Birnau: Abschiebeposten für pädophile Priester?

Offenbar überstürzt und ohne Erklärung wurde 2008 ein Pater aus dem Zisterzienserkloster Birnau am Bodensee abgezogen. Der Pater hatte sich zuvor auch um die Messdiener gekümmert. Dies wäre an sich vielleicht noch keine Meldung wert – wenn man nicht den Eindruck gewinnen könnte, dass das 4-Mann-Kloster möglicherweise als Abschiebeposten für auffällig gewordene Priester diente.

Seit 6 Wochen recherchiere ich mittlerweile zum Thema „Birnau“. Anfangs stellte ich mir immer wieder die Frage: „Wer geht eigentlich freiwillig in ein Kloster, in dem nur vier Männer sind?“ Irgendwann kam mir der Gedanke: „Die gehen da möglicherweise gar nicht freiwillig hin!“

Von dem Kloster Birnau hörte ich zum ersten Mal, als über die Ermittlungen gegen den Freiburger Erzbischof Zollitsch berichtet wurde. Ein Zisterzienserpater aus dem Kloster missbrauchte dort Ende der sechziger Jahre mehrere Messdiener. Nachdem er zurück in die Mutterabtei Wettingen-Mehrerau (Österreich) versetzt worden war, vergriff er sich dort sogleich wieder an Erstklässlern und wurde daraufhin in das Trappistenkloster OElenberg im Elsass versetzt. Auch bei seiner anschließenden Tätigkeit in Baden (Schweiz) hat er offenbar Kinder missbraucht, jedenfalls sollen sich dieses Jahr vier Opfer gemeldet haben. 1987 wurde der Pater wieder nach Birnau versetzt und war dort bis 1992 tätig. 1992 wurde er nach Schübelbach (Schweiz) versetzt, wo er erst im März dieses Jahres auf Betreiben eines seiner Opfer zum Rücktritt gezwungen wurde – obwohl die Abtei bereits Ende 2006 zugesagt hatte, das Bistum Chur zu informieren und wohl auch, den Pater, der immer noch mit Kindern und Jugendlichen tätig war, aus dem Verkehr zu ziehen. Der Pater räumte mehrere Missbräuche ein und tauchte dann unter.

Der verantwortliche (oder sollte man besser sagen: unverantwortliche) Abt war von September 1968 bis Januar 2009 Kassian Lauterer. Er war offenbar Ende 1968 für die Strafversetzung nach OElenberg zuständig und auch das Bistum Basel hat offenbar in den siebziger Jahren mit ihm über die Pädophilie des Paters gesprochen. Es war auch Kassian Lauterer, der Ende 2006 dem Bistum Freiburg zusagte, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und das Bistum Chur, in dem der Pater tätig war, zu informieren – was aber offenbar unterblieb.

Kassian Lauterer ist auch Träger des Großen Silbernen Ehrenzeichens mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich, des Goldenen Ehrenzeichens des Landes Vorarlberg sowie des Ehrenrings der Landeshauptstadt Bregenz.

Im März 2010 kam heraus, dass zwischen 1970 und 1982 – also ebenfalls während der Amtszeit von Abt Kassian – in Mehrerau etliche Schüler von einem Pater missbraucht wurden, der offenbar bereits 1967 wegen Missbrauchs rechtskräftig verurteilt worden war. Auf Druck des Vaters eines der Jugendlichen wurde der Pater dann versetzt – ohne Anzeige, aber immerhin verbunden mit einer Therapie und Aufsicht.

Wie viele andere Verantwortliche der römisch-katholischen Kirche zu dieser Zeit auch, versuchte Abt Kassian das Problem der pädophilen Priester offenbar durch Versetzung zu „lösen“.

1987 versetzte er den Pater erneut nach Birnau, der dort bereits zwanzig Jahre zuvor Messdiener missbraucht hatte. Eines seiner damaligen Opfer empfindet das so

Nach 20 Jahren am Ort seiner Verbrechen kann er so die Allmacht und Unverwundbarkeit der Kirche – und die Ohnmacht der Opfer […] demonstrieren und so mögliche Opfer einschüchtern.

In den Leserkommentaren auf Vorarlberg Online zu den Artikeln über die Missbrauchsfälle in Mehrerau finden sich Hinweise, dass auch der damalige Prior von Birnau möglicherweise aufgrund einschlägiger Vorfälle dort hin „abgeschoben“ wurde. So schrieb ein Kommentator:

Die Praktiken waren damals (wie heute?) ein sanftes „über das Haar streichen“ mit der Zusatzfrage: „bekommst du zu Hause auch genug Zärtlichkeit?“

Oder unser damaliger Klassenvorstand, Pater [A. – offensichtlich der spätere Prior von Birnau], mit seinen Handküssen („ich will nur schauen, ob du geraucht hast“).

