Bertelsmann-Studie: Konfessionslose krimineller?

12. November 2010

Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie „Unzureichende Bildung: Folgekosten durch Kriminalität“ vorgestellt, die Verfasser sind Prof. Dr. Horst Entorf und Philip Sieger. In der Studie wird Konfessionslosigkeit als eine Ursache von Kriminalität dargestellt:

Individuelle und familiäre Faktoren, wie Vorstrafen im Elternhaus oder Konfessionslosigkeit, haben einen signifikanten Einfluss auf kriminelles Verhalten – das zeigt auch die vorliegende Studie. [S. 6]

Etwas überraschend ist der über alle Spezifikationen hinweg festgestellte kriminogene Einfluss der Konfessionslosigkeit. Alternative Schätzungen (ohne Dokumentation in den Tabellen) zeigen gleichzeitig, dass bei Mitgliedern der christlichen Kirchen eine messbar geringere Kriminalität feststellbar ist. Das Resultat bestätigt ähnliche Erkenntnisse in der kriminologischen Literatur (siehe dazu z.B. Kerner 2005). Es kann vermutet werden, dass die (Nicht-)Mitgliedschaft in einer Amtskirche ein Indikator für ein (fehlendes) moralisches Verhalten ist, dass durch die anderen Variablen des Schätzmodells nicht abgedeckt wird. [S. 29, Hervorhebung durch mich.]

Dem festgestellten Zusammenhang zwischen Kirchenmitgliedschaft und Kriminalität dürfte in Wirklichkeit der „Stadt-Land-Gegensatz“ zugrunde liegen. In der Anonymität einer Großstadt ist es leichter, Verbrechen zu begehen. Es ist aber auch leichter, aus der Kirche auszutreten.


Spürbarer Einfluss der „Neuen Atheisten“?

29. November 2009

Als ich mir neulich die Kirchenaustrittsstatistiken ansah, fiel mir folgendes auf: Seit Anfang der 1990er Jahre sind die Kirchenaustritte bis 2006 ziemlich kontinuierlich zurückgegangen. 2007 stiegen die Austrittszahlen dann wieder an (um ca. 9%), und 2008 schossen sie dann quasi noch einmal um weitere 25% in die Höhe. Wie ist das zu erklären?

Nun, 2007 könnte die Erhöhung der Mehrwertsteuer für manchen ein Anlass gewesen sein, aus der Kirche auszutreten, um wenigstens bei der Kirchensteuer zu sparen. Was aber erklärt den starken Anstieg in 2008? (2009 dürften die Austrittszahlen auf einem ähnlichen Niveau liegen, d.h. kein weiterer Anstieg.)

Die einzige Erklärung, die mir bisher dazu in den Sinn kam, ist der Umstand, dass Ende 2007 die Bücher der drei bekanntesten „Neuen Atheisten“ auf den deutschen Markt kamen: Im September „Der Gotteswahn“ von Richard Dawkins und „Das Ende des Glaubens“ von Sam Harris, und im Oktober „Der Herr ist kein Hirte“ von Christopher Hitchens. Diesen wurde ja beachtliche Aufmerksamkeit zuteil, die sich u.a. in zahllosen „Gegen-Büchern“, aber auch Fernsehdiskussionen niederschlug, vom Internet ganz zu schweigen.

Papst Benedikt XVI. ist ja auch immer gut darin, Anlässe für Kirchenaustritte zu liefern, aber seine Entscheidung bzgl. der Pius-Brüder schlug erst dieses Jahr Wellen – also 2009.

Damit besteht meine einzige Erklärung für den deutlichen Anstieg der Kirchenaustritte ab 2008 in der Diskussion um die „Neuen Atheisten“. Damit meine ich nicht nur die Bücher, sondern natürlich auch die Diskussion darum, Internet-Aktivitäten, nicht zuletzt auch Arbeit der Giordano-Bruno-Stiftung. Es würde auch erklären, weshalb der „Hauptgegner“ der Kirchen nunmehr der Atheismus zu sein scheint, während dieser noch vor zehn, zwanzig Jahren kaum beachtet wurde und stattdessen „Sekten“ von den Kirchen als „Buhmann“ aufgebaut wurden.

