Erzbistum Köln: Weiterer Einsatz von Missbrauchstätern?

Der Kölner Generalvikar Dr. Stefan Heße (Pressefoto: Erzbistum Köln)

Neulich hatte ich auf facebook anerkennende Worte für Kardinal Meisners Erzbistum Köln gefunden, nachdem evangelisch.de gemeldet hatte: „Erzbistum Köln will ‘Null Toleranz’ bei Missbrauch”.

Ich hätte natürlich wissen müssen, dass auf Artikel bei evangelisch.de kein Verlass ist. (Beispiele hier und hier.) Durch die Überschrift „eingenordet“ (und, zugegebenermaßen, durch meinen bisherigen eher guten Eindruck vom Erzbistum Köln beim Thema Missbrauch, verglichen mit anderen Bistümern), habe ich offenbar den Artikel nicht mit der üblichen Skydaddy-Aufmerksamkeit gelesen.

Ich muss mein Lob wieder zurückziehen, nachdem ich heute das dem Artikel zugrundeliegende Interview mit dem neuen Kölner Generalvikar, Stefan Heße, beim Kölner Stadtanzeiger gelesen habe. Heße war vorher Personalchef des Erzbistums. Er weiß also, ob in seinem Erzbistum wissentlich Missbrauchstäter weiter eingesetzt werden oder nicht.

Kommen wir zunächst zu der Schlagzeile bei evangelisch.de, „Erzbistum Köln will ‘Null Toleranz’ bei Missbrauch”. (Andere Medien berichteten allerdings ähnlich, z.B. kipa und AZ-Online.) Heße „will“ keine „Null-Toleranz“-Linie, sondern er hält sie lediglich für möglich:

Dann bleibt nur die „Null-Toleranz“: Entlassung aus dem priesterlichen Dienst?

HESSE: Diese US-amerikanische Praxis wird auch von den deutschen Bischöfen diskutiert, und ich halte es durchaus für möglich, dass auch wir zu dieser Lösung kommen.

Dieser Satz ist eine Banalität. Wenn man in den USA zu einer „Null-Toleranz“-Linie kommen kann, dann ist das natürlich auch für Deutschland möglich.

Nun sagt Generalvikar Heße zwar noch einige andere Dinge, die beim Leser eigentlich keinen Zweifel daran lassen können, dass das Bistum eine „Null-Toleranz“-Linie fährt:

Beschäftigt das Erzbistum Köln – wie zum Beispiel das Bistum Trier – Priester weiter, die wegen sexuellen Missbrauchs auffällig geworden sind?

HESSE: Dazu sehe ich tatsächlich kaum eine Möglichkeit. Denn dazu bräuchte es positive forensische Gutachten und auch, dass alle strafrechtlichen Verfahren und Untersuchungen durchgeführt und für den Verdächtigten zu einem guten Abschluss gekommen sein müssten. Und ein Einsatz wäre allenfalls denkbar in Bereichen ohne Kontakt zu Kindern und Jugendlichen.

Und im Anschluss an das erste Zitat:

Es geht ja nicht nur um vergangene Taten und Verjährungsfristen, sondern auch um die Glaubwürdigkeit der Kirche: Kann ein Täter noch glaubhaft im Auftrag der Kirche das Evangelium verkünden?

Bistum Hildesheim äußerte sich ähnlich – und setzte Täter trotzdem weiter mit Kindern ein

Nur: Ich habe ja schon einmal für das Bistum Hildesheim – das lange als besonders fortschrittlich in Sachen Missbrauch galt – belegt, dass der dortige Missbrauchsbeauftragte und Personalleiter ganz ähnliche Äußerungen von sich gab, obwohl das Bistum zum Zeitpunkt dieser Äußerungen erwiesene Missbrauchstäter weiter mit Kindern arbeiten ließ.

Nachdem im Zuge des Missbrauchsskandals 2010 nämlich mehrere solcher Fälle im Bistum Hildesheim bekannt geworden waren, hatte ich mir frühere Erklärungen des damaligen Hildesheimer Missbrauchsbeauftragten Werner Holst angesehen.