Ein anderer Kommentator schrieb in Bezug auf den o.g. Pater, der zwischen 1970 und 1982 Schüler missbraucht hatte:

… und was wird denn nun schon passieren mit ihm?! […] Und da er ja zeitlebens ein Zisterzienser bleibt, müssen die ihn auch irgendwo unterbringen/verbergen. Erfahrungsgemäss geht’s erstmal in eines der katholisch-vernetzten „Sanatorien“; und in ein paar Monaten dann vielleicht in die Birnau am anderen Bodensee-Ufer, wie schon in den Achtzigern den P.[A. – der spätere Prior](!!!)

Wurde der bekanntermaßen pädophile Pater in Birnau womöglich in die „Obhut“ eines Priors mit ganz ähnlichen Neigungen gegeben?

Hinzu kommt, dass es sich bei dem dritten Pater, der damals in Birnau war (der „vierte Mann“ ist ein Laienbruder) offenbar um einen „alten Bekannten“ des pädokriminellen Paters handelte: Nämlich um den ehemaligen Abt des Trappistenklosters OElenberg im Elsass, in das der Pater Ende 1968 strafversetzt worden war. Es dürfte ungewöhnlich sein, dass ein Abt sein Amt mit 57 aufgibt und seinen Lebensabend in einem Vier-Mann Kloster verbringt – und nicht in der Abtei, wo er mal Abt war. Die Amtsniederlegung erfolgte übrigens praktisch zur gleichen Zeit, als auch der strafversetzte Pater OElenberg wieder verließ.

Der Nachfolger von Pater A. als Prior in Birnau wurde im Jahr 2000 wegen Unterschlagung verurteilt. Er hatte Klostergelder veruntreut – die Rede ist von mehr als einer halben Million Mark –, weil er erpresst worden war. Er soll sich von Zuhältern jugendliche Prostituierte ins Kloster haben bringen lassen – die Vorarlberger Neue Tageszeitung berichtet das als Tatsache, nicht als Vermutung! Der Pater wurde daraufhin zwar seines Amtes als Prior enthoben, blieb aber noch bis 2006 in Birnau. Seiner Beliebtheit bei den Gemeindemitgliedern scheinen seine Eskapaden nicht geschadet zu haben – wobei mir allerdings nicht klar ist, was die davon wissen. Im Jahr 2000, als der Pater wegen Veruntreuung vor Gericht stand, hieß es nämlich zunächst:

Der Anwalt des Priors erklärte, es habe sich nur um eine verbale Entgleisung des Mönchs gegenüber einer jungen Verwandten der Erpresserin gehandelt.

Als dann zwei Jahre später den Erpressern der Prozess gemacht wurde, hieß es:

Um Druck auf den Prior auszuüben, habe die angeklagte Frau dem Geistlichen von einer nach wie vor nicht bekannten „LolitaK.“ erzählt, die von einem Priester verführt und zu einer Abtreibung genötigt worden sei.

Möglicherweise ist die Geschichte mit den Prostituierten erst später durchgesickert. 2006 wurde der Pater jedenfalls mit einem Festgottesdienst aus Birnau verabschiedet – „als Prior“, wie es im Südkurier hieß.

In den Kommentaren bei Vorarlberg Online schrieb jemand über diesen Pater:

Der wollte immer, dass Schüler, die in Englisch Probleme hatten, bei Tagesanbruch mit nacktem Oberkörper sich zum Privatboxtraining einfinden sollten.

Nachfolger dieses Paters als Seelsorger in Birnau war Ende 2006 ein junger Zisterzienser, der sich nicht nur um die Ministranten kümmerte, sondern während seines Aufenthaltes auch stets die Pfarrnachrichten im „Deisendorfer Blättle“ unterzeichnete. In der Oktoberausgabe (S. 30) des „Blättles“ von 2008 unterzeichnete dann plötzlich ohne weitere Erklärung wieder der offizielle Pfarradministrator, Pater Bruno, die Pfarrmeldungen. Und in der folgenden Ausgabe (11/2008, S. 27) heißt es unter „Nachrichten aus der Pfarrei Birnau“:

Veränderungen – Bitten um Verständnis

Infolge einer unvorhersehbaren personellen Veränderung im Priorat Birnau (derzeit nur noch 2 Priester), kommen wir leider nicht umhin, den einen oder anderen Termin zu ändern. Gerne hätten wir an der bisherigen Ordnung festgehalten, aber die äußeren Umstände lassen dies vorerst nicht zu. Wir bitten Sie deshalb um Ihr Verständnis. Sobald ein weiterer Priester dauerhaft in Birnau zur Verfügung stünde, kann über eine Rückkehr zur gewohnten Gottesdienstordnung wieder nachgedacht werden.