Kennt jemand eine andere Erklärung für den Anstieg der Kirchenaustritte in 2008?


Kircheneintritte: Kein Grund zum Jubel

27. November 2009

In einem Umfeld beständig sinkender Mitgliederzahlen, einbrechender Kirchensteuereinnahmen und Kirchenschließungen hat die EKD diese Woche einen Aufwärtstrend bei den Eintritten verkündet. Heute will die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hierzu eine Studie mit dem Titel „Schön, dass Sie (wieder) da sind!“ vorstellen.

Erfreulicherweise haben nicht alle Medien die Jubelschlagzeile „Evangelische Kirche verzeichnet 60.000 Eintritte neuer Mitglieder“ des Evangelischen Pressedienstes epd übernommen. Sie ist zwar technisch richtig, aber dennoch irreführend, denn die Gesamtmitgliederzahl der beiden Großkirchen sinkt bekanntermaßen stetig. So titelte z.B. Der Westen: „Für jeden Kircheneintritt treten zwei andere Mitglieder aus„. Das kommt der Wahrheit schon näher.

Wiedereintritt per „Rasterfahndung“?

Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die gemeldeten 60.000 „neuen Mitglieder“ pro Jahr etwa 5.000 (also fast 10%) „Zwangs-Wiedereingegliederte“ beinhalten dürften, die mit Hilfe einer „Rasterfahndung“ ermittelt wurden und keinen Nachweis über ihren Kirchenaustritt mehr erbringen konnten. Der HVD hat erst letzte Woche wieder einen Verzicht auf diese Praktik gefordert. Wahrlich kein Grund für die EKD, stolz zu sein.

Die 60.000 beinhalten zudem diejenigen, die in die Kirche eintreten, weil sie eine Anstellung bei einer evangelischen Einrichtung anstreben oder haben.

Wiedereintritt „auf Zeit“ zwecks Eheschließung

Auch Formulierungen bzw. Interpretationen wie „Danach kehrt fast jeder zweite Protestant nach einem Austritt in die Kirche zurück“ sind mit äußerster Vorsicht zu genießen. Es ist nämlich keineswegs immer so, dass der Eintritt auf den Austritt folgt. Es gibt durchaus Menschen, die „zeitweise“ wieder Kirchenmitglied werden, z.B. um kirchlich zu heiraten. Und dann wieder austreten. Das „bläht“ die Statistik auf mit je einem Ein- und einem Austritt, ohne dass sich an der Nettozahl etwas ändert.

Im Übrigen ist eine Selbstverständlichkeit, dass, je mehr Leute aus der Kirche ausgetreten sind, auch mehr Leute wieder eintreten. Das „Win-back-Potential“ ist ja größer. 

Ein sicheres Mittel zur Senkung der Kirchenaustritte: Verzicht auf die Säuglingstaufe

Margot Käßmann hat angekündigt, die Problematik der Kirchenaustritte zu einem Schwerpunkt ihrer Amtszeit machen. Ein sehr einfaches Mittel zur Senkung der Kirchenaustritte dürfte der Verzicht auf die ungefragte Zwangsmitgliedschaft per Säuglingstaufe sein. Wer gar nicht erst ungefragt zum Mitglied gemacht wird, der braucht später auch nicht auszutreten. Umgekehrt gilt: Wer die Menschen ungefragt zu Mitgliedern macht, der darf sich über hohe Austrittszahlen nicht wundern. Das ist aber nicht Käßmanns Strategie: Sie setzt auf Kindertagesstätten, Eltern, die christlich erziehen, und auf evangelische Schulen.


