden-Auftritt im NDR vom 18. Juli 2011 muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Vor dem großen Finale allerdings ein paar Anmerkungen am Rande:
Pfeiffer hatte zugunsten der Kirche ja letztes Jahr schon darauf hingewiesen, dass nur 0,1 Prozent der seit 1995 des Missbrauchs Beschuldigten Priester seien. In dem besagten NDR-Interview liefert ihm die Moderatorin nicht nur eine Steilvorlage, um diesen Sachverhalt noch einmal zu wiederholen – sie weist auch gleich noch einmal selbst darauf hin, dass der Großteil der Beschuldigten keine Priester seien:
Moderatorin: Nun hört man ja viel von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche – wie häufig sind diese Fälle eigentlich, auf den gesamten Missbrauch sozusagen gesehen?
Prof. Christian Pfeiffer: In den letzten 15 Jahren ganze 0,1 Prozent aller bekannt gewordenen Fälle sind Priestern zuzurechnen. Es mag sein, dass die seltener angezeigt werden, von daher machen wir ja diese Riesenforschung – um rauszufinden, wie es im Dunkelfeld der nicht angezeigten Fälle aussieht. Aber trotzdem: Es würde mich überraschen, wenn der Anteil der Priester über 1 Prozent läge.
Moderatorin: Das heißt also 99 Prozent werden tatsächlich woanders begangen?
Prof. Christian Pfeiffer: Richtig. Aber die Bevölkerung glaubt, jeder dritte Fall ist ein Priester – weil es uns so entsetzt, und weil dann intensiv berichtet wird. Dadurch entsteht der falsche Eindruck, die Kirche würde einen ganz großen Anteil des Missbrauchs zu verantworten haben – was sicherlich nicht stimmt.
Wieder blendet Prof. Pfeiffer den Umstand aus, dass der Anteil der Priester an der in Frage kommenden Bevölkerungsgruppe unter 0,1 Prozent liegen dürfte und Priester somit im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil überproportional stark in der Statistik vertreten sind. Ich hatte ja letztes Jahr einen Priesteranteil von 0,066 Prozent geschätzt, was bedeutet, dass Priester 1,5 mal häufiger verdächtigt werden, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Bei einem Anteil von 1 Prozent an den Tätern, wie Pfeiffer ihn als Obergrenze nennt, wären sie sogar 15 mal häufiger übergriffig, als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde.
Das besondere öffentliche Interesse an den Priestern ist also durchaus berechtigt. Für besorgte Eltern kommt noch hinzu, dass die Frage, ob man sein Kind einem Geistlichen oder einer kirchlichen Einrichtung anvertraut, selbst entschieden werden kann und deshalb von größerem Interesse ist als der Großteil der Missbräuche, die in der Familie vorkommen und denen deshalb nicht so einfach vorgebeugt werden kann wie einem Missbrauch durch Geistliche.
Im Einklang mit den übrigen Kirchen-Fürsprechern ignoriert Prof. Pfeiffer auch, dass die öffentliche Empörung über die Missbräuche gerade in kirchlichen Einrichtungen wohl weniger die Missbräuche selbst betrifft als vielmehr den Umstand, dass die katholische Kirche damit jahrzehntelang und weltweit äußerst nachlässig umgegangen ist – gelinde gesagt.
Pfeiffer sagt aber auch etwas (für deutsche Verhältnisse) Neues:
Moderatorin: Gibt es eigentlich Strukturen in der katholischen Kirche, die diese Fälle forcieren – also die das begünstigen?
Prof. Christian Pfeiffer: Möglicherweise hat früher Zölibat eine gewichtige Rolle gespielt, aber in den USA haben wir einen Rückgang auf ein Viertel des früheren Umfangs, obwohl Zölibat unverändert weiter gegolten hat, weil in der Gesellschaft Liberalität im Umgang mit Sexualität immer ausgeprägter ist, und dann muss man sich nicht mehr an Kindern vergreifen, wenn man schon gegen Zölibat verstoßen will.
Pfeiffer zufolge ist also der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen deshalb massiv zurückgegangen, weil es den Priestern durch die zunehmende Liberalisierung heute möglich sei, mit Erwachsenen Sex zu haben. (Soll wohl heißen: Es stört sich heute keiner mehr daran, wenn ein Priester eine Geliebte oder einen Geliebten hat – sofern er das nicht an die große Glocke hängt.) Anders ausgedrückt: Der Zölibat ist kein Problem, wenn man ihn nicht ernst nimmt. Daraus kann man aber nur den Schluss ziehen, dass der Zölibat eben doch massiv zum Missbrauch von Kindern beigetragen hat. (In Pfeiffers Worten: „Möglicherweise früher“.) Glaubt Prof. Pfeiffer, dass sich heute kein Priester mehr „ersatzweise“ an Kindern vergreift? Ab wie vielen „ersatzweise“ missbrauchten Kindern würde Prof. Pfeiffer den Zölibat als problematisch sehen? 10? 100? 1000?
