Die Behauptung, eine Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen erfordere eine Grundgesetzänderung, entspricht nicht den Tatsachen. Das Grundgesetz fordert gerade diese Ablösung .
Ich hatte neulich bereits darauf hingewiesen, dass die Kirchenkreise in Bonn und Umgebung eine „Argumentations- und Informationsbroschüre“ zum Thema „Kirchenfinanzen“ herausgegeben haben, die Aussagen enthält, die m.E. als schamlos und dreist bezeichnet werden müssen. Heute sah ich eine „Zeitung für Multiplikatoren aus Gesellschaft und Kultur, Politik und Wirtschaft„, die von den Superintendenten der der selben Kirchenkreise (Bonn, Bad Godesberg-Voreifel und An Sieg und Rhein) herausgegeben wird, und – nach kurzer Durchsicht – zumindest eine unwahre Behauptung enthält.
In „Protestant – Evangelische Einblicke“ (Ausgabe Sommer 2013) geht es auf S. 3 unter der Überschrift „Das große Missverständnis“ um „Aktuelle Hintergründe zu den sogenannten ‚Staatsleistungen'“. Autor des Artikel ist Karl Rüdiger Durth, ehemaliger Redakteur der Kölnischen/Bonner Rundschau, ehrenamtlicher Pastor und Träger des Bundesverdienstkreuzes.
Durths Tenor ist: Die Kirchen wären ja durchaus bereit, die Staatsleistungen abzulösen, aber das wäre ungemein kompliziert und für den Staat unbezahlbar:
„wegen des ständigen Missverständnisses angeblich unerlaubter Pfarrbesoldung durch den Staat sind die Kirchen an einer Lösung interessiert. Scheitern dürfte sie freilich – wie in der Weimarer Republik – am Geldmangel der Länder.“
Das ist die gängige Rhetorik der Kirchen. Wären die Kirchen allerdings tatsächlich an einer Ablösung der Staatsleistungen interessiert, so würden sie diese Ablösung nicht ständig komplizierter darstellen als nötig. (Siehe zuletzt die unwahre Behauptung des Kölner Dompropsts Norbert Feldhoff bei Günther Jauch.) Wollten die Kirchen tatsächlich eine Ablösung, so würden sie gerade aufzeigen, wie die Probleme, auf die sie in diesem Zusammenhang regelmäßig verweisen, gelöst werden können (s.u.).
Bundesverdienstkreuzträger Durth allerdings behauptet gegenüber den Multiplikatoren aus Politik und Gesellschaft ein Problem, das gar nicht existiert:
„Um die Staatsleistungen abzulösen – so auch der Antrag der Linken im Frühjahr dieses Jahres –, muss zunächst das Grundgesetz mit Zweidrittelmehrheit von Bundestag und -rat geändert werden.“
Diese Behauptung ist völlig aus der Luft gegriffen. Das Grundgesetz fordert in Art. 140 in Verbindung mit (dem ins Grundgesetz übernommenen) Art. 138 Weimarer Verfassung ja gerade die Ablösung der Staatsleistungen:
Artikel 138 (Weimarer Verfassung)
Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.
Dass es keiner Grundgesetzänderung bedarf, um die Staatsleistungen abzulösen, hätte Herr Durth auch an den beiden Gesetzentwürfen zur Ablösung der Staatsleistungen – einer von der Humanistischen Union, einer von der Fraktion DIE LINKE im Bundestag (den er selber erwähnt) – erkennen können: Es erfordert dazu nur ein Bundesgesetz (ggf. Landesgesetze), aber keine Grundgesetzänderung. Beide Gesetzentwürfe haben nur zwei oder drei Paragrafen, wobei der jeweils letzte Paragraf nur das Datum des Inkrafttretens regelt. Der Entwurf der Humanistischen Union sieht so aus:
Entwurf
Gesetz über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen§ 1
Für die Ablösung der Staatsleistungen nach Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 138 Abs. 1 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 gelten folgende Grundsätze:
- Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Ansprüche gegen die Länder auf Staatsleistungen gelten als durch Zahlung seit 1919 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes abgelöst.
- Entgegenstehende Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Kirchen, durch welche Staatsleistungen begründet, erneuert, bestätigt oder näher bestimmt werden, sind aufzuheben.
- Neue allgemeine Staatsleistungen an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind unzulässig.