Das ist wohl nicht anders zu deuten, dass der junge Pater unverhofft versetzt wurde – und dass das Priorat nicht erklären wollte, warum! Denn normalerweise würde man doch wohl einen Hinweis erwarten, etwa dass jemand plötzlich erkrankt ist, oder anderswo Not am Mann war.

Nun sollte man natürlich nicht aus dem bloßen Umstand, dass ein Pater scheinbar überstürzt und ohne Erklärung abgezogen wurde, sofort schließen, dass hier sexuelle Übergriffe stattgefunden haben. Andererseits erscheint der Gedanke im Hinblick auf die obigen Hinweise aber auch nicht ganz abwegig.

Vor allem aber: Der „verschwundene“ Pater ist 33! Sollte er aufgrund sexueller Übergriffe einfach nur versetzt worden sein, so besteht die Gefahr, dass es zu neuen Opfern kommt.

Deshalb hatte ich vor gut zwei Wochen, am 29.06.2010, die Abtei Wettingen-Mehrerau, die für das Kloster Birnau in ordensrechtlicher Hinsicht zuständig ist, dem Missbrauchsbeauftragten der Erzdiözese Freiburg (die in seelsorgerlicher Hinsicht zuständig ist), Domkapitular Dr. Eugen Maier, und den Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Ackermann, auf diese Zusammenhänge hingewiesen und angeregt, das plötzliche „Verschwinden“ dieses Paters zu untersuchen.

Hätte ich nun seitdem von der Abtei oder dem Erzbistum die Rückmeldung erhalten „Wir kümmern uns darum“ oder „Das hatte alle seine Richtigkeit“, dann hätte ich mir die Mühe gespart, die obigen Rechercheergebnisse hier zu veröffentlichen, und den erwähnten Patern, hier z.T. vage Hinweise auszubreiten. Ich will mir aber nicht später vorwerfen müssen, nicht ausreichend auf meine Beobachtungen hingewiesen zu haben.

Anmerkungen:

Vom Büro des Missbrauchsbeauftragten in Freiburg, Dr. Maier, erhielt ich umgehend die Bitte, meine E-Mail an die Staatsanwaltschaft Konstanz weitergeben zu dürfen. Das war alles. Ob meine E-Mail auch tatsächlich dorthin weitergeleitet wurde, wurde mir nicht mitgeteilt.

Vom Büro des Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Ackermann, erhielt ich zehn Tage später eine Eingangsbestätigung mit dem Hinweis, der zuständige Beauftragte in Freiburg werde den Verdacht klären. Ob Dr. Ackermann sich tatsächlich dahinter klemmt, oder ob er lediglich davon ausgeht, dass der Missbrauchsbeauftragte Freiburg dem Verdacht sowieso nachgeht, war nicht zu erkennen.

Von der Vorsitzenden der Anti-Missbrauchs-Stiftung „Hänsel und Gretel, Ministerin a.D. Barbara Schäfer Wiegand, die auch Mitglied der Missbrauchskommission des Erzbistums Freiburg ist, erhielt ich diesen Montag (12.07.2010) folgende E-Mail:

Sehr geehrter Herr Krause, vielen Dank für Ihr Schreiben. Ich habe es am 01.07.10 in die Sitzung der Kirchenkommission eingebracht. Dr. Maier kannte es. Es enthält interessante gedankliche Querverbindungen, die in die Arbeit der Kommission einfließen werden. Herzlichen Dank für Ihr Mitdenken und freundliche Grüße

Barbara Schäfer-Wiegand
Ministerin a.D.

Ich befürchte allerdings, dass mit den „interessanten gedanklichen Querverbindungen“ eher ein Vorschlag gemeint sein könnte, den ich Frau Schäfer-Wiegand mitgeschickt hatte, um in Zukunft zu verhindern, dass pädophile Priester immer wieder an dieselben Orte geschickt werden. (Dazu ein andermal mehr.)

Ob dem Verschwinden des Paters nachgegangen wird, weiß ich weiterhin nicht. Der Abt von Wettingen-Mehrerau, Anselm van der Linde, hat überhaupt nicht geantwortet.

6 Responses to Birnau: Abschiebeposten für pädophile Priester?

  1. Schwabe sagt:

    Warum richten wir nicht die Stelle eines Empörungsmanagers/einer Empörungsmanagerin ein?

