Die deutschen Bischöfe lassen derzeit eine Neufassung der Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch erarbeiten (DBK). Während eine Selbstverständlichkeit wie die Klarstellung, dass sich auch die Kirche an staatliches Recht zu halten hat, bereits als „Verschärfung“ der Richtlinien bezeichnet wird, hat ein anderer, bemerkenswerter Aspekt bisher keine öffentliche Beachtung gefunden.
2004 soll Pfarrer Georg K. aus dem Bistum Aachen einen Jungen auf einer Feier derart intensiv gestreichelt haben, dass sich einige Teilnehmer über ihn beschwerten. K. soll auch Ministranten in seine Pfarrhaus-Sauna eingeladen haben. Seit letztem Jahr wird K. in Südafrika der Prozess gemacht, weil er sich auf einer Freizeit Kommunionkindern unsittlich genähert haben soll. [Aachener Nachrichten]
2007 beschwerten sich einige Schüler des Klosters Ettal über Pater G., weil er einen von ihnen unter dem T-Shirt gestreichelt und massiert hatte, als dieser weinte. Vor ein paar Wochen wurde bekannt, dass Pater G. auch vorgeworfen wird, zwei Schüler unter der Unterhose an den Genitalien berührt zu haben. [FAZ]
Beide Fälle spielten sich nach der Verabschiedung der bischöflichen Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bereich der katholischen Kirche in Deutschland im Jahr 2002 ab. Was jedoch überraschen mag ist, dass die jeweiligen Warnzeichen – das Streicheln eines Kindes unter dem T-Shirt und Saunagänge mit Ministranten – gar nicht unter die Leitlinien fallen.
Denn die Leitlinien betreffen nur den sexuellen Missbrauch, und dieser bezieht sich definitionsgemäß auf sexuelle Handlungen [Wikipedia]. Rückenstreicheln und selbst Saunabesuche sind aber keine sexuellen Handlungen.
In Bezug auf Pater G. hat dies vor ein paar Wochen erst der Psychiater Manfred Lütz betont. Er argumentierte in der FAZ, Pater G. sei 2007 nie der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gemacht worden, deshalb hätte der Fall auch nicht dem Missbrauchsbeauftragten des Bistums gemeldet werden müssen. (Manfred Lütz: Eine kleine Geschichte des größten Wortklaubers) Und Lütz muss es wissen: Er berät die katholischen Bischöfe schon seit Jahren beim Thema Missbrauch, er wählt Experten aus, mit denen die katholische Kirche zusammenarbeitet (z.B. bei der psychologischen Begutachtung von auffällig gewordenen Priestern) und hat 2003 eine Tagung im Vatikan zum Thema Missbrauch organisiert.
Es scheint allerdings so zu sein, dass dem tatsächlichen sexuellen Missbrauch üblicherweise „Annäherungsversuche“ durch den Täter vorausgehen, bei denen dieser quasi die Reaktion der Kinder „auslotet“ und sich sozusagen die „richtigen“ Opfer aussucht. Einer der Experten, mit denen die katholische Kirche zusammenarbeitet, Prof. Pfäfflin, schrieb in einem Gutachten über Pater G., dieser habe „Probleme mit Nähe und Distanz“ [FAZ], etwas, „ was man gegebenenfalls als eine Reifestörung bezeichnen mag“ [Süddeutsche]. Derartige Formulierungen wurden auch in den Akten von Priestern gefunden, die in den USA des sexuellen Missbrauchs überführt wurden. („Fears surrounding human feeling, relationships and closeness“, „Psychologically immature“ u.v.a. [Code Words to Hide Sex Abuse])
In den obigen beiden Fällen aus Deutschland ist der sexuelle Missbrauch bisher nicht gerichtlich erwiesen. Aber darum geht es hier auch nicht: Es geht vielmehr darum, dass die bischöflichen Leitlinien dem behaupteten Anspruch der Vorbeugung in keiner Weise gerecht werden, solange nicht klargestellt wird, dass auch schon bei dem Verdacht auf unprofessionelle Grenzüberschreitungen (es ist nicht in Ordnung, wenn ein Pfarrer Ministranten in seine Privatsauna einlädt) eine Meldung an den Missbrauchsbeauftragten erfolgen muss.
Solange selbst Manfred Lütz öffentlich zwischen „Grenzüberschreitungen“ und tatsächlichem Missbrauch differenziert, um die Anwendung der Leitlinien für erstere zu verneinen, sollte die Bischofskonferenz die Gelegenheit nutzen, dies klarzustellen.
Aus meiner Sicht handelt es sich dabei um mehr als eine Gelegenheit: eine Pflicht.
Pfarrhaus-Sauna???
Ich zitiere aus dem Artikel „Anzügliche Saunagänge im Pfarrhaus„, Aachener Nachrichten vom 13.02.2010:
Aber, liebe(r) Entdinglichung, wenn du über die Pfarrhaus-Sauna schon so verblüfft bist, was sagst Du denn dann zu der (mutmaßlichen) Schamhaar-Sammlung?
Heuchelei! In deutschen Gefängnissen wird sich tagtäglich am Schwächsten vergangen. In Altenheimen dasselbe, in Sportvereinen, Schulen. Keiner sagt, dass solche Vorkommnisse in der Kirche gut waren. Es ist aber eine Unanständigkeit und fördert geradezu das Weitermachen auf anderen Ebenen, wenn solche Verbrechen der Kirche zugeschoben werden. Wer so argumentiert, macht sich moralisch mitschuldig an solchen Verbrechen.
Meine Tochter besuchte letztes Jahr eine Musikfreizeit in Osthessen. Die aus dem Osten kommenden Betreuer klärten die Kinder gleich darüber auf, dass es keinen Gott gebe. Am Ende der Freizeit wurde ein bunter Abend veranstaltet. Die Kinder sollten Strip-Poker spielen, d.h. bei jeder falschen Antwort ein Kleidungsstück lassen. Ein 15-jährigs Mädchen wurde von einem Betreuer ermuntert, endlich ihr Hemd auszuziehen und die Brüste zu zeigen. Das Mädchen fing an zu weinen. Das ist Kindesmissbrauch made in Eastern Germany.
„In deutschen Gefängnissen wird sich tagtäglich am Schwächsten vergangen. In Altenheimen dasselbe, in Sportvereinen, Schulen.“
Gab es auch schon Dankesbriefe von den obersten Behörden (Bundesjustizministerium oder Unterrichtsministerium), wenn bekanntgewordene Fälle NICHT an die Polizei gemeldet wurden?
[…] (Aus gegebenem Anlass sei hier auch nochmals darauf hingewiesen, dass z.B. Streicheln – sofern es nicht an den Geschlechtsteilen geschieht – oder sogar Saunagänge mit Ministranten keinen sexuellen Missbrauch darstellen, da dies keine sexuellen Handlungen sind. Es sind aber natürlich Warnzeichen. Siehe meinen Artikel „Leitlinien: Warnzeichen ernst nehmen!“) […]
[…] Leitlinien: Warnzeichen ernst nehmen! […]