2002, als das Bistum den mittlerweile berüchtigten „Canisius-Pater“ Peter R. immer noch mit Kindern und Jugendlichen arbeiten ließ, obwohl es bereits seit 9 Jahren wusste, dass er einen Missbrauch begangen hatte, erklärte Holst in einem Interview mit der bischöflichen Pressestelle:

Pressestelle: Denken Sie aus heutiger Sicht, dass in allen Fällen immer genug getan wurde?

Holst: Es wurde sicher zu wenig getan. Damals hätten wir sofort die Staatsanwaltschaft hinzuziehen müssen. Das haben wir nicht getan. Außerdem hätten wir den Täter in eine Therapie schicken müssen. Auch das unterblieb leider. Wir haben uns zwar um die Opfer gekümmert. Aber auch ich dachte damals, wenn man die Täter in ein Kloster bringt, wo sie Buße tun, sei das genug. Das war falsch.

Nun, wenn Holst erklärt, der weitere Einsatz von Tätern sei „falsch“ gewesen, werden die Leser vernünftigerweise annehmen, so etwas würde jetzt nicht mehr praktiziert. Tatsächlich wurde aber Peter R. weiter eingesetzt, weder war die Staatsanwaltschaft hinzugezogen worden, noch hat R. eine Therapie gemacht.

Später im Interview erklärte Holst (Hervorhebungen von mir):

Pressestelle: Welche Strategie verfolgt das Bistum Hildesheim heute in Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester?

Holst: Der Schutz des Opfers hat für uns den absoluten Vorrang! Wenn ein Verdacht besteht, leiten wir sofort eine Untersuchung ein. Das setzt natürlich eine sorgfältige Recherche voraus, denn für den Angeschuldigten gilt zunächst die Unschuldsvermutung. Steht die Schuld fest, muss sofort gehandelt werden. Wir bestehen darauf, dass sich der Täter selbst anzeigt oder eine Anzeige durch Dritte erfolgt. Der betroffene Priester muss sich den strafrechtlichen Konsequenzen seines Verhaltens stellen. Das weitere Vorgehen ist dann individuell verschieden. Unter Umständen macht der Betroffene außerhalb des Bistums eine Therapie. Parallel dazu helfen wir den Opfern und natürlich auch deren Angehörigen. Außerdem muss die Gemeinde informiert werden. Wir möchten den Gemeindemitgliedern helfen, mit dieser Nachricht fertig zu werden. Wenn ein auffällig gewordener Geistlicher wieder in den priesterlichen Dienst zurück kehrt, darf er auf keinen Fall mehr Kontakt zu Kindern haben. Aber selbst dann muss er in therapeutischer Begleitung bleiben. Dadurch ist eine gewisse Überwachung gegeben. Vertuschen, Wegschieben und Verdrängen, das darf nicht sein.

Holst täuscht hier die Leser, ohne zu lügen: Natürlich ist es richtig, dass „sofort gehandelt werden muss“, wenn die Schuld feststeht. Dass ein auffällig gewordener Geistlicher keinen Kontakt mehr zu Kindern haben darf usw. Nur: Bei genauer Betrachtung sind solche Feststellungen eben nur Feststellungen des Offensichtlichen, keine Aussage darüber, ob das Bistum tatsächlich so verfährt. Diese Formulierungen dürften gezielt verwendet worden sein, um beim Leser den Eindruck zu erwecken, dass das Bistum vernünftig gegen sexuell übergriffige Priester vorgeht. Was es nicht tat.

Auch, als das Bistum 2003 – also nach dem obigen Interview – erfuhr, dass der Celler Dechant Hermann S. einen Jungen missbraucht hatte, beließ es S. weiter in seiner Pfarrei – ohne Auflagen.

In dem obigen Interview sprach sich Holst auch für ein gemeinsames Vorgehen der deutschen Bistümer aus:

Pressestelle: Bislang haben die deutschen Bistümer das Thema des sexuellen Missbrauchs durch ihre Priester jeweils bistumsintern geregelt. War das richtig?

Holst: Es ist sicher nötig, dass die deutschen Bistümer eine gemeinsame Strategie entwickeln. Nur in einem größeren Zusammenhang können wir die nötige Koordination und Transparenz erreichen, um das Problem des sexuellen Missbrauchs offensiv anzugehen.

