103% der Rekruten beim Gelöbnisgottesdienst

16. März 2011

Wieder einmal ist von einem Bundeswehr-Gelöbnis zu lesen, bei dem ein bemerkenswert hoher Anteil der Rekruten am Gelöbnisgottesdienst teilgenommen hat. Der Bundeswehr zufolge haben bei einem Gelöbnis in Westheim (Rheinland-Pfalz) am 17. Februar 2011 291 Rekruten teilgenommen. Der Militärseelsorge zufolge sollen „rund 300“ Rekruten am Gelöbnisgottesdienst teilgenommen haben. Das erinnert stark an ein Gelöbnis in Thüringen, über das ich berichtet hatte, und wo man mir seitens der Bundeswehr mitgeteilt hatte, es sei dort seit Jahren Praxis, dass die Rekruten geschlossen zum Gelöbnisgottesdienst gingen.

Das wirft allerdings die Frage auf, wie es um die Freiwilligkeit der Teilnahme bestellt ist — ein verfassungsmäßiges Grundrecht, das die Soldaten „tapfer zu verteidigen“ geloben. Der Anteil christlicher Soldaten dürfte in Rheinland-Pfalz vielleicht bei zwei Dritteln liegen.

Eine Vorstellung davon, wie hoch die Teilnehmerquote bei einem freiwilligen Gelöbnisgottesdienst ist, liefert dieser Bundeswehr-Artikel:

Pastoralreferent Bernhard Heimbach, katholischer Standortpfarrer am Standort Strausberg, rührte bis zehn Uhr kräftig die Werbetrommel für den katholischen Gelöbnisgottesdienst. Weit über 50 Personen fanden schließlich den Weg zum Feldgottesdienst.

Angesichts der Zahl von 683 Rekruten, die bei der Veranstaltung ihr Gelöbnis ablegten, wäre das eine Teilnahmequote von unter 10 Prozent!

———

Anmerkung: Art 136 (4) WRV, Bestandteil des Grundgesetzes, legt fest:

Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

Und Art 141 WRV bestimmt:

Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer […] besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzu lassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.


Rekruten: 20% Christen, 100% beim Gottesdienst

17. Dezember 2010
Als nach der deutschen Wiedervereinigung die ostdeutschen evangelischen Kirchen von den Privilegien der Vorteilhaftigkeit des Militärseelsorgevertrages (mit verbeamteten, staatlich bezahlten Militärgeistlichen) überzeugt werden mussten – aufgrund ihrer Erfahrungen in der DDR zeigten sich die ostdeutschen Landeskirchen lange Zeit skeptisch gegenüber einer derartigen Nähe zum Staat – bot der damalige Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost, Generalleutnant Jörg Schönbohm, den ostdeutschen Bischöfen „eine atheistisch erzogene Armee zur Christianisierung“ an. (Andernorts war zu lesen, Schönbohm hätte sich bei den Bischöfen mit den Worten vorgestellt „Herr Bischof, hiermit biete ich Ihnen eine atheistische Armee zur Missionierung an.“

Vor diesem Hintergrund wirft es schwerwiegende Fragen im Hinblick auf die Freiwilligkeit der Teilnahme am Gottesdienst auf, dass es offenbar in manchen Gegenden üblich ist, dass die Rekrutinnen und Rekruten vor dem Gelöbnis „geschlossen“ an einem Gottesdienst teilnehmen, wie mir seitens zweier Verantwortlicher bei der Bundeswehr bestätigt wurde.

Darauf gekommen bin ich, als ich gestern in einem Artikel des Militärseelsorge-Newsletters las [Hervorhebungen von mir]:

Fast 600 Frauen und Männer des Logistikbataillons 131 aus Bad Frankenhausen, des Aufklärungsbataillons 13 aus Gotha und des Führungsunterstützungsbataillons aus Erfurt waren am Vormittag des 02. Dezember 2010 in den Dom gekommen. Auch Eltern und weitere Angehörige der jungen Wehrpflichtigen kamen schon zum Gottesdienst, obwohl erst am Nachmittag das feierliche Gelöbnis in der Henne Kaserne in Erfurt stattfinden sollte.

Na, dachte ich, in Thüringen wird das wohl nur ein Bruchteil der Rekruten sein. Um die Gesamtzahl der Gelöbnisteilnehmer in Erfahrung zu bringen, googelte ich schnell und musste zu meiner Verwunderung lesen:

Fast 600 Rekruten, die ihre Allgemeine Grundausbildung im Aufklärungsbataillon 13, Gotha im Logistikbataillon 131, Bad Frankenhausen  und im Führungsunterstützungsbataillon 383, Erfurt durchlaufen, legten am Donnerstag, dem 2. Dezember, bei Fackelschein und eisigen Temperaturen das Feierliche Gelöbnis in der Henne-Kaserne zu Erfurt ab.

Ich rief bei der Bundeswehr an und fragte, wer mir dazu Auskünfte geben könne.

Telefonat 1:

Skydaddy: Es sieht so aus, als ob die Rekruten praktisch komplett zum Gottesdienst gegangen sind…

Verantwortlicher 1: Ja, soweit ich weiß, kommen die geschlossen.

Skydaddy: Aber den Rekruten kann doch nicht befohlen werden, zum Gottesdienst zu gehen…

Verantwortlicher 1: Wie das in den Kompanien geregelt ist, weiß ich nicht. Fragen Sie doch mal Verantwortlichen 2.

Telefonat 2:

Skydaddy: Wie kommt es, dass die Rekruten [in Erfurt] geschlossen zum Gelöbnisgottesdienst gehen?

Verantwortlicher 2: Das ist schon so Usus, das kenn‘ ich sogar noch aus meiner Zeit als Rekrut. Beim Gelöbnisverbund Nordthüringen ist es generell so, dass die Rekruten geschlossen in den Dom gehen und beim Bischof den Gelöbnisgottesdienst durchführen.

Skydaddy: Und wenn einer nicht will?

Verantwortlicher 2: Dann muss er sich an den Chef wenden und der entscheidet dann.

Skydaddy: Was gibt es denn da zu entscheiden?

Verantwortlicher 2: Na, Ja oder Nein.

Skydaddy: Aber es muss doch keiner zum Gottesdienst gehen.

Verantwortlicher 2: Das ist beim Gelöbnisgottesdienst noch mal was anderes. Fragen Sie bitte noch einmal schriftlich an. Also, wir zwingen niemanden dazu – so von wegen Disziplinarmaßnahme oder so. Aber bis jetzt gab es diese Frage nicht.

Es war also mal wieder eine E-Mail fällig:

Den Rest des Beitrags lesen »


%d Bloggern gefällt das: