Fragen an die Staatsanwaltschaft Konstanz

Die folgende E-Mail habe ich heute (22.07.2010 07:07 Uhr MESZ) an die Staatsanwaltschaft Konstanz geschickt:

Sehr […] geehrte Damen und Herren,

wie Ihnen bekannt ist, habe ich in den vergangenen Wochen für mein Blog in der Angelegenheit Birnau recherchiert und dabei der Staatsanwaltschaft – auf Anregung von Dr. [H.] – auch meine Rechercheergebnisse und die Stellungnahmen von Thomas P. Doyle zukommen lassen.

Ich hoffe, daher, dass Sie mir folgende Fragen beantworten, die sich auf Ihre gestrige Pressemitteilung zur Einstellung des Erfahrens gegen Erzbischof Dr. Robert Zollitsch beziehen:

1. Ist die Staatsanwaltschaft in irgendeiner Weise „aktiv“ geworden, um den Sachverhalt zu klären?

Hintergrund diese Frage ist, dass die Pressemitteilung nichts dergleichen erkennen lässt. Es heißt zwar:

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen kam es zu Missbrauchsfällen durch den Pater anlässlich seines ersten Tätigkeitszeitraums in Birnau zwischen 1966 und 1968.

Aber m.W. hat das Opfer seiner Anzeige das Geständnis des Täters beigefügt, welches sich auf die 60er-Jahre bezog. Hier dürfte es also nicht notwendig gewesen sein, „aktiv“ zu ermitteln.

Der dritte Absatz der Pressemitteilung erweckt den Eindruck, die Staatsanwaltschaft habe lediglich darauf gewartet, ob sich Opfer melden, und nicht aktiv danach gesucht.

2. Wurden die folgenden Personen bzw. Personengruppen befragt:

  • Konrad Müller (Pater Gregor Müller)
  • Erzbischof Zollitsch
  • Altabt Kassian Lauteter
  • Abt Anselm van der Linde
  • Pfarrgemeinderatsmitglieder oder sonstige in der Pfarrkuratie Birnau während der Zeit von 1987 bis 1992 aktiven Personen
  • Messdiener, Kommunionkinder aus dieser Zeit bzw. deren Eltern
  • Der Laienbruder „Bruder [B.]“, der seit 1952 in Birnau war und damit sowohl den ersten als auch den zweiten Aufenthalt von Müller miterlebt hat

3. Hat die Staatsanwältin die Kommentatorin „[M.]“ zu befragen versucht, die am 05.04.2010 zu einem Artikel im Südkurier kommentierte:

Wenn ich mir vorstelle, dass genau dieser Pfarrer, obwohl der Missbrauch wohl bekannt war, in den 90-er Jahren noch einmal für vier Jahre in Birnau tätig war und hier unter anderem auch meine Kinder zur Erstkommunion begleitet hat, bekomme ich heute noch eine Gänsehaut. Meine Kinder sind zum Glück verschont geblieben, aber es hat wohl auch hier wieder Vorfälle gegeben. Nur so kann ich mir eine Äußerung der inzwischen verstorbenen Messnerin von Nußdorf erklären, als der Pfarrer ziemlich über stürzt in die Schweiz versetzt wurde. Als ich mich nach seinem Verbleib erkundigt habe, sagte sie wörtlich: ‚Wir sollten froh sein, dass er weg ist. Wir haben uns alle sehr in diesem Mann getäuscht.‘ Damals konnte ich nichts damit anfangen, heute ist mir klar, was gemeint war und ich denke mir, dass man in Birnau wohl Bescheid wusste.

Wurde diesem Hinweis in irgendeiner anderen Weise nachgegangen?

4. Die Staatsanwaltschaft begründet die Einstellung des Verfahrens gegen Erzbischof Zollitsch damit, dass keine konkreten Taten oder Namen von Geschädigten bekannt geworden seien. In dem Bescheid zur Einstellung des Verfahrens gegen Konrad Müller heißt es dazu:

Obwohl die Vorwürfe gegen den Beschuldigten und das Ermittlungsverfahren bundesweit bekannt waren und auch in der hiesigen Presse dookumentiert wurden, haben sich keine weiteren Geschädigten gemeldet.

Ähnlich äußert sich auch das Bistum Freiburg in einer Pressemitteilung.

Können Sie erläutern, weshalb Sie davon ausgingen, dass sich Opfer melden würden? Abgesehen davon, dass die Staatsanwaltschaft Freiburg die Vorwürfe aus der Anzeige bereits übertrieben und deshalb besonders unglaubwürdig dargestellt hatte (Zollitsch habe die Einstellung „veranlasst“ – eine Formulierung, die gestern immer noch durch die Medien geisterte), hatte das Bistum Freiburg – auch und gerade in den lokalen Medien – sofort den Eindruck erweckt, das Verfahren sein eine „Luftnummer“ und müsse mangels Zuständigkeit von Zollitsch im Sande verlaufen. Außerdem scheint die Dorfgemeinschaft in Nußdorf und Deisendorf derart zu sein, dass Missbrauchsopfer, die an die Öffentlichkeit gehen, dort als „Störenfriede“ gelten. Weshalb hätten sich unter diesen Voraussetzungen Opfer melden sollen?

5. Weshalb hat die Staatsanwaltschaft eventuelle Opfer oder Zeugen nicht ausdrücklich dazu aufgerufen, sich zu melden? Gerade unter den oben geschilderten Umständen hätte dies den Betreffenden doch signalisiert, dass eine Meldung nicht völlig sinnlos wäre.

6. Wurden Personalakten von Müller gesichtet? Es war zu lesen, sein Abzug aus Birnau 1992 sei überstürzt erfolgt. Vielleicht hätten sich Hinweise auf den Grund dafür in den Akten gefunden.

7. Meines Wissens wird auch in anderen Ländern (Österreich und/oder Schweiz) gegen Müller ermittelt. Hat sich die Staatsanwaltschaft mit den dortigen Ermittlern ausgetauscht bzw. abgestimmt?

8. Bezüglich der Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft wurde zunächst gemeldet:

Röding zufolge wird nun die genaue Rollenverteilung zwischen Erzdiözese und der zuständigen Zisterzienserabtei Wettingen-Mehrerau ermittelt. Danach muss geklärt werden, welchen Wissensstand das Ordinariat zur fraglichen Zeit hatte oder hätte haben müssen. „Und dann bräuchten wir aus der Zeit von 1987 bis 1992 auch Taten, die noch nicht verjährt sind“, so Röding. [Badische Zeitung]

Otto Röding: „Wir werden jetzt untersuchen, wie die Verantwortlichkeit für die Abtei Birnau geregelt ist und wie im fraglichen Zeitraum die Personalverantwortung ausgeübt wurde.“ [Südkurier]

Nun müsse ermittelt werden, wie die Personalverantwortung für die Klosterkirche in der fraglichen Zeit ausgeübt wurde, sagte Röding. Er wies auf die mögliche Zuständigkeit der Zisterzienserabtei Wettingen-Mehrerau bei Bregenz (Österreich) hin, die nun ebenfalls untersucht werde. [Südkurier]

Das ist nur so zu verstehen, als sei geplant gewesen, zunächst zu prüfen, ob das Bistum Freiburg überhaupt zuständig war/ist. Dies erscheint auch sinnvoll, da die Zuständigkeit – im Gegensatz zu Opfern, die sich möglicherweise melden, möglicherweise aber auch nicht – einwandfrei zu klären ist und diese Klärung gerade nach den Ankündigungen des Bistums auch kurzfristig möglich erschien.

Weshalb heißt es jetzt in der Pressemitteilung:

Aus diesem Grunde ist es der Staatsanwaltschaft verwehrt, weitergehende Ermittlungen durchzuführen zu der Frage, wer die Personalverantwortung für den Pater trug, und ob bzw. wann Dr. Zollitsch Kenntnis von einem erneuten Tätigwerden des Paters erlangte.

Weshalb wurde das ursprünglich geplante Vorgehen geändert? Wie kann es der Staatsanwaltschaft „verwehrt“ sein, die Ermittlungen durchzuführen, die zunächst angekündigt waren?

9. Weshalb erweckt die Staatsanwaltschaft in der Pressemitteilung den Eindruck, die Frage der Zuständigkeit sei noch ungeklärt? Ich hatte Ihnen meine Rechercheergebnisse und die Gutachten von Thomas P. Doyle zugeschickt. Einen Tag zuvor hatte die Badische Zeitung berichtet, dass der Freiburger Kirchenrechtsprofessor Dr. Georg Bier, der Zollitsch zunächst verteidigt hatte, seine damalige Aussage, Zollitsch sei nicht zuständig gewesen, widerrufen hat. Es war Ihnen auch bekannt (meine Informationen, gestriger Artikel des Badischen Zeitung), dass das Bistum nie tatsächlich behauptet hat, es sei nicht zuständig, sondern lediglich diesen Eindruck erweckt hat.

Die Zuständigkeit von Freiburg wurde demzufolge durch mindestens zwei Experten bestätigt und nicht einmal durch das Bistum bestritten. Weshalb erweckt die Staatsanwaltschaft den Eindruck, diese Frage sei gestern noch ungeklärt gewesen?

10. Nachdem zunächst der Eindruck entstanden war, das Verfahren könne dadurch rasch zu einem Abschluss gebracht werden, dass die Nicht-Zuständigkeit des Bistums Freiburg für Birnau nachgewiesen würde, erklärte die Staatsanwaltschaft Medienberichten zufolge später immer wieder, dass noch Unterlagen fehlten, so auch Oberstaatsanwalt Dr. [H.] mir gegenüber in einem Telefonat am 05.07.2010

Was waren das für Unterlagen, und wurden diese schließlich beigebracht oder nicht – der Pressemitteilung zufolge könnte das Verfahren nämlich eingestellt worden sein, ohne dass der Eingang dieser Unterlagen abgewartet wurde, da ja keine konkreten Taten bekannt waren.