    Anforderungsprofil:

    Äußerlich stets strenger Blick wie Marietta Slomka,

    Dazu die Fähigkeit,

    Skandalthemen aus den 50-iger und 60-iger Jahre als topaktuell jeden Tag aufs Neue zu verkaufen,
    – mit Halbgarem die Massen zu nähren,
    – Fakten, die es nicht gibt, als Fakten zu verkaufen,
    – Medienerfahrung in Print und Internet, in letzterem die technische Fertigkeit unerkannt x-Nicknames, auch der Gegenseite einzurichten,
    – Phantasie, sich in den Gegner hinein zu denken und beispielsweise zu posten: „Jetzt reicht es. Ich bin 40 Jahre jeden Sonntag zur Messe gegangen. Wenn ich gewusst hätte, dass die ….“
    – kritische Beiträge lächerlich zu machen.

    Bezahlung erfolgt mit Festgehalt und Prämienzuschlag für jeden nachgewiesenen Austritt.

  2. verquer sagt:

    @Schwabe

    Widert Dich Deine willentliche Entscheidung, die hier praesenierten Fakten schlichtweg zu ignorieren, weil dir das Heil der Kirche wichtiger ist als die Wahrheit und sogar wichtiger als das Seelenleben der vergangenen und zukuenftige Opfer, nicht sogar selbst an?

    • Schwabe sagt:

      Verquer, ganz offen: Ohne vollständige Ermittlung und Akteneinsicht kann man sich selten ein vollständiges Bild über eine Sache machen, die man nicht kennt.

      Selbst in einem so eindeutigen Fall wie im Mordfall Brunner ist dann doch nichts so eindeutig, wie in der Öffentlichkeit geschildert. Du kannst ja Deine Augen zuschließen wie ein Schüler, wenn er eine schlechte Lateinarbeit rausbekommt, irgend wann einmal wird auch bei Dir die Wahrheit zutage treten.

      Es gibt nunmal leider jährlich 15.000 Missbrauchsfälle in Deutschland. Der größte Tatort ist die Wohnung.

      Ich erinnere mich dunkel an eine Interrail-Reise im Sommer 1977. Wir fuhren im Schnellzug zu zweit von Portugal nach Hause. In Portugal hatte es eine Art Revolution gegeben, überall hingen sozialistische und kommunistische Plakate. Im Zugabteil waren wir mit einem kommunistischen Arbeiter, der bei Renault in Frankreich arbeitete, zusammen. Wir unterhielten uns bestens. Irgendwann spätabends zogen wir die Sitze raus und legten uns hin. Der Mann fing plötzlich an zu grapschen. Gut erzogen, bat ich ihn, er solle sich zurück nehmen. Das ging ganze 5 Minuten gut, bis er wieder anfing. Wir verließen das Abteil. Wo ist der Bezug zur Kirche?

      Umgekehrt: Meine damals 9-jährige (!) Tochter zeigte sich in der Schule entsetzt, als der Klasse ein Film gezeigt wurde, in dem Geschlechtsverkehr und alle Varianten der Verhütung en detail gezeigt wurden. Ich ging zur Lehrerin, die mich frostig empfing. Sie warf mir vor, meine (kirchlichen) Moralvorstellungen seien für sie nicht bindend. Kurzum: Nur mein Protest alleine sorgte dafür, dass meine Tochter von der Lehrerin anschließend befragt wurde, ob ich sie missbraucht hätte.
      Viele Eltern riefen mir an und bedankten sich bei mir für meinen Einsatz. Wohin führt die Kirchenhetze bei einfacheren Gemütern wie dieser Lehrerin?

      Missbrauch ist ein allgemeines Thema und hat mit der Kirche an sich nichts zu tun. Wichtig ist, dass es bessere Therapiemöglichkeiten für die Täter gibt, dass Missbrauch früh festgestellt wird, zum Beispiel in anonymen Anlaufstellen.

      Missbraucht aber bitte nicht das Missbrauchsthema
      für Propaganda gegen die Kirche.

  3. verquer sagt:

    Es geht hier nicht um den Missbrauch als solchen sondern vielmehr um die versuchte Vertuschung.

    Oh, es wird auch in Familien vertuscht? Na, dann ist die Kirche natuerlich fein raus. Denn wenn es da draussen geschieht, dann kann man doch dieselben Taten der Kirche nicht anlasten, nicht wahr? Ist ja nicht so, als waere die RKK nach ihrem selbstverstaendnis der Hueter der Moral…

  4. […] Mit freundlicher Empfehlung des Hauses! Wer hatte wieder zuerst den guten Riecher mit dem Deisendorfer Blättle? […]

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