§ 2
Dieses Gesetz tritt in Kraft am …
Der Entwurf der Linken ist um einen Paragrafen länger, weil dort sogar noch Ausgleichszahlungen vorgesehen sind, und zwar in zehnfacher Höhe der jetzigen jährlichen Zahlungen.
Auch über die Finanzierung hat sich DIE LINKE Gedanken gemacht: Die Ablösezahlung kann dem Entwurf zufolge in Raten über maximal 20 Jahre gezahlt werden.
Man muss dem Vorschlag der LINKEN nicht zustimmen, um zu erkennen: Dass bisher keine Ablösung der Staatsleistungen erfolgt ist, liegt nicht daran, dass dies zu kompliziert wäre (zumal nicht komplizierter als 1919, als diese Bestimmung in die Verfassung aufgenommen wurde – eher wird es noch komplizierter, umso mehr sollte die Ablösung möglichst bald erfolgen), sondern dass kein politischer Wille dazu existiert.
Wenn die Kirchen tatsächlich an einer Ablösung interessiert wären, würden sie den Vorschlag der Linken aufgreifen und ihren Wünschen entsprechend anpassen.
Jedenfalls ist es nicht richtig, wenn die evangelischen Kirchenkreise aus Bonn und Umgebung den Multiplikatoren aus Politik und Gesellschaft weismachen, die Ablösung der Staatsleistungen erfordere eine Änderung des Grundgesetzes.
Die „Pharisäer“ aus Bonn
Einen besonders unangenehmen Beigeschmack bekommt diese Desinformation dadurch, dass dieselben Kirchenkreise, die offenbar ein sehr unverkrampftes Verhältnis zu Wahrheit und Redlichkeit haben, im selben Zug regelmäßig so tun, als sei die Kritik, die an der jetzigen Kirchenfinanzierung vorgebracht wird, ganz wesentlich von „Irrtümern“ und „Missverständnissen“ geprägt:
„Die so genannten »Staatsleistungen« geistern – zusammen mit vielen falschen Vorwürfen – immer wieder durch die politische Debatte“ [In der Broschüre „Die Kirche und das liebe Geld“ auf S. 8 – in der „Erklärung“, dass der Staat nicht für Bischofsgehälter zahle.]
„Die Fragen fliegen den Kirchen um die Ohren. Vieles trifft nicht die Wirklichkeit und schon gar nicht die evangelische Kirche.“ [Protestant, S. 1 im ersten Absatz.]
Als Christ würde man diese Art der Öffentlichkeitsarbeit der Kirchenkreise in und um Bonn wohl als „pharisäerhaft“ bezeichnen und auf Matthäus 7,5 verweisen:
Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.
Staatsleistungen an die Kirchen sofort einstellen!
Ich freue mich, dass Erzbischof Zollitsch bereit ist, über die ca. 480 Millionen € zu verhandeln, welche der deutsche Staat seit 1803 jährlich(!) an die katholische und evangelische Kirche als Entschädigung für enteigneten „Besitz“ während der Säkularisierung zahlt.
Hierzu hat bereits vor vielen(!) Jahren die frühere Kirchenexpertin der GRÜNEN, Frau Nickels, gesagt, dass dieser Ausgleich schon längst beendet sei und somit diese Staatsleistungen sofort eingestellt werden bzw. die Kirchen das bis dahin zu viel gezahlte Geld zurückzahlen müssten.
Aber ich meine, zusätzlich müsste noch bei weitem mehr Geld zurückgezahlt werden:
Denn zunächst müsste eine Kommission von Historikern zu einer realistischen Einschätzung des wirklichen Besitzes kommen; d.h., vom angeblichen „Besitz“ müsste zunächst jener „Besitz“ abgezogen werden, den die Kirche sich z.B. während der Inquisition auf kriminelle Weise angeeignet hatte (eine wichtige Quelle hierfür kann das zehnbändige Werk „Kriminalgeschichte des Christentums“ des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner sein). Dann wäre der angebliche „Besitz“ sicher bei weitem geringer als was früher als Grundlage für die bis heute skandalöserweise jährlich gezahlten riesigen Summen diente.
Alles zusammengenommen vermute ich, dass die Kirchen realistischerweise viele Milliarden Euro zurückzahlen müssten, wenn nun hoffentlich schnellstens eine Kommission aus Historikern und Finanzexperten für Klarheit sorgte – das Geld könnten die extrem reichen Kirchen locker zahlen, der Staat könnte dann das zu viel gezahlte Geld für dringend benötigte soziale Zwecke ausgeben!