Gestern schrieb ich über Prof. Bülent Uçars Behauptung, mit einem bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht ließe sich gegenüber Extremisten „überzeugend argumentieren“. Die beiden Artikel, auf die ich am Ende des Eintrags verlinkt habe, liefern weitere Beispiele für absurde Behauptungen, wie sie typisch sind für Theologen und Religions-Lobbyisten.
Ich will noch einmal hervorheben, dass den Muslimen in Deutschland natürlich das Recht auf einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht und damit entsprechend der gängigen Praxis auch eine staatlich bezahlte Theologenausbildung zusteht. Es wäre mir lieber, es gäbe einen für alle verbindlichen Ethik- bzw. Lebenskundeunterricht wie in Berlin, und keine staatlich bezahlte Theologenausbildung. Solange dies aber der Fall ist, muss gleiches Recht für alle gelten.
Die Kritik an den folgenden Aussagen richtet sich auch nicht speziell gegen Prof. Uçar, sondern sie dienen lediglich als Beispiel – denn von katholischen oder evangelischen Theologen ist man genau dieselbe Sprache gewöhnt.
Der Artikel gliedert sich in vier Abschnitte:
- Bekenntnisgebundener Unterricht überzeugender als „rein rationaler“ Unterricht?
- Fundamentalisten nehmen auch die „Binnenperspektive“ ein
- Keine Indoktrination?
- „… dass man das jetzt nicht hinterfragt“
Also, los geht’s:
Bekenntnisgebundener Unterricht überzeugender als „rein rationaler“ Unterricht?
In dem gestern von mir kommentierten Artikel hieß es:
Der islamische Religionspädagoge Bülent Ucar sieht im bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht einen Schutz vor Extremismus.
Mit einem rein rational ausgerichteten Islamkunde-Unterricht seien extremistisch eingestellte junge Menschen dagegen nicht zu erreichen […]. „Mit einer Orientierung am Bekenntnis und dem religiösen Lebensbezug kann ich überzeugend argumentieren“, unterstrich der Wissenschaftler.
Wie wir auch später noch sehen werden, erklären Theologen gerne genau, was sie nicht meinen, halten sich aber bedeckt, wenn es darum geht, was eigentlich gemeint sein soll. Was Prof. Uçar nicht für wirksam hält, ist ein „rein rationaler“ Unterricht. Was aber soll diesen ersetzen? In dem Interview bei der Deutschen Islamkonferenz erfährt man näheres:
[Prof. Dr. Bülent Uçar:] Letztlich geht es im Religionsunterricht immer um Glaubensüberzeugungen – und nicht um eine nackte Wissenschaft wie Physik, in der man verifizieren und falsifizieren kann. Gott oder das Jenseits können Sie wissenschaftlich weder beweisen noch widerlegen.
Mit anderen Worten: Statt eines „rein rationalen“ Unterrichts fordert Prof. Uçar die Hinzunahme (bzw. Lehre) von Behauptungen, bei denen sich nicht feststellen lässt, ob sie richtig oder falsch sind. In dem Interview bei der Deutschen Islamkonferenz bezeichnet er den unbeweisbaren Glauben an Gott und das Leben nach dem Tod sogar als „religiöse Basics“. Es sind gerade diese unbewiesenen „Basics“ – Glaube an Gott und ein Leben nach dem Tod – die die Motivation von Selbstmordattentätern ausmachen. Wie um alles in der Welt sollte die Ergänzung eines „rein rationalen“ Unterrichts um diese „religiösen Basics“ Extremismus verringern? Und es geht hier nicht um ausgeformte Extremisten, sondern um Kinder, z.T. Grundschüler.
Fundamentalisten nehmen auch die „Binnenperspektive“ ein
In dem Interview bei der Deutschen Islamkonferenz heißt es:
Herr Uçar, Sie bilden Lehrer für einen „bekenntnisorientierten“ Islamunterricht aus. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Prof. Dr. Bülent Uçar: Die Lehrer nehmen die Binnenperspektive ein, die des Glaubenden. Das heißt allerdings nicht, dass die Schüler indoktriniert werden und Lehrtexte auswendig lernen. Das Ziel ist in jedem Fall auch ein analytischer und reflektiver Umgang mit der Religion.