Pfeiffers Aussage ist schon allein deshalb infam, weil die sexuelle Liberalisierung wohl in erster Linie in westlichen Ländern stattgefunden haben dürfte. Ich nehme mal an, in osteuropäischen, asiatischen und afrikanischen Ländern dürfte die von Pfeiffer angesprochene Liberalität noch deutlich hinterherhinken, was Pfeiffers eigener Statistik zufolge mit einem erhöhten „ersatzweisen“ Kindesmissbrauch einhergehen dürfte – und zwar heute noch!
Für deutsche Eltern ist dies auch deshalb von Interesse, weil der Anteil ausländischer Priester in deutschen Diözesen bereits bis zu 15 Prozent beträgt. Da mindestens die Hälfte der deutschen Priester über 60 Jahre alt sein dürfte und die ausländischen Priester jünger, dürfte der Anteil der ausländischen Priester in der normalen Gemeindearbeit bis zu einem Drittel betragen. Davon kommt fast ein Drittel aus Indien, ein weiteres Viertel aus Polen, 10 Prozent aus Afrika. Ob die von Prof. Pfeiffer angeführte „Liberalität im Umgang mit Sexualität“ dort auch schon so weit fortgeschritten ist?
Derlei Spekulationen sind allerdings müßig, denn Prof. Pfeiffer hatte sich zuvor bereits selbst widerlegt. Unmittelbar vor dem obigen Austausch sagte er nämlich folgendes:
Moderatorin: Herr Pfeiffer, jetzt kommen ja noch aktuelle Fälle dazu. Ist jetzt dieser Fall typisch?
Prof. Christian Pfeiffer: Er ist insoweit nicht typisch, als die meisten Täter, die im letzten Jahr bekannt geworden sind, sich eher ersatzweise an den Kindern vergriffen haben, nicht unbedingt Pädophile sind. Nach allem, was wir bisher wissen. Und hier scheint es sich doch klar um jemanden zu handeln, der fixiert ist auf Kinder.
Mit anderen Worten: Prof. Pfeiffer zufolge waren die meisten Täter, die im letzten Jahr bekannt geworden sind, gar nicht auf Kinder fixiert, sondern haben sich ersatzweise an ihnen vergriffen. Das steht aber in direktem Gegensatz zu seinem Statement gleich darauf, wo er sagt:
„[Heute] muss man sich nicht mehr an Kindern vergreifen, wenn man schon gegen Zölibat verstoßen will.“
Aus dem von Prof. Pfeiffer angeführten Rückgang des Kindesmissbrauchs im Zuge der sexuellen Liberalisierung in den USA ergibt sich, dass der Zölibat tatsächlich ersatzweisen Missbrauch fördert, und dementsprechend in Ländern, die weniger liberal sind, nach wie vor zu Kindesmissbräuchen führen dürfte. Und Pfeiffer sagt selbst, dass die meisten Täter sich ersatzweise an Kindern vergriffen haben. Trotzdem antwortet er auf die Frage nach missbrauchsfördernden Strukturen in der katholischen Kirche:
Möglicherweise hat früher Zölibat eine gewichtige Rolle gespielt, aber […] weil in der Gesellschaft Liberalität im Umgang mit Sexualität immer ausgeprägter ist, […] muss man sich nicht mehr an Kindern vergreifen, wenn man schon gegen Zölibat verstoßen will.
Drei Fragen, drei Antworten:
- Pädophilie ist „nicht typisch“ für Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche
- Der Zölibat ist (zumindest heute) kein Grund mehr für Missbrauch
- Der Anteil der Priester an der Gesamtzahl der Täter ist verschwindend gering
Das hätte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz auch nicht besser vermitteln können. Das Problem ist nur:
- Punkt eins ist reine Wortklauberei: Welche Unterschied macht es, ob ein Kind von einem Pädophilen oder „nur ersatzweise“ missbraucht wird?
- Punkt zwei dürfte schlicht und ergreifend falsch sein – Pfeiffers eigenen Informationen zufolge.
- Punkt drei übersieht geflissentlich, dass Priester vermutlich überdurchschnittlich oft auffällig werden.
Das ist der „Experte“, der das Forschungsprojekt „Der sexuelle Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ leiten soll. Unter anderem mit dem Ziel „die Bedeutung der Einflussfaktoren zu erfassen, die ihre Taten gefördert haben.“
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Hier das von mir transkribierte Interview:
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