HVD Berlin an an Bischof Dröge: Keine „Rasterfahndung“ mehr nach „Kirchensteuerflüchtigen“

16. November 2009

Der  Landesverband Berlin des Humanistischen Verbands Deutschland (HVD) hat Markus Dröge zu seiner Wahl zum Bischof der Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz gratuliert und dabei erneut eine Beendigung des „Kirchensteuerstreits“ gefordert:

Darüber hinaus möchte der HVD Berlin Bischof Dröge dazu aufrufen, die in der Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz praktizierte Suche nach ehemaligen Kirchenmitgliedern bzw. „Kirchensteuerflüchtigen“ einzustellen. Personen, die keine Kirchensteuer zahlen, in der Regel in den neuen Bundesländern geboren sind oder dort wohnen und von denen nach 1990 keine ausgestellte Kirchenaustrittserklärung vorliegt, werden über ein Schreiben des Finanzamts gebeten, ihren Kirchenaustritt zu belegen. Können Sie kein rechtsgültiges Austrittsdokument vorlegen, wird Kirchensteuer verlangt, teilweise rückwirkend, soweit finanzrechtlich zulässig. Auf diese Weise findet die Kirche nach Informationen des Humanistischen Verbandes jährlich ca. 5.000 Personen, die ihr Leben selbstbestimmt außerhalb der Kirche entwickelt haben. Klagen dieser Menschen scheitern meist an dem Fehlen einer rechtsgültigen Austrittserklärung. In diesem Zusammenhang erinnert der HVD Berlin an die Forderung einer „Weihnachtsamnestie im Kirchensteuerstreit“ aus dem Dezember 2004. [Hervorhebung von mir.]

Mehr dazu beim Humanistischen Pressedienst (hpd): „Rasterfahndung nach Kirchensteuerflüchtigen„.


Ein Drittel Konfessionslose im Bundestag?

14. November 2009

Tammox wies vor einiger Zeit in Olylys Blog auf eine Meldung des Hamburger Abendblattes zur Zusammensetzung des neu gewählten Bundestags hin. Zitat:

Gestiegen ist der Anteil der konfessionslosen Abgeordneten. Im Bundestag sitzen jetzt 247 statt bisher 182 Abgeordnete ohne Konfessionszugehörigkeit. Die Zahl der evangelischen Abgeordneten sinkt von 242 auf 193. Der katholischen Kirche gehören 176 Abgeordnete an. Im vorigen Bundestag waren es 182. Es gibt außerdem sechs Muslime, zwei mehr, als es bisher waren. [Hervorhebung von mir.]

Heißt das, dass 247 von 622 Bundestagsabgebordneten konfessionslos sind? Das hieße ja, dass wir entsprechend unserem Anteil an der Bevölkerung repräsentiert wären!

Das erschien mir dann doch zu schön um wahr zu sein. Immerhin sind selbst die Ministerpräsidentin und -präsidenten in den neuen Bundesländern (wo der Anteil der Konfessionslosen überall mindestens zwei Drittel beträgt) durchweg Christen.

Die Lösung liegt darin, dass die Mitglieder des Bundestags natürlich keine Angabe zur Religion machen müssen. Eine Aufschlüsselung zum vorherigen Deutschen Bundestag verrät: damals haben 26 Abgeordnete zur Konfession „konfessionslos“ angegeben, 189 machten keine Angabe. Der Anteil der „bekennenden“ Konfessionslosen war also nur etwa 4 Prozent! Daran dürfte sich auch beim neuen Bundestag wenig geändert haben.

Unter den Abgeordneten ohne Angabe dürften durchaus auch Kirchenmitglieder sein. Gerade christliche Politiker in den überwiegend „konfessionslosen“ Bundesländern, aber auch z.B. evangelische Politiker in katholischen Gegenden könnten es vorziehen, keine Angabe zu machen. Als ich kürzlich versuchte, die Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit der Regierungschefs in den Bundesländern zu bestimmen, gestaltete sich dies teilweise durchaus schwierig, weil diese Angabe – ich beanstande dies nicht! – auf offiziellen Seiten nicht zu finden war.


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