Die „Binnenperspektive“ ist wohl auch die Perspektive, die Fundamentalisten per Definition einnehmen. Wie soll durch einen solchen Unterricht Fundamentalismus eingedämmt werden? Und welches Interesse sollte die Gesellschaft haben, dass Kinder sofort „in“ einer Religion platziert werden, anstatt zunächst „von außen“ das Angebot zu prüfen, um sich dann ggf. für eine Religion zu entscheiden? – Natürlich hat der Staat kein Interesse daran. Nur die Religions-Lobbyisten haben dieses Interesse – weil sie genau wissen, dass die „Außenperspektive“ – nämlich die Feststellung, dass alle Religionen gleichermaßen unbewiesen sind – eher Vorbehalte weckt. Religionen sind „von innen“ attraktiver als „von außen“.
Keine Indoktrination?
Prof. Uçar behauptet (s.o.), die „Binnenperspektive“ bedeute „nicht, dass die Schüler indoktriniert werden und Lehrtexte auswendig lernen.“ Nun, Auswendiglernen an sich macht noch keine Indoktrination aus. Die deutsche Wikipedia definiert Indoktrination so: Die „gezielte Manipulation von Menschen durch gesteuerte Auswahl von Informationen, um ideologische Absichten durchzusetzen oder Kritik auszuschalten.„ Wenn in der „Binnenperspektive“ die Perspektive „des Glaubenden“ angenommen wird – also Kindern (auch Grundschülern, s.u.) gegenüber unbewiesene Annahmen „als bestehende Wahrheiten„* vermittelt werden anstatt als unbewiesen – dann ist das eine gezielte Manipulation von Menschen durch gesteuerte Auswahl von Informationen, um ideologische Absichten durchzusetzen. In der englischen Wikipedia heißt es zu Indoktrination (meine Übersetzung): „[Indoktrination] wird oft von Erziehung [im Sinne von Bildung] dadurch unterschieden, dass von der indoktrinierten Person erwartet wird, dass sie die gelernte Doktrin nicht hinterfragt oder kritisch untersucht.“ Das ist ja wohl genau das, was mit „Binnenperspektive“ gemeint ist: die Perspektive „des Glaubenden“ (Uçars Worte), nicht des Zweifelnden oder des „rein rationalen“ Analytikers. Uçars Bemerkung „Das heißt allerdings nicht, dass die Schüler indoktriniert werden und Lehrtexte auswendig lernen“ ist ein reines Ablenkungsmanöver. Seine Vorstellung von einem bekenntnisorientierten Religionsunterricht scheint vielmehr genau der Definition von Indoktrination zu entsprechen.
Ein ebensolches Ablenkungsmanöver ist die Aussage, „Das Ziel ist in jedem Fall auch ein analytischer und reflektiver Umgang mit der Religion.“ Wir wissen, wie solch ein „analytischer und reflektiver Umgang mit der Religion“ aus der Binnenperspektive abläuft: Man diskutiert Detailfragen des Glaubens, ohne den Glauben selbst infrage zu stellen. Uçar bringt in dem Interview selbst ein Beispiel:
Natürlich gibt es in vielen Fragen auch eine große Meinungsvielfalt. Hier folgen wir dem Kontroversitätsprinzip: Was bei den Muslimen umstritten ist, wird im Klassenraum auch als umstritten dargestellt. Ein Beispiel wäre, wer als rechtmäßiger Nachfolger des Propheten gelten kann – über diese Fragen haben sich Sunniten und Schiiten entzweit. Im Unterricht stellen wir beide Meinungen gleichberechtigt dar. Die Lehrkräfte haben nicht die Aufgabe, die große Wahrheit zu verkünden, sondern den Schülern Angebote zu machen. Ob man sie annimmt oder nicht, entscheidet jeder selbst.
Die Schüler sollen also Details wie die rechtmäßige Nachfolge des Propheten analysieren und reflektieren, ohne zuvor die Grundfrage zu diskutieren, ob die „religiösen Basics“ überhaupt überzeugend sind. Große „Wahrheiten“ (Glaube an Gott und Leben nach dem Tod) werden verkündet, kleine „Wahrheiten“ (rechtmäßige Nachfolge des Propheten) dürfen diskutiert werden. Das ist ja wohl mit „Binnenperspektive“ gemeint.