Es drängt sich nämlich geradezu der Eindruck auf, dass das erzbischöfliche Ordinariat – von dem nun durch die Stellungnahmen von zwei Kirchenrechtlern bekannt ist, dass es zunächst den falschen Eindruck erweckt hatte, es sei für Birnau nicht zuständig – die zunächst angeforderten Unterlagen zur Zuständigkeit so lange zurück hielt, bis das Verfahren „mangels Opfern“ eingestellt würde, ohne dass die Frage der Zuständigkeit tatsächlich geklärt würde.

11. Halten Sie die beiden Umstände, dass Konrad Müller untergetaucht ist und dass das Erzbistum Freiburg offenbar versucht, die Öffentlichkeit und u.U. auch die Staatsanwaltschaft über die Zuständigkeit in Birnau zu täuschen, nicht für ausreichend, um in diesem Verfahren mehr zu tun als nur abzuwarten, ob sich Opfer melden? (Sofern nicht doch noch „aktiv“ ermittelt wurde und dies lediglich nicht aus der Pressemitteilung hervorgeht.)

12. Die Erzdiözese Freiburg meldet in einer Pressemitteilung:

Die Staatsanwaltschaft stellt fest, dass die Behauptung des Anzeigeerstatters, ihm sei keine Hilfen angeboten worden, schon nach dessen eigenen Angaben falsch ist. Er habe selbst angegeben, dass ihm die Frage gestellt worden sei, wie man ihm helfen könne.

Woher hat die Diözese diese Information? Jedenfalls nicht aus der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft. M.W. findet sich dies in dem Strafantrag, aber das Bistum beruft sich ja auf die Staatsanwaltschaft, nicht auf den Strafantrag.

Wurde die – über die Pressemitteilung hinaus gehenden – Informationen zeitgleich auch dem Anzeigeerstatter mitgeteilt?

Weshalb findet dies überhaupt Erwähnung, da es für die Einstellung des Verfahrens irrelevant ist, aber – wie sich sogleich zeigte – von der Erzdiözese dazu genutzt werden konnte, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Opfers zu säen?

13. Ist es Ihrer Auffassung nach korrekt, wenn das Erzbistum Freiburg in seiner Pressemitteilung den Schluss zieht, Zollitsch sei nunmehr „von den erhobenen Vorwürfen vollständig entlastet“? Ihrer Pressemitteilung zufolge wurde ja weder die Zuständigkeit noch eine etwaige Mitwisserschaft Zollitschs überprüft, es ließen sich lediglich keine konkreten Taten nachweisen, wobei bisher nicht ersichtlich ist, ob oder auf welche Weise die Staatsanwaltschaft sich überhaupt aktiv um eine Klärung bemüht hat.

14. Da das Verfahren gegen Erzbischof Zollitsch und das gegen Konrad Müller zusammenhängen: Weshalb wurden beide Verfahren nicht zur gleichen Zeit eingestellt? Aus der Einstellung des Verfahrens gegen Müller musste sich ja zwangsläufig auch die Einstellung der Ermittlungen gegen Dr. Zollitsch ergeben.

15. Es liegt mir fern, die Staatsanwaltschaft in irgendeiner Weise zu verdächtigen, aber ich hatte neulich einen Kommentator auf meinem Blog, der – anlässlich der Meldung des Südkuriers am Montag, dass das Verfahren gegen Zollitsch offenbar kurz vor der Einstellung stünde – spekulierte, ob der Südkurier diese Information „gezielt“ streute, „um von den aktuellen Berichten (Monitor Mainz) abzulenken.“ Es mag Zufall sein, aber es fällt schon auf, dass die Meldungen über die Einstellung des Verfahrens just an dem Tag die Medien „fluteten“, nachdem die Badische Zeitung genau über den Birnau-Fall berichtet hatte.

Um derartigen Spekulationen den Boden zu nehmen: Können Sie das zeitliche Zusammentreffen erklären? Es wäre ja z.B. denkbar, dass die Badische Zeitung vorab Kenntnis davon hatte, dass die Staatsanwaltschaft am Mittwoch die Einstellung des Verfahrens erklären würde, und dem noch „zuvor kommen“ wollte.

Ich werde diese Fragen auch auf meinem Blog veröffentlichen, da ihre Beantwortung m.E. unverzichtbar ist, um die Aussagekraft der Einstellung des Verfahrens einzuschätzen. Ihre Antworten werde ich gerne dazu stellen.

Mit freundlichen Grüßen,

Matthias Krause

3 Responses to Fragen an die Staatsanwaltschaft Konstanz

  1. dramaticmoments sagt:

    Exzellente Arbeit, Skydaddy! Herausragend!

  2. […] werden kann. Alles andere muss öffentlich verhandelt werden. Zuständig war auch damals die Staatsanwaltschaft Konstanz. Der Prior brauchte das Geld, weil er wegen einer „angeblichen sexuellen Verfehlung“ […]

  3. Ben Groß sagt:

    Die Thematik ist leider heutzutage immer noch aktuell…

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