Nur: Nachdem die deutschen Bischöfe im September 2002 ihre „Leitlinien zum sexuellen Missbrauch” verabschiedet hatten, ignorierte sie Holst (entgegen der Leitlinien wurden R. und S. weiter „in Bereichen eingesetzt, die sie mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung” brachten), und während Holsts Amtszeit wurden auch nie Ausführungsbestimmungen zu den Leitlinien erlassen.

Mehr dazu in meinem Artikel „Bistum Hildesheim: Schöne, leere Worte“.

Nun noch einmal die Äußerungen von Generalvikar Heße aus Köln:

Auf unserer Homepage veröffentlichen wir laufend den aktuellen Stand. Derzeit haben wir drei Geistliche, gegen die staatsanwaltschaftliche und kirchliche Verfahren laufen, vom priesterlichen Dienst beurlaubt.

Daraus geht noch nicht einmal hervor, ob es noch weitere auffällige Priester gibt, die nicht beurlaubt sind. Und hier noch einmal Heßes Formulierung zum Thema „Null Toleranz“:

Dann bleibt nur die „Null-Toleranz“: Entlassung aus dem priesterlichen Dienst?

HESSE: Diese US-amerikanische Praxis wird auch von den deutschen Bischöfen diskutiert, und ich halte es durchaus für möglich, dass auch wir zu dieser Lösung kommen. Es geht ja nicht nur um vergangene Taten und Verjährungsfristen, sondern auch um die Glaubwürdigkeit der Kirche: Kann ein Täter noch glaubhaft im Auftrag der Kirche das Evangelium verkünden? Andererseits muss uns auch klar sein, dass die Täter ja nicht verschwänden, wenn sie auch keine Priester mehr wären. Wie können sie also mit ihrer Schuld weiter leben?

Absolut nichtssagend! „Kann ein Täter noch glaubhaft im Auftrag der Kirche das Evangelium verkünden?” – Kann so interpretiert werden, als ob man solche Priester in Köln nicht mehr einsetzen wolle. Kann aber auch rein als Frage gemeint sein. Und ist es bei näherer Betrachtung wohl auch nur.

Was mir aber am meisten Sorge bereitet:

Beschäftigt das Erzbistum Köln – wie zum Beispiel das Bistum Trier – Priester weiter, die wegen sexuellen Missbrauchs auffällig geworden sind?

HESSE: Dazu sehe ich tatsächlich kaum eine Möglichkeit. Denn dazu bräuchte es positive forensische Gutachten und auch, dass alle strafrechtlichen Verfahren und Untersuchungen durchgeführt und für den Verdächtigten zu einem guten Abschluss gekommen sein müssten. Und ein Einsatz wäre allenfalls denkbar in Bereichen ohne Kontakt zu Kindern und Jugendlichen.

Die Frage war: „Beschäftigt das Erzbistum Köln Priester weiter, die wegen sexuellen Missbrauchs auffällig geworden sind?“ Eine klare Frage, die sich mit „ja“ oder „nein“ beantworten lässt. Aber Heße weicht aus: Er sehe „kaum eine Möglichkeit“. Im Prinzip also schon. Seine weiteren Formulierungen im Konjunktiv (es „bräuchte“ forensische Gutachten, ein Einsatz mit Kindern „wäre“ nicht denkbar) müssen zwar den Eindruck erwecken, dass es sich um rein theoretische Überlegungen handelt. Die Frage bezog sich aber nicht auf die Zukunft, sondern auf die Gegenwart.

Warum sagt Heße nicht klipp und klar, dass das Erzbistum keine sexuell auffälligen Priester mehr beschäftigt? Oder zumindest, dass es sie nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten lässt?

Ich werde ihn bitten, diese Frage klar zu beantworten. Mal sehen, ob er antwortet.

Meisner: „Ich kann ihn doch nicht in den Rhein werfen“

Über den Kölns Kardinal Meisner hatte die WELT im September 2010 berichtet:

Das Erzbistum Köln habe alle ihm vorliegenden Verdachtsfälle aufgearbeitet. […]  „Und es gibt noch einen Täter, einen Priester, der alles zugegeben hat und bei dem ich nicht weiß, was ich mit ihm anfangen soll“, sagte Meisner. Ihn in einer Gemeinde arbeiten zu lassen, sei undenkbar, aber: „Ich kann ihn doch nicht in den Rhein werfen.“ Barmherzigkeit müsse für alle gelten, auch wenn das manchmal schwer falle.

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