„… dass man das jetzt nicht hinterfragt“
Was wird nun im islamischen Religionsunterricht gelehrt? Beim Deutschlandradio äußert sich eine angehende Religionslehrerin (Grundschullehrerin, wohlgemerkt):
Die Grundschullehrerin studiert im dritten Semester Islamische Religionspädagogik. Intensiv setzt sich die gläubige Muslima mit den unterschiedlichen Richtungen der Koranexegese auseinander.
[Studentin:] „Dass ein Mann zum Beispiel vier Frauen heiraten darf, also dass man das nicht wörtlich nimmt, sondern dass das historisch bedingt alles einen Ursprung hat, dass man das jetzt nicht hinterfragt, aber dass das alles auf einer anderen Ebene zu verstehen ist.“
Das theologische Geschwurbel hat die Studentin offenbar schon gelernt. Die Aussage, dass ein Mann vier Frauen haben darf, ist also nicht wörtlich zu nehmen, sondern auf einer anderen Ebene zu verstehen – aber wie? (Vielleicht kommt das ja im vierten Semester dran…) Und nach welchen Kriterien wird entschieden, was wörtlich zu verstehen ist und was nicht? Immerhin erfahren wir: Man hinterfragt nicht. Binnenperspektive eben. Wieder drängt sich die Frage auf: Wenn nicht hinterfragt wird, wie sollen dann Extremisten „überzeugt“ werden?
*Update: Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat anlässlich einer Petition zur Abschaffung des Religionsunterrichts festgestellt (S. 3):
[Gegenstand des Religionsunterrichts] ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe. [Hervorhebung von mir.]
Also in dem Beuitrag sind ein paar Denkfehler:
Dass die Hinzunahme von nicht wissenschaftlich beweisbaren Basics an sich Extremismus verringert, wird vermutlich nicht mal Ucar behaupten. Aber diese „Basics“ gehören zu „Bineperspektive“.
Natürlich nehmen auch Extremisten diese Binnneperspektive ein. Was Ucar sagt, ist doch: „von außen“ lässt sich dagegen schwer argumentieren, weil es dannnn gleich heißt: das sind ja nur „Ungläubige“, die so was sagen. Die Binnnenperspektive ist also keine Garantie, dass nix Extremistisches gesagt wird, siondern ein *notwendige Voraussetzung* dafür, dass dem Extremismus Argumente entgegengehalten werden, die dür die dafür Anfälligen (und dazu könne auch schon Kinder gehören) relevant sind. Der von UIcar geforderte Unterricht kannnnn somit verhindern, dass Jugendliche extremistisch werden.
Das Zitat der Studentin hört sich so an, als ob es aus dem Zusammenhang gerissen ist, da sage ich lieber nix dazu.
Im Übrigen: nicht wissenschaftlich bewiesene Wahrheiten sind nicht einfach generell „unbeweisen“, das glauben nur diejenigen, die entsprechend indoktriniert wurden. 😉
@helmut:
Vielen Dank für Deine kritischen Anmerkungen. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Auch nach der Lektüre Deines Kommentars sehe ich allerdings keine Denkfehler. Ich mag meine eigene Argumentation allerdings nicht klar genug „rübergebracht“ haben.
Ucar spricht sich gegen einen „rein rational ausgerichteten“ Unterricht aus, da dieser „extremistisch eingestellte junge Menschen“ „nicht erreichen“ könne, und fordert einen bekenntnisorientierten Unterricht, da sich damit „überzeugend argumentieren“ ließe.
Das heißt nichts anderes, als dass er glaubt, durch die Hinzunahme irrationaler „Glaubenswahrheiten“ „überzeugender argumentieren“ zu können – gegen Extremismus, wie er sagt. Es ist ja gerade eine Spezialität von Theologen, Unsinn so auszudrücken, dass man ihn nicht unmittelbar als solchen erkennt.
Ich habe neulich selbst darauf hingewiesen, dass man zum Überzeugen die Perspektive des Gegenübers einnehmen sollte. (Das scheint ja Ucars und auch Dein Argument zu sein.) Das kann aber nicht funktionieren, wenn nicht überprüfbare Annahmen eingeführt werden. Wir wissen doch, dass aus heiligen Schriften alles Mögliche herausgelesen wird. Das heißt, dass es eben keine (alle) überzeugende Methode gibt, die Aussagen zu interpretieren. Das ist auch der Grund, weshalb sich in Religionen üblicherweise im Laufe der Zeit immer mehr „Sekten“ bzw. Abspaltungen herausbilden: Es gibt schlichtweg keine Möglichkeit, die richtige Lehre nachprüfbar zu bestimmen. Wir wissen auch, dass der bloße Umstand, dass es sich beim Gegenüber um einen Glaubensgenossen im weiteren Sinn handelt – also einen Mit-Muslim oder einen Mit-Christen – in keiner Weise bedeutet, dass dessen Argumente Gehör finden. Denn wenn seine Auffassung von der eigenen abweicht, wird er von Extremisten üblicherweise als Angehöriger einer Irrlehre oder Sekte wahrgenommen.
Außerdem – das stört mich an Ucars Argumentation ja besonders – geht es ja um Religionsunterricht für Kinder ab dem Grundschulalter und nicht um religiöse Extremisten. Man kann doch nicht ernsthaft behaupten wollen, dass das Vermitteln von Glaubensinhalten als Wahrheiten an Grundschüler den religiösen Extremismus besser eindämmt als ein rein rationaler Unterricht.
Kinder haben von Natur aus keine „Binnenperspektive“ – die wird ihnen von den Eltern und im Religionsunterricht ja erst aufgeschwindelt.
Dein und Ucars Argument wäre etwas anders zu beurteilen, wenn es um religiös bereits „fertig“ geprägte Menschen ginge. Das ist hier aber offensichtlich nicht der Fall. Aber selbst dann könnte man sich darauf verlassen, dass Extremisten immun gegen jegliches Argument sind.
Ich meine auch nicht, dass die Argumentation mit der „Binnenperspektive“ überhaupt keinen Erfolg hätte. (Das läge allerdings dann m.E. nicht an der überzeugenden Logik, sondern an der eigenartigen Denkweise der Religiösen.) Ucar behauptet aber, dass die Binnenperspektive besser geeignet sei als ein, sagen wir, „religionskundlicher“ Unterricht. In Anbetracht der eingeschränkten Rationalität des bekenntnisorientierten Unterrichts müsste er diese Behauptung belegen.
Das Zitat der Studentin könnte böswillig herausgepickt sein – dann vom Deutschlandradio, nicht von mir – es erscheint mir allerdings typisch für die Theologensprache.
Wenn man die Religion von einem wissenschaftlichen Standpunk betrachtet, wird man feststellen, dass die Menschen KRANK sind.
In der Religion gibt es also keine Basiswissenschaft. Es ist der Glaube der Menschen. Die Religionen an sich erzeugen auch keine Extremisten. Die songernannten Hassprediger stützen sich meist auf die politische Situation, Elend, Ausbeutung und … der Bevölkerungsgruppen. Wenn Deutschland Chemiewaffen Saddam Hossein verkauft, damit mit dem Befehl der westlichen Staaten die Mullahs im Iran bekämpft werden, aber Saddam Hossein geht einen Schritt weiter und die Ermordet die eigene kurdische Bevölkerung, werden die Hassprediger aktiv. Also wir müssen die Taten genauer planen und einschränken. Die Welt ist nicht mehr in den Blöcken, Religionen, Rassen, … zu sehen, sondern die Welt ist global das Lebensraum der Menschen, Tiere, Pflanze, … Unabhängig vor der Farben, Religionene, ….
Zum Schreiben gibt es noch viel mehr, aber wo soll man die Zeit hernehmen!
Gruß und Frohe Weihnachten.
[…] 1987 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der im Grundgesetz garantierte Religionsunterricht die Aufgabe hat, „die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft“ – also unbewiesene, nicht überprüfbare Behauptungen, die darüber hinaus noch – je nach Konfession – zueinander im Widerspruch stehen – den Kindern „als bestehende Wahrheiten zu vermitteln“. Nicht als unbewiesene Behauptungen, sondern als bestehende Wahrheiten! Das bedeutet nichts anderes, als die Schüler anzulügen, sie zu indoktrinieren, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe. […]